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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Me politischen Zustände in der nordamerikanischen
Union.

Am 7. November d. I. wird die diesjährige Präsidentenwahl in den
Vereinigten Staaten entschieden werden. Nach allen Nachrichten, die in
jüngster Zeit über den Ocean zu uns gekommen sind, ist der Wahlkampf
ein äußerst hartnäckiger, zum Theil erbitterter. Die demokratische Partei giebt
sich die größte Mühe, sämmtliche Südstaaten, d. h, die früheren Sklaven¬
staaten, für sich zu gewinnen. Zu dem Ende werden die alten Leidenschaften,
die in früheren Zeiten den Norden und Süden der Union gegen einander
hetzten, von Neuem wieder angefacht, wenn auch in etwas veränderter Gestalt.
Ein Rundschreiben, welches durch die Anhänger der demokratischen Präsident¬
schaftskandidaten . Tilden und Hendricks, an die Führer der südlichen De¬
mokraten kürzlich erlassen worden ist, wirft ein eigenthümliches Licht auf die
demokratische Partei. Bekanntlich hat die Unionsregierung energische Ma߬
regeln getroffen, um das bedrohte Wahlrecht in den Südstaaten zu schützen,
nöthigenfalls mit gewaffneter Hand. Dem gegenüber heißt es nun in dem
besagten Rundschreiben: "Jeder südliche Staat muß auf jede Gefahr hin
(g.t, nit Jm.xuräs) für die demokratischen Präsidentschaftskandidaten gewonnen
werden. Es giebt nicht Bundestruppen genug, um alle Wahlurnen im
Süden zu bewachen. Der Preis, um den es sich am Dienstag, 7. November,
handelt, ist der Besitz der Regierung, und dieser Preis kann errungen
werden. Aber es dürfen vorher keine unvorsichtigen Reden geführt
werden (dut, ein;r" must, d<z ne> looss tlM bötor<z1in,mal). Gebt uns ein ge¬
schlossenes südliches Votum "olla Lmitw'rü volo) unter allen Um¬
ständen, und Alles wird gut gehen. Ohne ein solches Votum ist unsere
Aussicht auf Sieg dahin und unser Erfolg mehr als zweifelhaft."

Aus diesen Worten geht ziemlich deutlich hervor, daß die demokratische
Partei kein Mittel, mag es gesetzmäßig sein oder nicht, scheut, um die Re¬
publikaner in der diesjährigen Nationalwahl zu besiegen, nur soll dabei mit
gehörigen Vorsicht zu Werke gegangen werden. Auch ist in dem Rund¬
schreiben von "Reform" nicht die Rede; "der Besitz der Regierung" wird
offen als das Ziel hingestellt, wonach die Demokraten streben. Wenn dies
Ziel erreicht ist, scheint es mit den in öffentlichen Reden so heilig versprochenen
Reformen nicht viel auf sich zu haben.

Die Aufforderung aber, "auf jede Gefahr hin" in den Südstaaten die
demokratischen Kandidaten zu erwählen, hat bereits ihre Früchte getragen.
Die in Aussicht gestellte Befriedigung der lange gehegten Begierde, wieder
einmal die Zügel der Herrschaft zu erfassen, siegreich in's "weiße Haus" ein-


Me politischen Zustände in der nordamerikanischen
Union.

Am 7. November d. I. wird die diesjährige Präsidentenwahl in den
Vereinigten Staaten entschieden werden. Nach allen Nachrichten, die in
jüngster Zeit über den Ocean zu uns gekommen sind, ist der Wahlkampf
ein äußerst hartnäckiger, zum Theil erbitterter. Die demokratische Partei giebt
sich die größte Mühe, sämmtliche Südstaaten, d. h, die früheren Sklaven¬
staaten, für sich zu gewinnen. Zu dem Ende werden die alten Leidenschaften,
die in früheren Zeiten den Norden und Süden der Union gegen einander
hetzten, von Neuem wieder angefacht, wenn auch in etwas veränderter Gestalt.
Ein Rundschreiben, welches durch die Anhänger der demokratischen Präsident¬
schaftskandidaten . Tilden und Hendricks, an die Führer der südlichen De¬
mokraten kürzlich erlassen worden ist, wirft ein eigenthümliches Licht auf die
demokratische Partei. Bekanntlich hat die Unionsregierung energische Ma߬
regeln getroffen, um das bedrohte Wahlrecht in den Südstaaten zu schützen,
nöthigenfalls mit gewaffneter Hand. Dem gegenüber heißt es nun in dem
besagten Rundschreiben: „Jeder südliche Staat muß auf jede Gefahr hin
(g.t, nit Jm.xuräs) für die demokratischen Präsidentschaftskandidaten gewonnen
werden. Es giebt nicht Bundestruppen genug, um alle Wahlurnen im
Süden zu bewachen. Der Preis, um den es sich am Dienstag, 7. November,
handelt, ist der Besitz der Regierung, und dieser Preis kann errungen
werden. Aber es dürfen vorher keine unvorsichtigen Reden geführt
werden (dut, ein;r« must, d<z ne> looss tlM bötor<z1in,mal). Gebt uns ein ge¬
schlossenes südliches Votum »olla Lmitw'rü volo) unter allen Um¬
ständen, und Alles wird gut gehen. Ohne ein solches Votum ist unsere
Aussicht auf Sieg dahin und unser Erfolg mehr als zweifelhaft."

Aus diesen Worten geht ziemlich deutlich hervor, daß die demokratische
Partei kein Mittel, mag es gesetzmäßig sein oder nicht, scheut, um die Re¬
publikaner in der diesjährigen Nationalwahl zu besiegen, nur soll dabei mit
gehörigen Vorsicht zu Werke gegangen werden. Auch ist in dem Rund¬
schreiben von „Reform" nicht die Rede; „der Besitz der Regierung" wird
offen als das Ziel hingestellt, wonach die Demokraten streben. Wenn dies
Ziel erreicht ist, scheint es mit den in öffentlichen Reden so heilig versprochenen
Reformen nicht viel auf sich zu haben.

Die Aufforderung aber, „auf jede Gefahr hin" in den Südstaaten die
demokratischen Kandidaten zu erwählen, hat bereits ihre Früchte getragen.
Die in Aussicht gestellte Befriedigung der lange gehegten Begierde, wieder
einmal die Zügel der Herrschaft zu erfassen, siegreich in's „weiße Haus" ein-


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[0315] Me politischen Zustände in der nordamerikanischen Union. Am 7. November d. I. wird die diesjährige Präsidentenwahl in den Vereinigten Staaten entschieden werden. Nach allen Nachrichten, die in jüngster Zeit über den Ocean zu uns gekommen sind, ist der Wahlkampf ein äußerst hartnäckiger, zum Theil erbitterter. Die demokratische Partei giebt sich die größte Mühe, sämmtliche Südstaaten, d. h, die früheren Sklaven¬ staaten, für sich zu gewinnen. Zu dem Ende werden die alten Leidenschaften, die in früheren Zeiten den Norden und Süden der Union gegen einander hetzten, von Neuem wieder angefacht, wenn auch in etwas veränderter Gestalt. Ein Rundschreiben, welches durch die Anhänger der demokratischen Präsident¬ schaftskandidaten . Tilden und Hendricks, an die Führer der südlichen De¬ mokraten kürzlich erlassen worden ist, wirft ein eigenthümliches Licht auf die demokratische Partei. Bekanntlich hat die Unionsregierung energische Ma߬ regeln getroffen, um das bedrohte Wahlrecht in den Südstaaten zu schützen, nöthigenfalls mit gewaffneter Hand. Dem gegenüber heißt es nun in dem besagten Rundschreiben: „Jeder südliche Staat muß auf jede Gefahr hin (g.t, nit Jm.xuräs) für die demokratischen Präsidentschaftskandidaten gewonnen werden. Es giebt nicht Bundestruppen genug, um alle Wahlurnen im Süden zu bewachen. Der Preis, um den es sich am Dienstag, 7. November, handelt, ist der Besitz der Regierung, und dieser Preis kann errungen werden. Aber es dürfen vorher keine unvorsichtigen Reden geführt werden (dut, ein;r« must, d<z ne> looss tlM bötor<z1in,mal). Gebt uns ein ge¬ schlossenes südliches Votum »olla Lmitw'rü volo) unter allen Um¬ ständen, und Alles wird gut gehen. Ohne ein solches Votum ist unsere Aussicht auf Sieg dahin und unser Erfolg mehr als zweifelhaft." Aus diesen Worten geht ziemlich deutlich hervor, daß die demokratische Partei kein Mittel, mag es gesetzmäßig sein oder nicht, scheut, um die Re¬ publikaner in der diesjährigen Nationalwahl zu besiegen, nur soll dabei mit gehörigen Vorsicht zu Werke gegangen werden. Auch ist in dem Rund¬ schreiben von „Reform" nicht die Rede; „der Besitz der Regierung" wird offen als das Ziel hingestellt, wonach die Demokraten streben. Wenn dies Ziel erreicht ist, scheint es mit den in öffentlichen Reden so heilig versprochenen Reformen nicht viel auf sich zu haben. Die Aufforderung aber, „auf jede Gefahr hin" in den Südstaaten die demokratischen Kandidaten zu erwählen, hat bereits ihre Früchte getragen. Die in Aussicht gestellte Befriedigung der lange gehegten Begierde, wieder einmal die Zügel der Herrschaft zu erfassen, siegreich in's „weiße Haus" ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/315>, abgerufen am 29.04.2024.