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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Kuh der "Irans des KerchsKammergerichts.
Vom Geh. Justiz-Rath von Kräwel.

Zur richtigen Würdigung der Gegenwart gehört die Kenntniß der Ver¬
gangenheit. Daher mögen diejenigen, welche in unserer jetzigen Rechtspflege
Kur Mängel und UnVollständigkeiten sehen, auf unsere Vergangenheit zurück¬
blicken. Auch wir sind ja noch entfernt von dem Ideal einer Deutschen
Rechtspflege. Wie groß aber die Fortschritte sind, welche unsere Rechtspflege
gemacht hat, das ergiebt die Begleichung mit unserer Vergangenheit-. Zu
solcher bietet der Inhalt der Schleswig-Holsteinischen Akten des Reichskammer¬
gerichts, welche der Oberappellationsgerichtsrath Brinkmann veröffentlicht
hat, den reichsten Stoff.

Diese Mittheilungen beginnen mit einem im Jahr 1499 anhängigen
Prozeß. Erst vier Jahre vorher hatten Kaiser und Reich den allgemeinen
^d ewigen Landfrieden verkündigt. Nun sollte das Kaiserliche Kammer¬
gericht dem Fehdewesen ein Ende machen. An die Stelle der eigenen Faust,
^t welcher sich jeder, der dazu die Gewalt zu haben glaubte, Recht nahm,
sollte die Macht und das Ansehn eines höchsten Deutschen Gerichtshofes
treten. Denn werden die vom Gesetz angedrohten hohen Strafen nicht rasch
^ud ohne Ansehen der Person vollstreckt, so bleiben sie ein todter Buchstabe.

Wir werden sehen, wie wenig das Reichskammergericht seinem hohen
Beruf entsprochen hat, wie wohl begründet noch Jahrhunderte nach dessen
Errichtung das noch bis heute gebräuchliche Sprüchwort war: Traue dem
Landfrieden nicht.

Dies hatte aber sehr verschiedene Ursachen. Daran war in erster Linie
Schuld: die mangelhafte Organisation des Neichskammergerichts. Dessen
26 Beisitzer wurden nämlich von den Reichsständen gewählt, welche auch die
Ausgaben zu bestreiten hatten. Wie bei allen Reichsgeschästen, so kamen
"und bei den Wahlen der Beisitzer des Neichskammergerichts die Reichsstände


Attnzbotm IV. 1876. ZI
Kuh der "Irans des KerchsKammergerichts.
Vom Geh. Justiz-Rath von Kräwel.

Zur richtigen Würdigung der Gegenwart gehört die Kenntniß der Ver¬
gangenheit. Daher mögen diejenigen, welche in unserer jetzigen Rechtspflege
Kur Mängel und UnVollständigkeiten sehen, auf unsere Vergangenheit zurück¬
blicken. Auch wir sind ja noch entfernt von dem Ideal einer Deutschen
Rechtspflege. Wie groß aber die Fortschritte sind, welche unsere Rechtspflege
gemacht hat, das ergiebt die Begleichung mit unserer Vergangenheit-. Zu
solcher bietet der Inhalt der Schleswig-Holsteinischen Akten des Reichskammer¬
gerichts, welche der Oberappellationsgerichtsrath Brinkmann veröffentlicht
hat, den reichsten Stoff.

Diese Mittheilungen beginnen mit einem im Jahr 1499 anhängigen
Prozeß. Erst vier Jahre vorher hatten Kaiser und Reich den allgemeinen
^d ewigen Landfrieden verkündigt. Nun sollte das Kaiserliche Kammer¬
gericht dem Fehdewesen ein Ende machen. An die Stelle der eigenen Faust,
^t welcher sich jeder, der dazu die Gewalt zu haben glaubte, Recht nahm,
sollte die Macht und das Ansehn eines höchsten Deutschen Gerichtshofes
treten. Denn werden die vom Gesetz angedrohten hohen Strafen nicht rasch
^ud ohne Ansehen der Person vollstreckt, so bleiben sie ein todter Buchstabe.

Wir werden sehen, wie wenig das Reichskammergericht seinem hohen
Beruf entsprochen hat, wie wohl begründet noch Jahrhunderte nach dessen
Errichtung das noch bis heute gebräuchliche Sprüchwort war: Traue dem
Landfrieden nicht.

Dies hatte aber sehr verschiedene Ursachen. Daran war in erster Linie
Schuld: die mangelhafte Organisation des Neichskammergerichts. Dessen
26 Beisitzer wurden nämlich von den Reichsständen gewählt, welche auch die
Ausgaben zu bestreiten hatten. Wie bei allen Reichsgeschästen, so kamen
"und bei den Wahlen der Beisitzer des Neichskammergerichts die Reichsstände


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[0245] Kuh der "Irans des KerchsKammergerichts. Vom Geh. Justiz-Rath von Kräwel. Zur richtigen Würdigung der Gegenwart gehört die Kenntniß der Ver¬ gangenheit. Daher mögen diejenigen, welche in unserer jetzigen Rechtspflege Kur Mängel und UnVollständigkeiten sehen, auf unsere Vergangenheit zurück¬ blicken. Auch wir sind ja noch entfernt von dem Ideal einer Deutschen Rechtspflege. Wie groß aber die Fortschritte sind, welche unsere Rechtspflege gemacht hat, das ergiebt die Begleichung mit unserer Vergangenheit-. Zu solcher bietet der Inhalt der Schleswig-Holsteinischen Akten des Reichskammer¬ gerichts, welche der Oberappellationsgerichtsrath Brinkmann veröffentlicht hat, den reichsten Stoff. Diese Mittheilungen beginnen mit einem im Jahr 1499 anhängigen Prozeß. Erst vier Jahre vorher hatten Kaiser und Reich den allgemeinen ^d ewigen Landfrieden verkündigt. Nun sollte das Kaiserliche Kammer¬ gericht dem Fehdewesen ein Ende machen. An die Stelle der eigenen Faust, ^t welcher sich jeder, der dazu die Gewalt zu haben glaubte, Recht nahm, sollte die Macht und das Ansehn eines höchsten Deutschen Gerichtshofes treten. Denn werden die vom Gesetz angedrohten hohen Strafen nicht rasch ^ud ohne Ansehen der Person vollstreckt, so bleiben sie ein todter Buchstabe. Wir werden sehen, wie wenig das Reichskammergericht seinem hohen Beruf entsprochen hat, wie wohl begründet noch Jahrhunderte nach dessen Errichtung das noch bis heute gebräuchliche Sprüchwort war: Traue dem Landfrieden nicht. Dies hatte aber sehr verschiedene Ursachen. Daran war in erster Linie Schuld: die mangelhafte Organisation des Neichskammergerichts. Dessen 26 Beisitzer wurden nämlich von den Reichsständen gewählt, welche auch die Ausgaben zu bestreiten hatten. Wie bei allen Reichsgeschästen, so kamen "und bei den Wahlen der Beisitzer des Neichskammergerichts die Reichsstände Attnzbotm IV. 1876. ZI

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/245>, abgerufen am 29.04.2024.