Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ich will auf einen Monat zu der Wittwe zurückkehren und sehen, ob ich da¬
hin kommen kann, daß ich's aushalte, wenn du mich zur Bande gehören
lassen willst, Tom. Und wenn ich einmal ein richtiger Haupthahn von einem
Räuber werde, und alle Welt davon redet, so wird sie, glaube ich, stolz
darauf sein, daß sie mich aus dem Drecke gezogen hat."




Lazarus' Lesen der Seele.
Ehre und Ruhm.
Von or. L. Weis.

Wir sahen, wie Lazarus auf dem dynamischen Boden Kant's steht, wie
er über ihn hinausgeht, da er das Ich als das in Denken. Fühlen und
Wollen sich einheitlich bethätigende Selbst begriff. Die Folge dieser einheit¬
lichen Erfassung der Seele zeigt sich sofort darin, daß Lazarus die Ehre zu
^nem unmittelbaren Wesensbestand der Seele macht. Nur zu wahr sagt
Lazarus S.^ 129: "Die ältere Psychologie hat nichts weiter über die Ehre
gelehrt, als daß sie ein Gefühl sei; im Capitel über die Gefühle wurde auch
das Ehrgefühl aufgezählt, man wies ihm einen Ort an und das war
Alles." Diese Geringschätzung der Ehre war eine Folge jener antiken Vor¬
stellung, daß die Gottheit reine Intelligenz sei. Wie die Gottheit, so wird
auch ihr Ebenbild die Seele gedacht; man faßte auch diese blos als reine
Intelligenz auf und meinte, Selbstgefühl. Selbstbewußtsein, Wollen, Empfin¬
den seien eine Folge des Einflusses der irdischen Endlichkeit, durch welche die
Seele beschränkt und aus der harmonischen Ruhe der reinen Intelligenz her¬
ausgerissen würde, so daß nun die Seele als ein Einzelwesen sich fühle und
^löse, und in diesem Selbstbewußtsein unter dem Einfluß der trübenden Sinn¬
lichkeit sich der Unruhe des Wollens wie dem leidenschaftlichen Thun und
dem verwirrenden Irrthum hingegeben sehe. Plato und Aristoteles hofften
daher, mit dem Tode bet der Rückkehr in die reine Intelligenz von der ver¬
achteten Schranke des Selbstbewußtseins befreit zu werden. Eine Rückkehr
welche eigentlich denselben Erfolg haben muß, wie die Rückkehr ins nirvana
von welcher Kant sagt, es sei ein Ungeheuer von System zu denken, daß
'nan durch Zusammenfließen mit der Gottheit, also durch Vernichtung seiner
Persönlichkeit, sich mit der Gottheit verschlungen fühlen könne.

Die biblische Vorstellung vom persönlichen Gott brachte andere Vorstel¬
lungen über den Menschen. Sie weckte wie gesagt die Vorstellung, daß der


Grcnzbowi IV. Z87K. 29

ich will auf einen Monat zu der Wittwe zurückkehren und sehen, ob ich da¬
hin kommen kann, daß ich's aushalte, wenn du mich zur Bande gehören
lassen willst, Tom. Und wenn ich einmal ein richtiger Haupthahn von einem
Räuber werde, und alle Welt davon redet, so wird sie, glaube ich, stolz
darauf sein, daß sie mich aus dem Drecke gezogen hat."




Lazarus' Lesen der Seele.
Ehre und Ruhm.
Von or. L. Weis.

Wir sahen, wie Lazarus auf dem dynamischen Boden Kant's steht, wie
er über ihn hinausgeht, da er das Ich als das in Denken. Fühlen und
Wollen sich einheitlich bethätigende Selbst begriff. Die Folge dieser einheit¬
lichen Erfassung der Seele zeigt sich sofort darin, daß Lazarus die Ehre zu
^nem unmittelbaren Wesensbestand der Seele macht. Nur zu wahr sagt
Lazarus S.^ 129: „Die ältere Psychologie hat nichts weiter über die Ehre
gelehrt, als daß sie ein Gefühl sei; im Capitel über die Gefühle wurde auch
das Ehrgefühl aufgezählt, man wies ihm einen Ort an und das war
Alles." Diese Geringschätzung der Ehre war eine Folge jener antiken Vor¬
stellung, daß die Gottheit reine Intelligenz sei. Wie die Gottheit, so wird
auch ihr Ebenbild die Seele gedacht; man faßte auch diese blos als reine
Intelligenz auf und meinte, Selbstgefühl. Selbstbewußtsein, Wollen, Empfin¬
den seien eine Folge des Einflusses der irdischen Endlichkeit, durch welche die
Seele beschränkt und aus der harmonischen Ruhe der reinen Intelligenz her¬
ausgerissen würde, so daß nun die Seele als ein Einzelwesen sich fühle und
^löse, und in diesem Selbstbewußtsein unter dem Einfluß der trübenden Sinn¬
lichkeit sich der Unruhe des Wollens wie dem leidenschaftlichen Thun und
dem verwirrenden Irrthum hingegeben sehe. Plato und Aristoteles hofften
daher, mit dem Tode bet der Rückkehr in die reine Intelligenz von der ver¬
achteten Schranke des Selbstbewußtseins befreit zu werden. Eine Rückkehr
welche eigentlich denselben Erfolg haben muß, wie die Rückkehr ins nirvana
von welcher Kant sagt, es sei ein Ungeheuer von System zu denken, daß
'nan durch Zusammenfließen mit der Gottheit, also durch Vernichtung seiner
Persönlichkeit, sich mit der Gottheit verschlungen fühlen könne.

Die biblische Vorstellung vom persönlichen Gott brachte andere Vorstel¬
lungen über den Menschen. Sie weckte wie gesagt die Vorstellung, daß der


Grcnzbowi IV. Z87K. 29
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0229" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136868"/>
          <p xml:id="ID_637" prev="#ID_636"> ich will auf einen Monat zu der Wittwe zurückkehren und sehen, ob ich da¬<lb/>
hin kommen kann, daß ich's aushalte, wenn du mich zur Bande gehören<lb/>
lassen willst, Tom. Und wenn ich einmal ein richtiger Haupthahn von einem<lb/>
Räuber werde, und alle Welt davon redet, so wird sie, glaube ich, stolz<lb/>
darauf sein, daß sie mich aus dem Drecke gezogen hat."</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Lazarus' Lesen der Seele.<lb/>
Ehre und Ruhm.<lb/><note type="byline"> Von or. L. Weis.</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_638"> Wir sahen, wie Lazarus auf dem dynamischen Boden Kant's steht, wie<lb/>
er über ihn hinausgeht, da er das Ich als das in Denken. Fühlen und<lb/>
Wollen sich einheitlich bethätigende Selbst begriff. Die Folge dieser einheit¬<lb/>
lichen Erfassung der Seele zeigt sich sofort darin, daß Lazarus die Ehre zu<lb/>
^nem unmittelbaren Wesensbestand der Seele macht. Nur zu wahr sagt<lb/>
Lazarus S.^ 129: &#x201E;Die ältere Psychologie hat nichts weiter über die Ehre<lb/>
gelehrt, als daß sie ein Gefühl sei; im Capitel über die Gefühle wurde auch<lb/>
das Ehrgefühl aufgezählt, man wies ihm einen Ort an und das war<lb/>
Alles." Diese Geringschätzung der Ehre war eine Folge jener antiken Vor¬<lb/>
stellung, daß die Gottheit reine Intelligenz sei. Wie die Gottheit, so wird<lb/>
auch ihr Ebenbild die Seele gedacht; man faßte auch diese blos als reine<lb/>
Intelligenz auf und meinte, Selbstgefühl. Selbstbewußtsein, Wollen, Empfin¬<lb/>
den seien eine Folge des Einflusses der irdischen Endlichkeit, durch welche die<lb/>
Seele beschränkt und aus der harmonischen Ruhe der reinen Intelligenz her¬<lb/>
ausgerissen würde, so daß nun die Seele als ein Einzelwesen sich fühle und<lb/>
^löse, und in diesem Selbstbewußtsein unter dem Einfluß der trübenden Sinn¬<lb/>
lichkeit sich der Unruhe des Wollens wie dem leidenschaftlichen Thun und<lb/>
dem verwirrenden Irrthum hingegeben sehe. Plato und Aristoteles hofften<lb/>
daher, mit dem Tode bet der Rückkehr in die reine Intelligenz von der ver¬<lb/>
achteten Schranke des Selbstbewußtseins befreit zu werden. Eine Rückkehr<lb/>
welche eigentlich denselben Erfolg haben muß, wie die Rückkehr ins nirvana<lb/>
von welcher Kant sagt, es sei ein Ungeheuer von System zu denken, daß<lb/>
'nan durch Zusammenfließen mit der Gottheit, also durch Vernichtung seiner<lb/>
Persönlichkeit, sich mit der Gottheit verschlungen fühlen könne.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_639" next="#ID_640"> Die biblische Vorstellung vom persönlichen Gott brachte andere Vorstel¬<lb/>
lungen über den Menschen.  Sie weckte wie gesagt die Vorstellung, daß der</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grcnzbowi IV. Z87K. 29</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0229] ich will auf einen Monat zu der Wittwe zurückkehren und sehen, ob ich da¬ hin kommen kann, daß ich's aushalte, wenn du mich zur Bande gehören lassen willst, Tom. Und wenn ich einmal ein richtiger Haupthahn von einem Räuber werde, und alle Welt davon redet, so wird sie, glaube ich, stolz darauf sein, daß sie mich aus dem Drecke gezogen hat." Lazarus' Lesen der Seele. Ehre und Ruhm. Von or. L. Weis. Wir sahen, wie Lazarus auf dem dynamischen Boden Kant's steht, wie er über ihn hinausgeht, da er das Ich als das in Denken. Fühlen und Wollen sich einheitlich bethätigende Selbst begriff. Die Folge dieser einheit¬ lichen Erfassung der Seele zeigt sich sofort darin, daß Lazarus die Ehre zu ^nem unmittelbaren Wesensbestand der Seele macht. Nur zu wahr sagt Lazarus S.^ 129: „Die ältere Psychologie hat nichts weiter über die Ehre gelehrt, als daß sie ein Gefühl sei; im Capitel über die Gefühle wurde auch das Ehrgefühl aufgezählt, man wies ihm einen Ort an und das war Alles." Diese Geringschätzung der Ehre war eine Folge jener antiken Vor¬ stellung, daß die Gottheit reine Intelligenz sei. Wie die Gottheit, so wird auch ihr Ebenbild die Seele gedacht; man faßte auch diese blos als reine Intelligenz auf und meinte, Selbstgefühl. Selbstbewußtsein, Wollen, Empfin¬ den seien eine Folge des Einflusses der irdischen Endlichkeit, durch welche die Seele beschränkt und aus der harmonischen Ruhe der reinen Intelligenz her¬ ausgerissen würde, so daß nun die Seele als ein Einzelwesen sich fühle und ^löse, und in diesem Selbstbewußtsein unter dem Einfluß der trübenden Sinn¬ lichkeit sich der Unruhe des Wollens wie dem leidenschaftlichen Thun und dem verwirrenden Irrthum hingegeben sehe. Plato und Aristoteles hofften daher, mit dem Tode bet der Rückkehr in die reine Intelligenz von der ver¬ achteten Schranke des Selbstbewußtseins befreit zu werden. Eine Rückkehr welche eigentlich denselben Erfolg haben muß, wie die Rückkehr ins nirvana von welcher Kant sagt, es sei ein Ungeheuer von System zu denken, daß 'nan durch Zusammenfließen mit der Gottheit, also durch Vernichtung seiner Persönlichkeit, sich mit der Gottheit verschlungen fühlen könne. Die biblische Vorstellung vom persönlichen Gott brachte andere Vorstel¬ lungen über den Menschen. Sie weckte wie gesagt die Vorstellung, daß der Grcnzbowi IV. Z87K. 29

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/229
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/229>, abgerufen am 29.04.2024.