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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Das Mvier-Trolongement.

Gestern Nachmittag fand sich im kleinen Saale des Museums ein Kreis
musikalischer Notabilitäten -- darunter Herr von Perfall, Generalmusik¬
direktor Franz Lachner, der musikalische Berichterstatter der Neuen Freien
Presse. Prof. Dr. Ed. Hanslick aus Wien (der berühmte Verfasser des Buches:
"Die moderne Oper") und Andere -- zusammen, um eine rieue Erfindung
des Herrn Fr. Ehrbar, k. k. Hofpianofortesabrikanten in Wien, kennen zu
lernen und zu prüfen, welche alle Aussicht hat, eine totale Umwandlung auf
dem Gebiete der seither gewohnten Klangeffekte des Klaviers und die allge¬
meinste und größte Sensation hervorzurufen. Jetzt erst ist die volle Klang¬
fähigkeit dieses Instrumentes gewonnen und sind wahrhaft musikalische, in
ihrer Art vollendete Klangwirkungen auf ihm zu erzielen. Die Lösung
dieses Räthsels hat seit Jahrzehnten die Meister des Klavierbaues beschäftigt,
zahllose mehr oder minder gelungene Versuche hervorgerufen und Künstler
wie Instrumentenmacher zu nie rastendem Nachdenken veranlaßt. Die Er¬
findung des Herrn Ehrbar erscheint dadurch so genial und überraschend,
weil sie ebenso einfach in ihrer Konstruktion, als leicht zu handhaben ist.
Sie erinnert in Wahrheit an die bekannte Anekdote vom Et des Columbus.
Um die Klangfähigkeit der sonst so kurztönigen und klangarmen Klavier¬
instrumente zu steigern, benützte man seither die durch ein Pedal dirigirte
Dämpfung. Welches musikalische Ohr wurde nicht tausendmal beleidigt und
zur Verzweiflung gebracht, wenn unsere modernen Pianisten ihrem Pedal¬
gefühl allzusehr die Zügel schießen ließen und dem nach klaren Harmonien
durstenden Verlangen ein Tongewirre boten, in dem jeder musikalische Ausdruck und
Gedanke erstickt ward. Diese gehobene Dämpfung war in unserer modernen
Musik -- und das Klavier beherrscht ja dieselbe -- ein wahrer Diabolus,
denn sobald sie gebraucht wurde, klangen alle Töne des Instrumentes gleich¬
zeitig zusammen und ineinander. Ohne Benutzung des Pedals aber vermag
man ebenso wenig zu sein, da unser verwöhntes Ohr an möglichste Klang¬
fülle eines jeden Tonwerkzeuges Anspruch erhebt. Man hatte also immer
die Wahl zwischen Tonwirrwarr und Tonarmuth. Diesen Mißstand beseitigt
in glänzendster und vollendetster Weise das höchst sinnreich konstruirte
Klavier-Prolongeme ut (Tonverlängerung), wie Herr Ehrbar seine
Epoche machende Erfindung nennt. Das Prolongement besteht aus einem
einfachen, durch zwei Pedale (von denen vorzugsweise nur eins benutzt wird,
da es den Mechanismus in Bewegung setzt, das andere dient zur Auslösung)
leicht zu regierenden, an jedem Klaviere anzubringenden Apparate, mittelst


Grenjboten III. 187b. 10
Das Mvier-Trolongement.

Gestern Nachmittag fand sich im kleinen Saale des Museums ein Kreis
musikalischer Notabilitäten — darunter Herr von Perfall, Generalmusik¬
direktor Franz Lachner, der musikalische Berichterstatter der Neuen Freien
Presse. Prof. Dr. Ed. Hanslick aus Wien (der berühmte Verfasser des Buches:
„Die moderne Oper") und Andere — zusammen, um eine rieue Erfindung
des Herrn Fr. Ehrbar, k. k. Hofpianofortesabrikanten in Wien, kennen zu
lernen und zu prüfen, welche alle Aussicht hat, eine totale Umwandlung auf
dem Gebiete der seither gewohnten Klangeffekte des Klaviers und die allge¬
meinste und größte Sensation hervorzurufen. Jetzt erst ist die volle Klang¬
fähigkeit dieses Instrumentes gewonnen und sind wahrhaft musikalische, in
ihrer Art vollendete Klangwirkungen auf ihm zu erzielen. Die Lösung
dieses Räthsels hat seit Jahrzehnten die Meister des Klavierbaues beschäftigt,
zahllose mehr oder minder gelungene Versuche hervorgerufen und Künstler
wie Instrumentenmacher zu nie rastendem Nachdenken veranlaßt. Die Er¬
findung des Herrn Ehrbar erscheint dadurch so genial und überraschend,
weil sie ebenso einfach in ihrer Konstruktion, als leicht zu handhaben ist.
Sie erinnert in Wahrheit an die bekannte Anekdote vom Et des Columbus.
Um die Klangfähigkeit der sonst so kurztönigen und klangarmen Klavier¬
instrumente zu steigern, benützte man seither die durch ein Pedal dirigirte
Dämpfung. Welches musikalische Ohr wurde nicht tausendmal beleidigt und
zur Verzweiflung gebracht, wenn unsere modernen Pianisten ihrem Pedal¬
gefühl allzusehr die Zügel schießen ließen und dem nach klaren Harmonien
durstenden Verlangen ein Tongewirre boten, in dem jeder musikalische Ausdruck und
Gedanke erstickt ward. Diese gehobene Dämpfung war in unserer modernen
Musik — und das Klavier beherrscht ja dieselbe — ein wahrer Diabolus,
denn sobald sie gebraucht wurde, klangen alle Töne des Instrumentes gleich¬
zeitig zusammen und ineinander. Ohne Benutzung des Pedals aber vermag
man ebenso wenig zu sein, da unser verwöhntes Ohr an möglichste Klang¬
fülle eines jeden Tonwerkzeuges Anspruch erhebt. Man hatte also immer
die Wahl zwischen Tonwirrwarr und Tonarmuth. Diesen Mißstand beseitigt
in glänzendster und vollendetster Weise das höchst sinnreich konstruirte
Klavier-Prolongeme ut (Tonverlängerung), wie Herr Ehrbar seine
Epoche machende Erfindung nennt. Das Prolongement besteht aus einem
einfachen, durch zwei Pedale (von denen vorzugsweise nur eins benutzt wird,
da es den Mechanismus in Bewegung setzt, das andere dient zur Auslösung)
leicht zu regierenden, an jedem Klaviere anzubringenden Apparate, mittelst


Grenjboten III. 187b. 10
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[0081] Das Mvier-Trolongement. Gestern Nachmittag fand sich im kleinen Saale des Museums ein Kreis musikalischer Notabilitäten — darunter Herr von Perfall, Generalmusik¬ direktor Franz Lachner, der musikalische Berichterstatter der Neuen Freien Presse. Prof. Dr. Ed. Hanslick aus Wien (der berühmte Verfasser des Buches: „Die moderne Oper") und Andere — zusammen, um eine rieue Erfindung des Herrn Fr. Ehrbar, k. k. Hofpianofortesabrikanten in Wien, kennen zu lernen und zu prüfen, welche alle Aussicht hat, eine totale Umwandlung auf dem Gebiete der seither gewohnten Klangeffekte des Klaviers und die allge¬ meinste und größte Sensation hervorzurufen. Jetzt erst ist die volle Klang¬ fähigkeit dieses Instrumentes gewonnen und sind wahrhaft musikalische, in ihrer Art vollendete Klangwirkungen auf ihm zu erzielen. Die Lösung dieses Räthsels hat seit Jahrzehnten die Meister des Klavierbaues beschäftigt, zahllose mehr oder minder gelungene Versuche hervorgerufen und Künstler wie Instrumentenmacher zu nie rastendem Nachdenken veranlaßt. Die Er¬ findung des Herrn Ehrbar erscheint dadurch so genial und überraschend, weil sie ebenso einfach in ihrer Konstruktion, als leicht zu handhaben ist. Sie erinnert in Wahrheit an die bekannte Anekdote vom Et des Columbus. Um die Klangfähigkeit der sonst so kurztönigen und klangarmen Klavier¬ instrumente zu steigern, benützte man seither die durch ein Pedal dirigirte Dämpfung. Welches musikalische Ohr wurde nicht tausendmal beleidigt und zur Verzweiflung gebracht, wenn unsere modernen Pianisten ihrem Pedal¬ gefühl allzusehr die Zügel schießen ließen und dem nach klaren Harmonien durstenden Verlangen ein Tongewirre boten, in dem jeder musikalische Ausdruck und Gedanke erstickt ward. Diese gehobene Dämpfung war in unserer modernen Musik — und das Klavier beherrscht ja dieselbe — ein wahrer Diabolus, denn sobald sie gebraucht wurde, klangen alle Töne des Instrumentes gleich¬ zeitig zusammen und ineinander. Ohne Benutzung des Pedals aber vermag man ebenso wenig zu sein, da unser verwöhntes Ohr an möglichste Klang¬ fülle eines jeden Tonwerkzeuges Anspruch erhebt. Man hatte also immer die Wahl zwischen Tonwirrwarr und Tonarmuth. Diesen Mißstand beseitigt in glänzendster und vollendetster Weise das höchst sinnreich konstruirte Klavier-Prolongeme ut (Tonverlängerung), wie Herr Ehrbar seine Epoche machende Erfindung nennt. Das Prolongement besteht aus einem einfachen, durch zwei Pedale (von denen vorzugsweise nur eins benutzt wird, da es den Mechanismus in Bewegung setzt, das andere dient zur Auslösung) leicht zu regierenden, an jedem Klaviere anzubringenden Apparate, mittelst Grenjboten III. 187b. 10

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/81>, abgerufen am 16.04.2024.