Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Der MnisierwecM in Aaden.

Bis diese Zeilen in die Hand der Leser gelangt sein werden, sind nahezu
vier Wochen verflossen, seit das Ereigniß des jüngsten badischen Minister¬
wechsels, welches wir nachstehend besprechen, sich vollzogen hat. Innerhalb
dieser vier Wochen hat die Einbildungskraft müssiger Köpfe und die Schreib¬
seligkeit sensationslustiger Correspondenten genugsam Zeit gehabt, dem Publi¬
kum ihr Wissen oder auch Nichtwissen über das unverhofft eingetretene Er¬
eigniß darzulegen. Die Zeit ist nicht unbenutzt geblieben. Von dem kleinsten
Localblatt unseres badischen Ländchens an bis hinauf zu jenen Organen,
welche für Säulen der deutschen Presse erachtet werden, einer "Kreuz-Zeit.",
"Köln. Zeit.", "Allg. Zeit." u. s. w. ist der badische Ministerwechsel reichlich
besprochen worden. Die Tagesblätter jeglicher Parteifarbe haben ihm ihre
Beachtung geschenkt, also daß der Demokrat wetteiferte mit dem Ultramon-
tanen, der Nationalliberale nicht zurückstand hinter dem Deutsch-Conservativen.
Was wir aber bei all' diesen Darlegungen, mit wenigen Ausnahmen, fast
vollständig vermißt haben, das ist die Weite und Umsichtigkeit des politischen
Blickes, die das Einzelereigniß zu erfassen versteht in naturnothwendigen
Zusammenhang einer nicht erst seit kurzem gegebenen Constellatton. Dieses
kleinliche Suchen und stöbern nach dem Einzelgrund, der das Ereigniß zu
Tage förderte; dieses sich Anklammern an die einzelnen Worte des fürstlichen
Handschreibens, welches den neuen Ministerpräsidenten in sein Amt berufen
hat; dieses juristisch sorgfältige Bemühen, den Beweis eines nicht stattgehabten
und nicht statthabenden Systemwechsels aus diesem Zweifachen zu erbringen,
sie kennzeichnen doch wohl nur den Tagespolitiker, der von der Hand in den
Mund lebt. Wir wollen nicht zu diesen gerechnet sein. Das Einzelereigniß,
wie hervorstechend es auch sei, ist doch immerhin nur ein Glied, das mit
Naturnothwendigkeit sich einfügt in eine Kette, die nun einmal so angelegt
und geplant ist, daß sie auch dieses Gliedes nicht entbehren kann. Alles ist
Samen! Wer dieses Dichterwortes bei seinem politischen Raisonnements nicht
eingedenk war, der würde nicht wehren können, daß er trotz allen Anstrichs
der Geistreichigkeit, den er sich vielleicht zu geben weiß, dennoch unerbittlich
zu der Zahl derer gezählt würde, deren Geschäft in der deutschen Sprache
als Kannegießerei bezeichnet zu werden pflegt. Dagegen wird es freilich
auch nicht fehlen, daß wer den Gedanken jenes Wortes auch bei Betrachtung
der politischen Tagesgeschichte zur Geltung bringt, von der oberflächlichen
Kurzsichtigkeit oder dem bösen Uebelwollen der "Geschichtbaumeisterei" be¬
zichtigt und sammt seinen Aufstellungen mit vornehmem Lächeln bemitleidet wird.


Der MnisierwecM in Aaden.

Bis diese Zeilen in die Hand der Leser gelangt sein werden, sind nahezu
vier Wochen verflossen, seit das Ereigniß des jüngsten badischen Minister¬
wechsels, welches wir nachstehend besprechen, sich vollzogen hat. Innerhalb
dieser vier Wochen hat die Einbildungskraft müssiger Köpfe und die Schreib¬
seligkeit sensationslustiger Correspondenten genugsam Zeit gehabt, dem Publi¬
kum ihr Wissen oder auch Nichtwissen über das unverhofft eingetretene Er¬
eigniß darzulegen. Die Zeit ist nicht unbenutzt geblieben. Von dem kleinsten
Localblatt unseres badischen Ländchens an bis hinauf zu jenen Organen,
welche für Säulen der deutschen Presse erachtet werden, einer „Kreuz-Zeit.",
„Köln. Zeit.", „Allg. Zeit." u. s. w. ist der badische Ministerwechsel reichlich
besprochen worden. Die Tagesblätter jeglicher Parteifarbe haben ihm ihre
Beachtung geschenkt, also daß der Demokrat wetteiferte mit dem Ultramon-
tanen, der Nationalliberale nicht zurückstand hinter dem Deutsch-Conservativen.
Was wir aber bei all' diesen Darlegungen, mit wenigen Ausnahmen, fast
vollständig vermißt haben, das ist die Weite und Umsichtigkeit des politischen
Blickes, die das Einzelereigniß zu erfassen versteht in naturnothwendigen
Zusammenhang einer nicht erst seit kurzem gegebenen Constellatton. Dieses
kleinliche Suchen und stöbern nach dem Einzelgrund, der das Ereigniß zu
Tage förderte; dieses sich Anklammern an die einzelnen Worte des fürstlichen
Handschreibens, welches den neuen Ministerpräsidenten in sein Amt berufen
hat; dieses juristisch sorgfältige Bemühen, den Beweis eines nicht stattgehabten
und nicht statthabenden Systemwechsels aus diesem Zweifachen zu erbringen,
sie kennzeichnen doch wohl nur den Tagespolitiker, der von der Hand in den
Mund lebt. Wir wollen nicht zu diesen gerechnet sein. Das Einzelereigniß,
wie hervorstechend es auch sei, ist doch immerhin nur ein Glied, das mit
Naturnothwendigkeit sich einfügt in eine Kette, die nun einmal so angelegt
und geplant ist, daß sie auch dieses Gliedes nicht entbehren kann. Alles ist
Samen! Wer dieses Dichterwortes bei seinem politischen Raisonnements nicht
eingedenk war, der würde nicht wehren können, daß er trotz allen Anstrichs
der Geistreichigkeit, den er sich vielleicht zu geben weiß, dennoch unerbittlich
zu der Zahl derer gezählt würde, deren Geschäft in der deutschen Sprache
als Kannegießerei bezeichnet zu werden pflegt. Dagegen wird es freilich
auch nicht fehlen, daß wer den Gedanken jenes Wortes auch bei Betrachtung
der politischen Tagesgeschichte zur Geltung bringt, von der oberflächlichen
Kurzsichtigkeit oder dem bösen Uebelwollen der „Geschichtbaumeisterei" be¬
zichtigt und sammt seinen Aufstellungen mit vornehmem Lächeln bemitleidet wird.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0148" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136787"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der MnisierwecM in Aaden.<lb/></head><lb/>
          <p xml:id="ID_397" next="#ID_398"> Bis diese Zeilen in die Hand der Leser gelangt sein werden, sind nahezu<lb/>
vier Wochen verflossen, seit das Ereigniß des jüngsten badischen Minister¬<lb/>
wechsels, welches wir nachstehend besprechen, sich vollzogen hat. Innerhalb<lb/>
dieser vier Wochen hat die Einbildungskraft müssiger Köpfe und die Schreib¬<lb/>
seligkeit sensationslustiger Correspondenten genugsam Zeit gehabt, dem Publi¬<lb/>
kum ihr Wissen oder auch Nichtwissen über das unverhofft eingetretene Er¬<lb/>
eigniß darzulegen. Die Zeit ist nicht unbenutzt geblieben. Von dem kleinsten<lb/>
Localblatt unseres badischen Ländchens an bis hinauf zu jenen Organen,<lb/>
welche für Säulen der deutschen Presse erachtet werden, einer &#x201E;Kreuz-Zeit.",<lb/>
&#x201E;Köln. Zeit.", &#x201E;Allg. Zeit." u. s. w. ist der badische Ministerwechsel reichlich<lb/>
besprochen worden.  Die Tagesblätter jeglicher Parteifarbe haben ihm ihre<lb/>
Beachtung geschenkt, also daß der Demokrat wetteiferte mit dem Ultramon-<lb/>
tanen, der Nationalliberale nicht zurückstand hinter dem Deutsch-Conservativen.<lb/>
Was wir aber bei all' diesen Darlegungen, mit wenigen Ausnahmen, fast<lb/>
vollständig vermißt haben, das ist die Weite und Umsichtigkeit des politischen<lb/>
Blickes, die das Einzelereigniß zu erfassen versteht in naturnothwendigen<lb/>
Zusammenhang einer nicht erst seit kurzem gegebenen Constellatton. Dieses<lb/>
kleinliche Suchen und stöbern nach dem Einzelgrund, der das Ereigniß zu<lb/>
Tage förderte; dieses sich Anklammern an die einzelnen Worte des fürstlichen<lb/>
Handschreibens, welches den neuen Ministerpräsidenten in sein Amt berufen<lb/>
hat; dieses juristisch sorgfältige Bemühen, den Beweis eines nicht stattgehabten<lb/>
und nicht statthabenden Systemwechsels aus diesem Zweifachen zu erbringen,<lb/>
sie kennzeichnen doch wohl nur den Tagespolitiker, der von der Hand in den<lb/>
Mund lebt. Wir wollen nicht zu diesen gerechnet sein.  Das Einzelereigniß,<lb/>
wie hervorstechend es auch sei, ist doch immerhin nur ein Glied, das mit<lb/>
Naturnothwendigkeit sich einfügt in eine Kette, die nun einmal so angelegt<lb/>
und geplant ist, daß sie auch dieses Gliedes nicht entbehren kann.  Alles ist<lb/>
Samen! Wer dieses Dichterwortes bei seinem politischen Raisonnements nicht<lb/>
eingedenk war, der würde nicht wehren können, daß er trotz allen Anstrichs<lb/>
der Geistreichigkeit, den er sich vielleicht zu geben weiß, dennoch unerbittlich<lb/>
zu der Zahl derer gezählt würde, deren Geschäft in der deutschen Sprache<lb/>
als Kannegießerei bezeichnet zu werden pflegt.  Dagegen wird es freilich<lb/>
auch nicht fehlen, daß wer den Gedanken jenes Wortes auch bei Betrachtung<lb/>
der politischen Tagesgeschichte zur Geltung bringt, von der oberflächlichen<lb/>
Kurzsichtigkeit oder dem bösen Uebelwollen der &#x201E;Geschichtbaumeisterei" be¬<lb/>
zichtigt und sammt seinen Aufstellungen mit vornehmem Lächeln bemitleidet wird.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0148] Der MnisierwecM in Aaden. Bis diese Zeilen in die Hand der Leser gelangt sein werden, sind nahezu vier Wochen verflossen, seit das Ereigniß des jüngsten badischen Minister¬ wechsels, welches wir nachstehend besprechen, sich vollzogen hat. Innerhalb dieser vier Wochen hat die Einbildungskraft müssiger Köpfe und die Schreib¬ seligkeit sensationslustiger Correspondenten genugsam Zeit gehabt, dem Publi¬ kum ihr Wissen oder auch Nichtwissen über das unverhofft eingetretene Er¬ eigniß darzulegen. Die Zeit ist nicht unbenutzt geblieben. Von dem kleinsten Localblatt unseres badischen Ländchens an bis hinauf zu jenen Organen, welche für Säulen der deutschen Presse erachtet werden, einer „Kreuz-Zeit.", „Köln. Zeit.", „Allg. Zeit." u. s. w. ist der badische Ministerwechsel reichlich besprochen worden. Die Tagesblätter jeglicher Parteifarbe haben ihm ihre Beachtung geschenkt, also daß der Demokrat wetteiferte mit dem Ultramon- tanen, der Nationalliberale nicht zurückstand hinter dem Deutsch-Conservativen. Was wir aber bei all' diesen Darlegungen, mit wenigen Ausnahmen, fast vollständig vermißt haben, das ist die Weite und Umsichtigkeit des politischen Blickes, die das Einzelereigniß zu erfassen versteht in naturnothwendigen Zusammenhang einer nicht erst seit kurzem gegebenen Constellatton. Dieses kleinliche Suchen und stöbern nach dem Einzelgrund, der das Ereigniß zu Tage förderte; dieses sich Anklammern an die einzelnen Worte des fürstlichen Handschreibens, welches den neuen Ministerpräsidenten in sein Amt berufen hat; dieses juristisch sorgfältige Bemühen, den Beweis eines nicht stattgehabten und nicht statthabenden Systemwechsels aus diesem Zweifachen zu erbringen, sie kennzeichnen doch wohl nur den Tagespolitiker, der von der Hand in den Mund lebt. Wir wollen nicht zu diesen gerechnet sein. Das Einzelereigniß, wie hervorstechend es auch sei, ist doch immerhin nur ein Glied, das mit Naturnothwendigkeit sich einfügt in eine Kette, die nun einmal so angelegt und geplant ist, daß sie auch dieses Gliedes nicht entbehren kann. Alles ist Samen! Wer dieses Dichterwortes bei seinem politischen Raisonnements nicht eingedenk war, der würde nicht wehren können, daß er trotz allen Anstrichs der Geistreichigkeit, den er sich vielleicht zu geben weiß, dennoch unerbittlich zu der Zahl derer gezählt würde, deren Geschäft in der deutschen Sprache als Kannegießerei bezeichnet zu werden pflegt. Dagegen wird es freilich auch nicht fehlen, daß wer den Gedanken jenes Wortes auch bei Betrachtung der politischen Tagesgeschichte zur Geltung bringt, von der oberflächlichen Kurzsichtigkeit oder dem bösen Uebelwollen der „Geschichtbaumeisterei" be¬ zichtigt und sammt seinen Aufstellungen mit vornehmem Lächeln bemitleidet wird.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/148
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/148>, abgerufen am 29.04.2024.