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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Gewand zu geben, so liest sich unserer Meinung nach seine Verdeutschung in
gereimten Jamben ganz außerordentlich gut und sogar besser, als die ihr
vorangegangnen in Hexametern nachgedichteten. Es verhält sich eben anders
mit der Odyssee als mit der strengen, gepanzerten, gewaltigen Ilias. In ihr
ist die altklassische Würde und Hoheit aufs Innigste verschmolzen mit einer
wunderbaren Romantik, wie wir sie selbst bei den italienischen Dichterheroen
vergeblich suchen. Die sittliche Idee, welche sich durch das Ganze hindurch¬
zieht, leidet durch die vielfach eingewebten humoristischen Episoden durchaus
nicht. Die grausenvollsten Abenteuer wechseln mit den zartesten Idyllen, mit
den entzückendsten Naturmalereien. Nirgends ist die Rohheit der Völker, die
Grausamkeit und Wildheit der Menschen schreckensvoller, nirgends aber auch
sind ihre edlen Eigenschaften liebenswerther, die Gattentreue, die Mutterliebe,
die Ergebenheit alter Diener ergreifender und rührender dargestellt. Hier
aber ist die romantische, auch in der deutschen Sprache so wohltönende und
so natürlich klingende Stanze am Platze, Im Uebrigen ist der Uebersetzer
dem Urtext (er folgt der Ausgabe von Fache) nach Möglichkeit treu geblieben,
und da er mit sehr geringen Ausnahmen vortreffliche Verse macht, können
wir seine Arbeit nach allen Seiten hin empfehlen. Namentlich unter Frauen,
denen der Hexameter wie der ungereimte Vers überhaupt unsrer Erfahrung
nach immer unsympathisch fein wird, dürfte seine Uebersetzung Glück und für
Homer Propaganda machen.


Lose Blätter und leichte Waare. Gedichte für Stunden heiterer Einsamkeit
und banger Freiwilligenprüfung von Woldemar Wenck. Leipzig, Verlag von
B. Schlicke. 1877.

Das ist Recht, daß unser bester leipziger Gelegenheitsdichter endlich ge>
wagt hat, mit dem Schönsten, was seine liebenswürdige Laune, seine schelmische
Ironie und sein immer vergnügter und vergnüglicher Witz ihm die Jahre
daher bescheerten, vor ein größeres Publikum zu treten. Er, hat durchaus
nicht zu fürchten, was er in den einleitenden Versen sagt, wenn er klagt:


"Wem kam nicht schmerzlich zu Gehöre
Das Loos unzähliger Tenöre?
Im trauten Zimmer, am Clavier,
Glückt mancher Ton und wirkt das Beste.
Nun treiben Muth und Ehrbegier
Zur Bühne, in Concertpaläste. --
Der Raum, wie weit! Die Welt, wie kalt!
Der Ton, der Künstler -- er verhallt."

Die Welt wird nicht kalt bleiben vor diesen Gedichten, sie wird sie ihrer
Mehrzahl nach allerliebst finden, es wird ihr warm, traulich, im besten Sinne


Gewand zu geben, so liest sich unserer Meinung nach seine Verdeutschung in
gereimten Jamben ganz außerordentlich gut und sogar besser, als die ihr
vorangegangnen in Hexametern nachgedichteten. Es verhält sich eben anders
mit der Odyssee als mit der strengen, gepanzerten, gewaltigen Ilias. In ihr
ist die altklassische Würde und Hoheit aufs Innigste verschmolzen mit einer
wunderbaren Romantik, wie wir sie selbst bei den italienischen Dichterheroen
vergeblich suchen. Die sittliche Idee, welche sich durch das Ganze hindurch¬
zieht, leidet durch die vielfach eingewebten humoristischen Episoden durchaus
nicht. Die grausenvollsten Abenteuer wechseln mit den zartesten Idyllen, mit
den entzückendsten Naturmalereien. Nirgends ist die Rohheit der Völker, die
Grausamkeit und Wildheit der Menschen schreckensvoller, nirgends aber auch
sind ihre edlen Eigenschaften liebenswerther, die Gattentreue, die Mutterliebe,
die Ergebenheit alter Diener ergreifender und rührender dargestellt. Hier
aber ist die romantische, auch in der deutschen Sprache so wohltönende und
so natürlich klingende Stanze am Platze, Im Uebrigen ist der Uebersetzer
dem Urtext (er folgt der Ausgabe von Fache) nach Möglichkeit treu geblieben,
und da er mit sehr geringen Ausnahmen vortreffliche Verse macht, können
wir seine Arbeit nach allen Seiten hin empfehlen. Namentlich unter Frauen,
denen der Hexameter wie der ungereimte Vers überhaupt unsrer Erfahrung
nach immer unsympathisch fein wird, dürfte seine Uebersetzung Glück und für
Homer Propaganda machen.


Lose Blätter und leichte Waare. Gedichte für Stunden heiterer Einsamkeit
und banger Freiwilligenprüfung von Woldemar Wenck. Leipzig, Verlag von
B. Schlicke. 1877.

Das ist Recht, daß unser bester leipziger Gelegenheitsdichter endlich ge>
wagt hat, mit dem Schönsten, was seine liebenswürdige Laune, seine schelmische
Ironie und sein immer vergnügter und vergnüglicher Witz ihm die Jahre
daher bescheerten, vor ein größeres Publikum zu treten. Er, hat durchaus
nicht zu fürchten, was er in den einleitenden Versen sagt, wenn er klagt:


„Wem kam nicht schmerzlich zu Gehöre
Das Loos unzähliger Tenöre?
Im trauten Zimmer, am Clavier,
Glückt mancher Ton und wirkt das Beste.
Nun treiben Muth und Ehrbegier
Zur Bühne, in Concertpaläste. —
Der Raum, wie weit! Die Welt, wie kalt!
Der Ton, der Künstler — er verhallt."

Die Welt wird nicht kalt bleiben vor diesen Gedichten, sie wird sie ihrer
Mehrzahl nach allerliebst finden, es wird ihr warm, traulich, im besten Sinne


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[0161] Gewand zu geben, so liest sich unserer Meinung nach seine Verdeutschung in gereimten Jamben ganz außerordentlich gut und sogar besser, als die ihr vorangegangnen in Hexametern nachgedichteten. Es verhält sich eben anders mit der Odyssee als mit der strengen, gepanzerten, gewaltigen Ilias. In ihr ist die altklassische Würde und Hoheit aufs Innigste verschmolzen mit einer wunderbaren Romantik, wie wir sie selbst bei den italienischen Dichterheroen vergeblich suchen. Die sittliche Idee, welche sich durch das Ganze hindurch¬ zieht, leidet durch die vielfach eingewebten humoristischen Episoden durchaus nicht. Die grausenvollsten Abenteuer wechseln mit den zartesten Idyllen, mit den entzückendsten Naturmalereien. Nirgends ist die Rohheit der Völker, die Grausamkeit und Wildheit der Menschen schreckensvoller, nirgends aber auch sind ihre edlen Eigenschaften liebenswerther, die Gattentreue, die Mutterliebe, die Ergebenheit alter Diener ergreifender und rührender dargestellt. Hier aber ist die romantische, auch in der deutschen Sprache so wohltönende und so natürlich klingende Stanze am Platze, Im Uebrigen ist der Uebersetzer dem Urtext (er folgt der Ausgabe von Fache) nach Möglichkeit treu geblieben, und da er mit sehr geringen Ausnahmen vortreffliche Verse macht, können wir seine Arbeit nach allen Seiten hin empfehlen. Namentlich unter Frauen, denen der Hexameter wie der ungereimte Vers überhaupt unsrer Erfahrung nach immer unsympathisch fein wird, dürfte seine Uebersetzung Glück und für Homer Propaganda machen. Lose Blätter und leichte Waare. Gedichte für Stunden heiterer Einsamkeit und banger Freiwilligenprüfung von Woldemar Wenck. Leipzig, Verlag von B. Schlicke. 1877. Das ist Recht, daß unser bester leipziger Gelegenheitsdichter endlich ge> wagt hat, mit dem Schönsten, was seine liebenswürdige Laune, seine schelmische Ironie und sein immer vergnügter und vergnüglicher Witz ihm die Jahre daher bescheerten, vor ein größeres Publikum zu treten. Er, hat durchaus nicht zu fürchten, was er in den einleitenden Versen sagt, wenn er klagt: „Wem kam nicht schmerzlich zu Gehöre Das Loos unzähliger Tenöre? Im trauten Zimmer, am Clavier, Glückt mancher Ton und wirkt das Beste. Nun treiben Muth und Ehrbegier Zur Bühne, in Concertpaläste. — Der Raum, wie weit! Die Welt, wie kalt! Der Ton, der Künstler — er verhallt." Die Welt wird nicht kalt bleiben vor diesen Gedichten, sie wird sie ihrer Mehrzahl nach allerliebst finden, es wird ihr warm, traulich, im besten Sinne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/161>, abgerufen am 29.04.2024.