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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Erziehern oder zur Sendung ihrer Kinder in ein Pensionat entschlossen. Die
Zahl der Zöglinge höherer Lehranstalten in Konstantinopel soll sich aus
5 bis 6000 belaufen, doch hat keine einzige von diesen Anstalten auch nur
entfernt den Werth einer deutschen Gelehrtenschule, geschweige denn einer
Universität. Die Studirenden werden Softa oder Sochta genannt, was uns
mit "verbrannte Seelen" übersetzt wurde. Sie erhalten auf Kosten des
Wakuf Wohnung, täglich eine Mahlzeit und den Unterricht. Für Kleidung
und sonstige Bedürfnisse müssen sie selbst Sorge tragen. Wie sie dazu ge¬
kommen sind, als Mitträger der neuesten Reformbestrebungen angeführt zu
werden, wie sie constitutionelle Gedanken und Gelüste vertreten konnten, ist
uns räthselhaft und beruht wohl auf einem Mißverständniß. Wir erfuhren
von ihnen 1859 nur, daß sie fanatische Muslime und Verächter der Franken
seien, und nebenher ließ ihre bleiche Gesichtsfarbe und ihr erschöpftes Aus¬
sehen vermuthen, daß sie entweder zu angestrengt für einen Türken arbeiteten
oder zu wenig zu essen bekommen.





Wahlen. -- Landesausschuß. -- Resultate.

Die rührige Periode der Bezirkstags- und Gemeinderaths - Wahlen ist
vorüber, und man beschäftigt sich augenblicklich in den verschiedenen Bezirks¬
räthen (eoneeils as xrötöcturs) zu Straßburg, Colmar und Metz mit der,
Prüfung der ziemlich zahlreich eingelaufenen Reklamationen gegen die letztern
Wahlen. Auch die Bezirkstage (conseils g6n<ziÄux) sind gemäß katserl.
Verordnung in voriger Woche in den drei Bezirken von Lothringen,
Ober- und Unter-Elsaß berufen und nach kurzer Session wieder geschlossen
worden.

Indessen tritt allmählich eine neue Agitation in den Vordergrund, die
für die Anfangs des nächsten Jahres bevorstehenden Wahlen zum deutschen
Reichstage. Im Vordertreffen steht hier, wie gewöhnlich, das "Elsässer
Journal", dessen schon öfters als maßgebenden Organs der elsässischen Lan¬
des-Partei in diesen Zeilen gedacht worden ist. Im Anschluß an die neu¬
lichen günstigen Resultate der munizipalen Wahlen, wobei die Abstinenz-
Politiker augenscheinlich eine derbe Lection bekommen haben, spricht es die


Erziehern oder zur Sendung ihrer Kinder in ein Pensionat entschlossen. Die
Zahl der Zöglinge höherer Lehranstalten in Konstantinopel soll sich aus
5 bis 6000 belaufen, doch hat keine einzige von diesen Anstalten auch nur
entfernt den Werth einer deutschen Gelehrtenschule, geschweige denn einer
Universität. Die Studirenden werden Softa oder Sochta genannt, was uns
mit „verbrannte Seelen" übersetzt wurde. Sie erhalten auf Kosten des
Wakuf Wohnung, täglich eine Mahlzeit und den Unterricht. Für Kleidung
und sonstige Bedürfnisse müssen sie selbst Sorge tragen. Wie sie dazu ge¬
kommen sind, als Mitträger der neuesten Reformbestrebungen angeführt zu
werden, wie sie constitutionelle Gedanken und Gelüste vertreten konnten, ist
uns räthselhaft und beruht wohl auf einem Mißverständniß. Wir erfuhren
von ihnen 1859 nur, daß sie fanatische Muslime und Verächter der Franken
seien, und nebenher ließ ihre bleiche Gesichtsfarbe und ihr erschöpftes Aus¬
sehen vermuthen, daß sie entweder zu angestrengt für einen Türken arbeiteten
oder zu wenig zu essen bekommen.





Wahlen. — Landesausschuß. — Resultate.

Die rührige Periode der Bezirkstags- und Gemeinderaths - Wahlen ist
vorüber, und man beschäftigt sich augenblicklich in den verschiedenen Bezirks¬
räthen (eoneeils as xrötöcturs) zu Straßburg, Colmar und Metz mit der,
Prüfung der ziemlich zahlreich eingelaufenen Reklamationen gegen die letztern
Wahlen. Auch die Bezirkstage (conseils g6n<ziÄux) sind gemäß katserl.
Verordnung in voriger Woche in den drei Bezirken von Lothringen,
Ober- und Unter-Elsaß berufen und nach kurzer Session wieder geschlossen
worden.

Indessen tritt allmählich eine neue Agitation in den Vordergrund, die
für die Anfangs des nächsten Jahres bevorstehenden Wahlen zum deutschen
Reichstage. Im Vordertreffen steht hier, wie gewöhnlich, das „Elsässer
Journal", dessen schon öfters als maßgebenden Organs der elsässischen Lan¬
des-Partei in diesen Zeilen gedacht worden ist. Im Anschluß an die neu¬
lichen günstigen Resultate der munizipalen Wahlen, wobei die Abstinenz-
Politiker augenscheinlich eine derbe Lection bekommen haben, spricht es die


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[0482] Erziehern oder zur Sendung ihrer Kinder in ein Pensionat entschlossen. Die Zahl der Zöglinge höherer Lehranstalten in Konstantinopel soll sich aus 5 bis 6000 belaufen, doch hat keine einzige von diesen Anstalten auch nur entfernt den Werth einer deutschen Gelehrtenschule, geschweige denn einer Universität. Die Studirenden werden Softa oder Sochta genannt, was uns mit „verbrannte Seelen" übersetzt wurde. Sie erhalten auf Kosten des Wakuf Wohnung, täglich eine Mahlzeit und den Unterricht. Für Kleidung und sonstige Bedürfnisse müssen sie selbst Sorge tragen. Wie sie dazu ge¬ kommen sind, als Mitträger der neuesten Reformbestrebungen angeführt zu werden, wie sie constitutionelle Gedanken und Gelüste vertreten konnten, ist uns räthselhaft und beruht wohl auf einem Mißverständniß. Wir erfuhren von ihnen 1859 nur, daß sie fanatische Muslime und Verächter der Franken seien, und nebenher ließ ihre bleiche Gesichtsfarbe und ihr erschöpftes Aus¬ sehen vermuthen, daß sie entweder zu angestrengt für einen Türken arbeiteten oder zu wenig zu essen bekommen. Wahlen. — Landesausschuß. — Resultate. Die rührige Periode der Bezirkstags- und Gemeinderaths - Wahlen ist vorüber, und man beschäftigt sich augenblicklich in den verschiedenen Bezirks¬ räthen (eoneeils as xrötöcturs) zu Straßburg, Colmar und Metz mit der, Prüfung der ziemlich zahlreich eingelaufenen Reklamationen gegen die letztern Wahlen. Auch die Bezirkstage (conseils g6n<ziÄux) sind gemäß katserl. Verordnung in voriger Woche in den drei Bezirken von Lothringen, Ober- und Unter-Elsaß berufen und nach kurzer Session wieder geschlossen worden. Indessen tritt allmählich eine neue Agitation in den Vordergrund, die für die Anfangs des nächsten Jahres bevorstehenden Wahlen zum deutschen Reichstage. Im Vordertreffen steht hier, wie gewöhnlich, das „Elsässer Journal", dessen schon öfters als maßgebenden Organs der elsässischen Lan¬ des-Partei in diesen Zeilen gedacht worden ist. Im Anschluß an die neu¬ lichen günstigen Resultate der munizipalen Wahlen, wobei die Abstinenz- Politiker augenscheinlich eine derbe Lection bekommen haben, spricht es die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/482>, abgerufen am 19.04.2024.