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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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schweren Kampf mit einem aufgeklärten, freiheitlich regenerirten Frankreich,
in der wohlbegründeten Ueberzeugung, daß nach Beendigung desselben sich,
wie es unter anständigen, sich gegenseitig achtenden Gegnern Sitte ist, ein
dauernder Friede wird vereinbaren lassen, den wir in einem vom Jesuitis¬
mus zersetzten Frankreich nie suchen und nie finden werden.




Knglo-Israel'l Ms Lngland.
Dr. Wilhelm Henkel.

An die auffallende und in der Geschichte der abendländischen Cultur-
Völker wohl vereinzelt dastehende Erscheinung, daß die englische Nation, ob¬
wohl sie vermöge der Abstammung, der Sprache, des Glaubens und in nicht
geringem Grade der Gemeinsamkeit politischer Interessen, gewissermaßen schon
von der Natur auf einträchtliches Zusammenwirken mit der deutschen ange¬
wiesen ist, nicht nur seit Jahrhunderten supreme Gleichgiltigkeit und Mangel
an Verständniß für deutsche Eigenartigkeit bekundet, sondern auch auf allen
Gebieten die Initiative der gegenseitigen Annäherung allzeit uns überlassen
hat, an diese Thatsache werden wir im täglichen Verkehre wie in der Bücher¬
welt sattsam erinnert. Am lebhaftesten aber, wenn wir von uns weg auf
die zwischen England und Frankreich obwaltenden Beziehungen blicken. Frei¬
lich bietet das Nachbarland mehr Stoff für sensationelles und theatralisches
Interesse, stärker gepfefferte Stimulantia für die insulare Langweile und Bla-
sirtheit; auch wirkt die Erinnerung an die Zeiten, als die politischen Ge¬
schicke der beiden Länder im Kriege und im Frieden mit einander verbunden
Waren und als Beide von dem frühe erreichten Höhepunkt nationaler Bildung
mit Stolz auf die jammervollen Zustände in Deutschland hinabsehen durften,
noch immer mächtig aus die Stimmung in der Gegenwart. Und doch sollte
man glauben, daß die Erwägung, daß auch wir seitdem unsere Sturm- und
Drangperiode durchgemacht, unsere Geistesriesen hervorgebracht, den Schul¬
staub abgeschüttelt und den Nachweis von Fähigkeiten geliefert haben, die der
Practische Engländer am meisten bewundert, die spröden Vettern uns in"
zwischen beträchtlich näher gebracht hätte. Aber die Summe der neuen Ge¬
sichtspunkte, die Empfänglichkeit für Belehrung über unsere öffentlichen Zu¬
stände, die sich nothgedrungen hätte verdoppeln müssen, seitdem sich die


schweren Kampf mit einem aufgeklärten, freiheitlich regenerirten Frankreich,
in der wohlbegründeten Ueberzeugung, daß nach Beendigung desselben sich,
wie es unter anständigen, sich gegenseitig achtenden Gegnern Sitte ist, ein
dauernder Friede wird vereinbaren lassen, den wir in einem vom Jesuitis¬
mus zersetzten Frankreich nie suchen und nie finden werden.




Knglo-Israel'l Ms Lngland.
Dr. Wilhelm Henkel.

An die auffallende und in der Geschichte der abendländischen Cultur-
Völker wohl vereinzelt dastehende Erscheinung, daß die englische Nation, ob¬
wohl sie vermöge der Abstammung, der Sprache, des Glaubens und in nicht
geringem Grade der Gemeinsamkeit politischer Interessen, gewissermaßen schon
von der Natur auf einträchtliches Zusammenwirken mit der deutschen ange¬
wiesen ist, nicht nur seit Jahrhunderten supreme Gleichgiltigkeit und Mangel
an Verständniß für deutsche Eigenartigkeit bekundet, sondern auch auf allen
Gebieten die Initiative der gegenseitigen Annäherung allzeit uns überlassen
hat, an diese Thatsache werden wir im täglichen Verkehre wie in der Bücher¬
welt sattsam erinnert. Am lebhaftesten aber, wenn wir von uns weg auf
die zwischen England und Frankreich obwaltenden Beziehungen blicken. Frei¬
lich bietet das Nachbarland mehr Stoff für sensationelles und theatralisches
Interesse, stärker gepfefferte Stimulantia für die insulare Langweile und Bla-
sirtheit; auch wirkt die Erinnerung an die Zeiten, als die politischen Ge¬
schicke der beiden Länder im Kriege und im Frieden mit einander verbunden
Waren und als Beide von dem frühe erreichten Höhepunkt nationaler Bildung
mit Stolz auf die jammervollen Zustände in Deutschland hinabsehen durften,
noch immer mächtig aus die Stimmung in der Gegenwart. Und doch sollte
man glauben, daß die Erwägung, daß auch wir seitdem unsere Sturm- und
Drangperiode durchgemacht, unsere Geistesriesen hervorgebracht, den Schul¬
staub abgeschüttelt und den Nachweis von Fähigkeiten geliefert haben, die der
Practische Engländer am meisten bewundert, die spröden Vettern uns in»
zwischen beträchtlich näher gebracht hätte. Aber die Summe der neuen Ge¬
sichtspunkte, die Empfänglichkeit für Belehrung über unsere öffentlichen Zu¬
stände, die sich nothgedrungen hätte verdoppeln müssen, seitdem sich die


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[0025] schweren Kampf mit einem aufgeklärten, freiheitlich regenerirten Frankreich, in der wohlbegründeten Ueberzeugung, daß nach Beendigung desselben sich, wie es unter anständigen, sich gegenseitig achtenden Gegnern Sitte ist, ein dauernder Friede wird vereinbaren lassen, den wir in einem vom Jesuitis¬ mus zersetzten Frankreich nie suchen und nie finden werden. Knglo-Israel'l Ms Lngland. Dr. Wilhelm Henkel. An die auffallende und in der Geschichte der abendländischen Cultur- Völker wohl vereinzelt dastehende Erscheinung, daß die englische Nation, ob¬ wohl sie vermöge der Abstammung, der Sprache, des Glaubens und in nicht geringem Grade der Gemeinsamkeit politischer Interessen, gewissermaßen schon von der Natur auf einträchtliches Zusammenwirken mit der deutschen ange¬ wiesen ist, nicht nur seit Jahrhunderten supreme Gleichgiltigkeit und Mangel an Verständniß für deutsche Eigenartigkeit bekundet, sondern auch auf allen Gebieten die Initiative der gegenseitigen Annäherung allzeit uns überlassen hat, an diese Thatsache werden wir im täglichen Verkehre wie in der Bücher¬ welt sattsam erinnert. Am lebhaftesten aber, wenn wir von uns weg auf die zwischen England und Frankreich obwaltenden Beziehungen blicken. Frei¬ lich bietet das Nachbarland mehr Stoff für sensationelles und theatralisches Interesse, stärker gepfefferte Stimulantia für die insulare Langweile und Bla- sirtheit; auch wirkt die Erinnerung an die Zeiten, als die politischen Ge¬ schicke der beiden Länder im Kriege und im Frieden mit einander verbunden Waren und als Beide von dem frühe erreichten Höhepunkt nationaler Bildung mit Stolz auf die jammervollen Zustände in Deutschland hinabsehen durften, noch immer mächtig aus die Stimmung in der Gegenwart. Und doch sollte man glauben, daß die Erwägung, daß auch wir seitdem unsere Sturm- und Drangperiode durchgemacht, unsere Geistesriesen hervorgebracht, den Schul¬ staub abgeschüttelt und den Nachweis von Fähigkeiten geliefert haben, die der Practische Engländer am meisten bewundert, die spröden Vettern uns in» zwischen beträchtlich näher gebracht hätte. Aber die Summe der neuen Ge¬ sichtspunkte, die Empfänglichkeit für Belehrung über unsere öffentlichen Zu¬ stände, die sich nothgedrungen hätte verdoppeln müssen, seitdem sich die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/25>, abgerufen am 29.04.2024.