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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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klären wollen, so müssen wir eine andere, nicht in der Materie liegende Ur¬
sache dafür annehmen, oder mit andern Worten, da die Welt nicht ent¬
standen sein kann, so muß sie geschaffen sein. Dagegen ist logisch die
Einrede zulässig: dieser Schluß ist als ein auf Erfahrung beruhender ver¬
früht, er darf nicht enden: so muß, sondern er hat zu lauten, so kann sie
erschaffen sein. Unsere Erfahrung über natürliche Dinge erreicht ihr Ende
erst mit dem Ende der gesammten Menschheit. Allein dann sind alle aus
der bisherigen Erfahrung gewonnenen Schlüsse gleichfalls bloße Möglichkeiten,
also unsicher, z. B. auch der, daß alle Menschen sterben müssen; denn derselbe
wird erst unumstößlich, wenn der letzte Mensch gestorben ist. Insofern ist
es allerdings erlaubt, zu sagen, die bisherigen Ergebnisse der Naturforschung
verbieten zwar einen Schöpfungsact nicht, sie zwingen mich aber auch nicht,
einen solchen anzunehmen. Nur bleibt dann die Entstehung der Welt uner¬
klärlich. Das ist immer auch die Meinung d. Bl. gewesen, und auch darin
geben wir dem Verfasser Recht, wenn er zweifelt, daß jene übertriebene
Vorsicht oft der Grund sei, der einen Schöpfungsact als Ursache der Welt
nicht annehmen läßt, und wenn er der Meinung ist, daß die Abneigung da-^
von in den meisten Fällen von Vorurtheilen, d. h. von Motiven ausgeht,
die mit den Gesetzen und Ergebnissen der Naturforschung nichts zu schaffen
haben und mehr im Gemüthe als im Verstände des Menschen wurzeln. Wer
also auf dem gegenwärtigen Standpunkte unseres Wissens nicht auf jede Er¬
klärung der Entstehung und Entwickelung des Alls verzichtet und den
Naturgesetzen seine Anerkennung nicht versagt, sobald sie seiner sogenannten
Weltanschauung widersprechen, muß bis auf Weiteres die Welt für geschaffen
ansehen.


Zur Entwickelungstheorie. Von Dr. Otto Zacharias.
Jena, H. Costenoble, 1876.

Theils referirende, theils polemisirende, theils fast nur aus bloßen
Auszügen bestehende Aufsätze eines Anhängers der Häckelschen Theo¬
rien, die unabhängig von einander in verschiedenen Blättern (vorzüglich
Jllustr. Zeit., dann Ausland und Gegenwart) bereits veröffentlicht wurden.
Interessant ist uns davon nur das Kapitel "die Ehe zwischen nahen Ver¬
wandten", das in der Hauptsache ein guter Auszug aus dem diesen Gegen¬
stand behandelnden Werke Henry Huth's ist, der zu der Ueberzeugung
kommt, daß die Meinung von der Schädlichkeit solcher Ehen unbegründet
zu sein scheint, was indeß unsrer Ansicht nach noch einer weiteren Be¬
gründung bedarf.




Verantwortlicher Redakteur: or. Haus Blum in Leipzig.
Verlag von K. L. Herbig in Leipzig, -- Druck von Hiithel " Herrmann in Leipzig.

klären wollen, so müssen wir eine andere, nicht in der Materie liegende Ur¬
sache dafür annehmen, oder mit andern Worten, da die Welt nicht ent¬
standen sein kann, so muß sie geschaffen sein. Dagegen ist logisch die
Einrede zulässig: dieser Schluß ist als ein auf Erfahrung beruhender ver¬
früht, er darf nicht enden: so muß, sondern er hat zu lauten, so kann sie
erschaffen sein. Unsere Erfahrung über natürliche Dinge erreicht ihr Ende
erst mit dem Ende der gesammten Menschheit. Allein dann sind alle aus
der bisherigen Erfahrung gewonnenen Schlüsse gleichfalls bloße Möglichkeiten,
also unsicher, z. B. auch der, daß alle Menschen sterben müssen; denn derselbe
wird erst unumstößlich, wenn der letzte Mensch gestorben ist. Insofern ist
es allerdings erlaubt, zu sagen, die bisherigen Ergebnisse der Naturforschung
verbieten zwar einen Schöpfungsact nicht, sie zwingen mich aber auch nicht,
einen solchen anzunehmen. Nur bleibt dann die Entstehung der Welt uner¬
klärlich. Das ist immer auch die Meinung d. Bl. gewesen, und auch darin
geben wir dem Verfasser Recht, wenn er zweifelt, daß jene übertriebene
Vorsicht oft der Grund sei, der einen Schöpfungsact als Ursache der Welt
nicht annehmen läßt, und wenn er der Meinung ist, daß die Abneigung da-^
von in den meisten Fällen von Vorurtheilen, d. h. von Motiven ausgeht,
die mit den Gesetzen und Ergebnissen der Naturforschung nichts zu schaffen
haben und mehr im Gemüthe als im Verstände des Menschen wurzeln. Wer
also auf dem gegenwärtigen Standpunkte unseres Wissens nicht auf jede Er¬
klärung der Entstehung und Entwickelung des Alls verzichtet und den
Naturgesetzen seine Anerkennung nicht versagt, sobald sie seiner sogenannten
Weltanschauung widersprechen, muß bis auf Weiteres die Welt für geschaffen
ansehen.


Zur Entwickelungstheorie. Von Dr. Otto Zacharias.
Jena, H. Costenoble, 1876.

Theils referirende, theils polemisirende, theils fast nur aus bloßen
Auszügen bestehende Aufsätze eines Anhängers der Häckelschen Theo¬
rien, die unabhängig von einander in verschiedenen Blättern (vorzüglich
Jllustr. Zeit., dann Ausland und Gegenwart) bereits veröffentlicht wurden.
Interessant ist uns davon nur das Kapitel „die Ehe zwischen nahen Ver¬
wandten", das in der Hauptsache ein guter Auszug aus dem diesen Gegen¬
stand behandelnden Werke Henry Huth's ist, der zu der Ueberzeugung
kommt, daß die Meinung von der Schädlichkeit solcher Ehen unbegründet
zu sein scheint, was indeß unsrer Ansicht nach noch einer weiteren Be¬
gründung bedarf.




Verantwortlicher Redakteur: or. Haus Blum in Leipzig.
Verlag von K. L. Herbig in Leipzig, — Druck von Hiithel « Herrmann in Leipzig.
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[0488] klären wollen, so müssen wir eine andere, nicht in der Materie liegende Ur¬ sache dafür annehmen, oder mit andern Worten, da die Welt nicht ent¬ standen sein kann, so muß sie geschaffen sein. Dagegen ist logisch die Einrede zulässig: dieser Schluß ist als ein auf Erfahrung beruhender ver¬ früht, er darf nicht enden: so muß, sondern er hat zu lauten, so kann sie erschaffen sein. Unsere Erfahrung über natürliche Dinge erreicht ihr Ende erst mit dem Ende der gesammten Menschheit. Allein dann sind alle aus der bisherigen Erfahrung gewonnenen Schlüsse gleichfalls bloße Möglichkeiten, also unsicher, z. B. auch der, daß alle Menschen sterben müssen; denn derselbe wird erst unumstößlich, wenn der letzte Mensch gestorben ist. Insofern ist es allerdings erlaubt, zu sagen, die bisherigen Ergebnisse der Naturforschung verbieten zwar einen Schöpfungsact nicht, sie zwingen mich aber auch nicht, einen solchen anzunehmen. Nur bleibt dann die Entstehung der Welt uner¬ klärlich. Das ist immer auch die Meinung d. Bl. gewesen, und auch darin geben wir dem Verfasser Recht, wenn er zweifelt, daß jene übertriebene Vorsicht oft der Grund sei, der einen Schöpfungsact als Ursache der Welt nicht annehmen läßt, und wenn er der Meinung ist, daß die Abneigung da-^ von in den meisten Fällen von Vorurtheilen, d. h. von Motiven ausgeht, die mit den Gesetzen und Ergebnissen der Naturforschung nichts zu schaffen haben und mehr im Gemüthe als im Verstände des Menschen wurzeln. Wer also auf dem gegenwärtigen Standpunkte unseres Wissens nicht auf jede Er¬ klärung der Entstehung und Entwickelung des Alls verzichtet und den Naturgesetzen seine Anerkennung nicht versagt, sobald sie seiner sogenannten Weltanschauung widersprechen, muß bis auf Weiteres die Welt für geschaffen ansehen. Zur Entwickelungstheorie. Von Dr. Otto Zacharias. Jena, H. Costenoble, 1876. Theils referirende, theils polemisirende, theils fast nur aus bloßen Auszügen bestehende Aufsätze eines Anhängers der Häckelschen Theo¬ rien, die unabhängig von einander in verschiedenen Blättern (vorzüglich Jllustr. Zeit., dann Ausland und Gegenwart) bereits veröffentlicht wurden. Interessant ist uns davon nur das Kapitel „die Ehe zwischen nahen Ver¬ wandten", das in der Hauptsache ein guter Auszug aus dem diesen Gegen¬ stand behandelnden Werke Henry Huth's ist, der zu der Ueberzeugung kommt, daß die Meinung von der Schädlichkeit solcher Ehen unbegründet zu sein scheint, was indeß unsrer Ansicht nach noch einer weiteren Be¬ gründung bedarf. Verantwortlicher Redakteur: or. Haus Blum in Leipzig. Verlag von K. L. Herbig in Leipzig, — Druck von Hiithel « Herrmann in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/488>, abgerufen am 25.04.2024.