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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Ich wollte ihr folgen; aber schon nach wenigen Schritten trat sie in
das Posticum eines großen Hauses ein, dessen Erdgeschoß wiederum von
Läden und Werkstätten eingenommen war. Die Räume waren nach außen
völlig offen, und man konnte der emsigen Arbeit der Künstler und Hand¬
werker zuschauen und die fertigen Gegenstände, welche auf Tischen, Gestellen
und Wandbrettern ihren Platz hatten, bequem betrachten. Hier drehte ein
Töpfer seine Scheibe und reihte die Schalen und Töpfe auf einem Brette auf,
das ein Anderer dann in den Hinteren Raum trug, in dem man den Schein
des Feuers sah; dort waren Mosaikarbeiter beschäftigt, bunte Steine zu
schneiden und zu glätten und schöne Muster sowie Figuren aus ihnen zu¬
sammenzusetzen; dort rieb man den Marmor zu Staub, vermengte ihn mit
der Farbe und schlug Alles wohl durcheinander, um den feinen glänzenden
Stuck zu gewinnen, mit dem man Säulen und Zimmerwärter den schönen
und dauerhaften Schmuck gab.




Me Berliner Hesetzlosen.

So tief und schmerzlich immerhin der Eindruck des Wiener Friedens
(14. Oktober 1809) aus die Gemüther der deutschen Patrioten gewesen war
in der Befürchtung, statt der heiß ersehnten Befreiung nur neue, schwerere
Ketten eingetauscht zu haben: so hatten doch viele erhebende und glückliche
Momente des durch diesen Frieden beendeten Krieges das Prestige von Na¬
poleons persönlicher Unüberwindlichkeit gründlich gebrochen. Ueberall in
Deutschland und besonders w der preußischen Hauptstadt waren Stimmungen
thatkräftigen Hasses erwacht, der Keim eines gewaltsamen Widerstandes ve"
garn Wurzel zu schlagen, der kleinbehagliche, erschlaffende Zustand eines
^eltvürgerlichen Optimismus der vorausgegangenen Tage hatte einem Geiste
ermuthigter Zuversicht Platz gemacht, dessen Lebensathem mit frischem Zuge
^e schwachmütigen, aber wohldenkenden Seelen erfrischte.

In dieser Zeit eines freieren Aufathmens vereinigte der berühmte Gram¬
matiker Philipp Buttmann in Berlin, wo er bald darauf als Professor an
der Universität, als Bibliothekar an der Königlichen Bibliothek und als Re¬
dacteur der Hände und Spener'schen Zeitung wirkte, eine Gesellschaft von
hervorragenden Männern zu der sogenannten "gesetzlosen" Gesellschaft, welche
sich durch den feinen attischen Geist und durch die Fülle der Erudition und
Intelligenz weithin einen Namen gemacht hat. Was Berlin an bedeutenden


Ich wollte ihr folgen; aber schon nach wenigen Schritten trat sie in
das Posticum eines großen Hauses ein, dessen Erdgeschoß wiederum von
Läden und Werkstätten eingenommen war. Die Räume waren nach außen
völlig offen, und man konnte der emsigen Arbeit der Künstler und Hand¬
werker zuschauen und die fertigen Gegenstände, welche auf Tischen, Gestellen
und Wandbrettern ihren Platz hatten, bequem betrachten. Hier drehte ein
Töpfer seine Scheibe und reihte die Schalen und Töpfe auf einem Brette auf,
das ein Anderer dann in den Hinteren Raum trug, in dem man den Schein
des Feuers sah; dort waren Mosaikarbeiter beschäftigt, bunte Steine zu
schneiden und zu glätten und schöne Muster sowie Figuren aus ihnen zu¬
sammenzusetzen; dort rieb man den Marmor zu Staub, vermengte ihn mit
der Farbe und schlug Alles wohl durcheinander, um den feinen glänzenden
Stuck zu gewinnen, mit dem man Säulen und Zimmerwärter den schönen
und dauerhaften Schmuck gab.




Me Berliner Hesetzlosen.

So tief und schmerzlich immerhin der Eindruck des Wiener Friedens
(14. Oktober 1809) aus die Gemüther der deutschen Patrioten gewesen war
in der Befürchtung, statt der heiß ersehnten Befreiung nur neue, schwerere
Ketten eingetauscht zu haben: so hatten doch viele erhebende und glückliche
Momente des durch diesen Frieden beendeten Krieges das Prestige von Na¬
poleons persönlicher Unüberwindlichkeit gründlich gebrochen. Ueberall in
Deutschland und besonders w der preußischen Hauptstadt waren Stimmungen
thatkräftigen Hasses erwacht, der Keim eines gewaltsamen Widerstandes ve«
garn Wurzel zu schlagen, der kleinbehagliche, erschlaffende Zustand eines
^eltvürgerlichen Optimismus der vorausgegangenen Tage hatte einem Geiste
ermuthigter Zuversicht Platz gemacht, dessen Lebensathem mit frischem Zuge
^e schwachmütigen, aber wohldenkenden Seelen erfrischte.

In dieser Zeit eines freieren Aufathmens vereinigte der berühmte Gram¬
matiker Philipp Buttmann in Berlin, wo er bald darauf als Professor an
der Universität, als Bibliothekar an der Königlichen Bibliothek und als Re¬
dacteur der Hände und Spener'schen Zeitung wirkte, eine Gesellschaft von
hervorragenden Männern zu der sogenannten „gesetzlosen" Gesellschaft, welche
sich durch den feinen attischen Geist und durch die Fülle der Erudition und
Intelligenz weithin einen Namen gemacht hat. Was Berlin an bedeutenden


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[0271] Ich wollte ihr folgen; aber schon nach wenigen Schritten trat sie in das Posticum eines großen Hauses ein, dessen Erdgeschoß wiederum von Läden und Werkstätten eingenommen war. Die Räume waren nach außen völlig offen, und man konnte der emsigen Arbeit der Künstler und Hand¬ werker zuschauen und die fertigen Gegenstände, welche auf Tischen, Gestellen und Wandbrettern ihren Platz hatten, bequem betrachten. Hier drehte ein Töpfer seine Scheibe und reihte die Schalen und Töpfe auf einem Brette auf, das ein Anderer dann in den Hinteren Raum trug, in dem man den Schein des Feuers sah; dort waren Mosaikarbeiter beschäftigt, bunte Steine zu schneiden und zu glätten und schöne Muster sowie Figuren aus ihnen zu¬ sammenzusetzen; dort rieb man den Marmor zu Staub, vermengte ihn mit der Farbe und schlug Alles wohl durcheinander, um den feinen glänzenden Stuck zu gewinnen, mit dem man Säulen und Zimmerwärter den schönen und dauerhaften Schmuck gab. Me Berliner Hesetzlosen. So tief und schmerzlich immerhin der Eindruck des Wiener Friedens (14. Oktober 1809) aus die Gemüther der deutschen Patrioten gewesen war in der Befürchtung, statt der heiß ersehnten Befreiung nur neue, schwerere Ketten eingetauscht zu haben: so hatten doch viele erhebende und glückliche Momente des durch diesen Frieden beendeten Krieges das Prestige von Na¬ poleons persönlicher Unüberwindlichkeit gründlich gebrochen. Ueberall in Deutschland und besonders w der preußischen Hauptstadt waren Stimmungen thatkräftigen Hasses erwacht, der Keim eines gewaltsamen Widerstandes ve« garn Wurzel zu schlagen, der kleinbehagliche, erschlaffende Zustand eines ^eltvürgerlichen Optimismus der vorausgegangenen Tage hatte einem Geiste ermuthigter Zuversicht Platz gemacht, dessen Lebensathem mit frischem Zuge ^e schwachmütigen, aber wohldenkenden Seelen erfrischte. In dieser Zeit eines freieren Aufathmens vereinigte der berühmte Gram¬ matiker Philipp Buttmann in Berlin, wo er bald darauf als Professor an der Universität, als Bibliothekar an der Königlichen Bibliothek und als Re¬ dacteur der Hände und Spener'schen Zeitung wirkte, eine Gesellschaft von hervorragenden Männern zu der sogenannten „gesetzlosen" Gesellschaft, welche sich durch den feinen attischen Geist und durch die Fülle der Erudition und Intelligenz weithin einen Namen gemacht hat. Was Berlin an bedeutenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/271>, abgerufen am 29.04.2024.