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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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sich noch nicht losreißen von der Tradition, von dem Einfluß der aufgeregten
Menge, die sich dem Liberalismus und dem damit verbundenen Ultramon^
tanismus der Belgier gegenüber um den König und dessen Politik schaart.
Der Liberalismus ist ihm die fortgesetzte Revolution. Er schreibt darüber
an Groen van Prinsterer: "Man klagt, daß der revolutionäre Geist bei den
Unterthanen noch immer nicht zum Stillstand gekommen ist. Aber aus
welchem Grund erwartet man politische Gelassenheit, wenn die Regierung
selbst nach denselben revolutionären Prinzipien handelt? Oder wie ist es
anders zu erklären, wenn die Regierung glaubt, sich unbedingt fügen zu
müssen in das Verlangen einer eingebildeten oder wirklichen Majorität der
Einwohner?" "Ich glaube, daß es nur in wenigen Fällen für eine Regierung
paßt, sich in einen Prozeß vor dem Gericht der öffentlichen Meinung hinein¬
schleppen zu lassen. Der Enthusiasmus der Volks- und Freiheitsvertheidiger
wird nicht länger anhalten, als man demselben Aufmerksamkeit schenkt."
Aus der Correspondenz, welche Thorbecke in den Jahren 1830--1832 mit,
Groen van Prinsterer geführt hat, erhellt deutlich, daß er sich damals, wenn
auch nicht so überzeugungsvoll, doch ganz auf dem antirevolutionären Stand¬
punkte Groen's befand, dem dieser bis zu seinem Ende treu geblieben ist.

Der König zeigte sich bekanntlich geneigt, den belgischen Liberalen Con¬
cessionen zu machen, um sich mit mehr Kraft gegen die Ultramontanen wenden
zu können. Thorbecke hält das für einen Fehler. Er war ein Gegner des
Liberalismus; er wollte, der König Wilhelm I. sollte ihn durch kräftige
Mittel im Zaume halten; er wirft der Regierung Schwäche vor: "Sehr
wünschenswert!) würde es nach meiner Meinung gewesen sein, daß es nicht
so weit gekommen wäre, um solche strenge Maßregeln nöthig zu machen.
Ein geringer Theil der Festigkeit und Strenge, die man zuletzt in vollem
Maße angewandt hat, würde, frühzeitig gezeigt, vielleicht hinreichend gewesen
sein, den gewünschten Erfolg zu erlangen." Aber auch in Bezug auf die
Thätigkeit der katholischen Geistlichkeit hat Thorbecke sich nicht allein damals,
sondern auch noch später gänzlich getäuscht. Er hat dieser Illusion auch
dann noch nicht entsagt, als ihm der Ultramontanismus, nachdem er mit
Thorbecke's Hülfe zu einer herrschenden Macht geworden war, den Rücken
wandte und ihn mit Schmähungen überhäufte. In so fern hielt Thorbecke
an dem Irrthum der Besten seiner Zeitgenossen fest. Hätte König Wilhelm
sich dazu entschließen können, sein Land in wirklich liberaler Weise zu regieren,
so daß er die liberale Partei in Belgien zufrieden gestellt hätte, vielleicht
wäre die Trennung zwischen Süden und Norden nicht erfolgt und Belgien
wäre vor der Herrschaft der Jesuiten behütet worden. Aber der in den ^
Nordniederlanden herrschende Geist und der autokratische Character des Königs
konnten sich dazu nicht verstehen. Die Belgier klagten fortwährend über un-


I

sich noch nicht losreißen von der Tradition, von dem Einfluß der aufgeregten
Menge, die sich dem Liberalismus und dem damit verbundenen Ultramon^
tanismus der Belgier gegenüber um den König und dessen Politik schaart.
Der Liberalismus ist ihm die fortgesetzte Revolution. Er schreibt darüber
an Groen van Prinsterer: „Man klagt, daß der revolutionäre Geist bei den
Unterthanen noch immer nicht zum Stillstand gekommen ist. Aber aus
welchem Grund erwartet man politische Gelassenheit, wenn die Regierung
selbst nach denselben revolutionären Prinzipien handelt? Oder wie ist es
anders zu erklären, wenn die Regierung glaubt, sich unbedingt fügen zu
müssen in das Verlangen einer eingebildeten oder wirklichen Majorität der
Einwohner?" „Ich glaube, daß es nur in wenigen Fällen für eine Regierung
paßt, sich in einen Prozeß vor dem Gericht der öffentlichen Meinung hinein¬
schleppen zu lassen. Der Enthusiasmus der Volks- und Freiheitsvertheidiger
wird nicht länger anhalten, als man demselben Aufmerksamkeit schenkt."
Aus der Correspondenz, welche Thorbecke in den Jahren 1830—1832 mit,
Groen van Prinsterer geführt hat, erhellt deutlich, daß er sich damals, wenn
auch nicht so überzeugungsvoll, doch ganz auf dem antirevolutionären Stand¬
punkte Groen's befand, dem dieser bis zu seinem Ende treu geblieben ist.

Der König zeigte sich bekanntlich geneigt, den belgischen Liberalen Con¬
cessionen zu machen, um sich mit mehr Kraft gegen die Ultramontanen wenden
zu können. Thorbecke hält das für einen Fehler. Er war ein Gegner des
Liberalismus; er wollte, der König Wilhelm I. sollte ihn durch kräftige
Mittel im Zaume halten; er wirft der Regierung Schwäche vor: „Sehr
wünschenswert!) würde es nach meiner Meinung gewesen sein, daß es nicht
so weit gekommen wäre, um solche strenge Maßregeln nöthig zu machen.
Ein geringer Theil der Festigkeit und Strenge, die man zuletzt in vollem
Maße angewandt hat, würde, frühzeitig gezeigt, vielleicht hinreichend gewesen
sein, den gewünschten Erfolg zu erlangen." Aber auch in Bezug auf die
Thätigkeit der katholischen Geistlichkeit hat Thorbecke sich nicht allein damals,
sondern auch noch später gänzlich getäuscht. Er hat dieser Illusion auch
dann noch nicht entsagt, als ihm der Ultramontanismus, nachdem er mit
Thorbecke's Hülfe zu einer herrschenden Macht geworden war, den Rücken
wandte und ihn mit Schmähungen überhäufte. In so fern hielt Thorbecke
an dem Irrthum der Besten seiner Zeitgenossen fest. Hätte König Wilhelm
sich dazu entschließen können, sein Land in wirklich liberaler Weise zu regieren,
so daß er die liberale Partei in Belgien zufrieden gestellt hätte, vielleicht
wäre die Trennung zwischen Süden und Norden nicht erfolgt und Belgien
wäre vor der Herrschaft der Jesuiten behütet worden. Aber der in den ^
Nordniederlanden herrschende Geist und der autokratische Character des Königs
konnten sich dazu nicht verstehen. Die Belgier klagten fortwährend über un-


I

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/166>, abgerufen am 29.04.2024.