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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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ihren Eifer im Predigen, katholische Priester ihren Eifer im Singen mit
Bruchschäden büßen müßten. Die Anwendung auf den vorliegenden Fall
liegt nahe. Es könnten sich Manche zu Invaliden singen. Und das wäre
dann um so schlimmer, wenn andrerseits die Kanonen immer mehr zu Riesen¬
kanonen anschwellen, deren Bedienung doch auch ungebrochene Riesen verlangt.
Freilich könnte man sich hier auf das Darwinistische Gesetz der Anpassung be¬
rufen, und die Schillersche Sentenz: "es wächst der Mensch mit seinen größern
Zwecken" in das tröstliche Wort übersetzen: es wächst die Tonhöhe der Stimme
mit der größern Tonhöhe der Noten. Einen Augenblick wurden wir auch
einmal von dieser Meinung angefochten. Wir befanden uns in einer Stadt,
welche eine übergroße Kirche hat und hörten einen Pfarrer der Kirche reden
mit einer übermächtigen Stimme. Wie nahe lag der Gedanke: das kommt
von der Anpassung! Allein nicht lange nachher vernahm man, der bezeichnete
Pfarrer sei in Folge übermäßiger Anstrengung an der Schwindsucht gestorben.
So gibt es also große Dinge in unserer Zeit genug, welche noch immer
größere Dinge in Aussicht stellen, wenn man nicht durch Einkehr in die Wahr¬
heit des idealen Menschenlebens zu einer größeren Erkenntniß kommt, daß
der Mensch selber das Maß der menschlichen Dinge ist, daß er nicht in
Steigerung, sondern in qualitativer und quantitativer Concentration zum Organ
und^Symbol des Ewigen werden kann.




Literatur.

Geschichte der Stadt Metz von Westphal, Major v. d. Armee. 1. Theil:
Bis zum Jahre 1552. Metz, 1875. Georg Lang.

Metz war von den ältesten Zeiten an durchaus französisch, ward zu Ende
des neunten Jahrhunderts den Franzosen gewaltsam und widerrechtlich ent¬
rissen, trug dann widerwillig das deutsche Joch und war glücklich, als es
1552 wieder mit Frankreich vereinigt wurde. Diese Sätze bedürfen für die
französischen Historiker keines Beweises und können ihnen zufolge nicht bestritten
werden. Aus dem vorstehend genannten, sehr in das Detail eingehenden, auf
fleißigen Studien beruhenden und wohlgeschriebenen Buche ersehen wir aber, daß
alle jene Behauptungen entweder halb wahr oder vollständige Täuschungen und
Flunkereien sind.

Nicht allein im metzer Landgebiet, sondern auch in der alten Moselstadt selbst
lebte von Chlodwig's Zeiten an bis zur Einverleibung beider in das franzö-


ihren Eifer im Predigen, katholische Priester ihren Eifer im Singen mit
Bruchschäden büßen müßten. Die Anwendung auf den vorliegenden Fall
liegt nahe. Es könnten sich Manche zu Invaliden singen. Und das wäre
dann um so schlimmer, wenn andrerseits die Kanonen immer mehr zu Riesen¬
kanonen anschwellen, deren Bedienung doch auch ungebrochene Riesen verlangt.
Freilich könnte man sich hier auf das Darwinistische Gesetz der Anpassung be¬
rufen, und die Schillersche Sentenz: „es wächst der Mensch mit seinen größern
Zwecken" in das tröstliche Wort übersetzen: es wächst die Tonhöhe der Stimme
mit der größern Tonhöhe der Noten. Einen Augenblick wurden wir auch
einmal von dieser Meinung angefochten. Wir befanden uns in einer Stadt,
welche eine übergroße Kirche hat und hörten einen Pfarrer der Kirche reden
mit einer übermächtigen Stimme. Wie nahe lag der Gedanke: das kommt
von der Anpassung! Allein nicht lange nachher vernahm man, der bezeichnete
Pfarrer sei in Folge übermäßiger Anstrengung an der Schwindsucht gestorben.
So gibt es also große Dinge in unserer Zeit genug, welche noch immer
größere Dinge in Aussicht stellen, wenn man nicht durch Einkehr in die Wahr¬
heit des idealen Menschenlebens zu einer größeren Erkenntniß kommt, daß
der Mensch selber das Maß der menschlichen Dinge ist, daß er nicht in
Steigerung, sondern in qualitativer und quantitativer Concentration zum Organ
und^Symbol des Ewigen werden kann.




Literatur.

Geschichte der Stadt Metz von Westphal, Major v. d. Armee. 1. Theil:
Bis zum Jahre 1552. Metz, 1875. Georg Lang.

Metz war von den ältesten Zeiten an durchaus französisch, ward zu Ende
des neunten Jahrhunderts den Franzosen gewaltsam und widerrechtlich ent¬
rissen, trug dann widerwillig das deutsche Joch und war glücklich, als es
1552 wieder mit Frankreich vereinigt wurde. Diese Sätze bedürfen für die
französischen Historiker keines Beweises und können ihnen zufolge nicht bestritten
werden. Aus dem vorstehend genannten, sehr in das Detail eingehenden, auf
fleißigen Studien beruhenden und wohlgeschriebenen Buche ersehen wir aber, daß
alle jene Behauptungen entweder halb wahr oder vollständige Täuschungen und
Flunkereien sind.

Nicht allein im metzer Landgebiet, sondern auch in der alten Moselstadt selbst
lebte von Chlodwig's Zeiten an bis zur Einverleibung beider in das franzö-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/86>, abgerufen am 25.04.2024.