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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Zündhölzern, Stein, Stahl und Zunder an die Seite zu legen; "denn",
meinte er, "man kann ja nicht wissen, was passnt." Man will berechnet
haben, daß der alte Herr in den achtzig Jahren, die er gelebt und geraucht,
etwa vier Tonnen, also achtzig Centner, Tabak in Rauch und Asche ver¬
wandelt und eine Viertelmillion Quart Bier dazu vertilgt hat.




Die polnischen Agitationen in Höerschlesien.

Daß eine von der allgemeinen abgesonderte Sprache eines Volksstamms,
der auch geographisch gesonderte Wohnsitze hat, eine G efahr für den Bestand
des Staates enthält, das hat sich nirgends so unzweifelhaft erwiesen, als in
Oestreich. Wer hätte vor SO Jahren geahnt, daß nicht blos Magyaren,
sondern auch Tschechen, Kroaten, ja sogar das kümmerliche Häuflein Slo-
venen besondere Reiche würden bilden wollen? Heute ist diese merkwürdige
Erscheinung schon längst eine Thatsache. Und was war die erste, wenn nicht
die einzige Veranlassung zu der Absonderungssucht? -- Es war die besondere
Sprache der Volksstämme.

Ein hervorragender Antrieb zur Gegnerschaft gegen den Staatsverband,
dem anderssprechende Stämme angehören, ist dann vorhanden, wenn solche
Stämme an der Grenze wohnen, jenseits deren nahe Verwandte einen eignen
Staatsverband bilden, wie das in Oestreich bei den Italienern, Rumänen,
Serben. Ruthenen der Fall ist. Verschärft wird der Gegensatz durch Ver¬
schiedenheit der Religion mit dem herrschenden Volk, wie wir in Preußen
das bet den Polen empfinden müssen.

Nicht blos bei den vorzugsweise als Polen bezeichneten Slawen in
Posen und Westpreußen ist der besondere Antrieb und die Veranlassung
!Ur Verschärfung des Zwiespalts vorhanden, sondern auch bei den polnisch¬
sprechenden Oberschlesiern. Das Landvolk sowie die niedere Stadtbe¬
völkerung in den deutschen Kreisen des Regierungsbezirks Oppeln,
^eisse. Grotkau. Falkenberg. Neustadt, ist zwar, wie im polnischen Theile,
auch katholisch; darauf aber kommt weniger an. Wichtiger ist. daß ver
höhere Bürgerstand und ebenso die größeren Gutsbesitzer im ganzen Regierung?-
Bezirk weit überwiegend protestantisch und selbstverständlich deutsch sind.
Dennoch schlief das polnische Nationalbewußtsein seit Jahrhunderten in
Oberschlesien so fest, daß kein Mensch vor dreißig Jahren an die Möglichkeit


Zündhölzern, Stein, Stahl und Zunder an die Seite zu legen; „denn",
meinte er, „man kann ja nicht wissen, was passnt." Man will berechnet
haben, daß der alte Herr in den achtzig Jahren, die er gelebt und geraucht,
etwa vier Tonnen, also achtzig Centner, Tabak in Rauch und Asche ver¬
wandelt und eine Viertelmillion Quart Bier dazu vertilgt hat.




Die polnischen Agitationen in Höerschlesien.

Daß eine von der allgemeinen abgesonderte Sprache eines Volksstamms,
der auch geographisch gesonderte Wohnsitze hat, eine G efahr für den Bestand
des Staates enthält, das hat sich nirgends so unzweifelhaft erwiesen, als in
Oestreich. Wer hätte vor SO Jahren geahnt, daß nicht blos Magyaren,
sondern auch Tschechen, Kroaten, ja sogar das kümmerliche Häuflein Slo-
venen besondere Reiche würden bilden wollen? Heute ist diese merkwürdige
Erscheinung schon längst eine Thatsache. Und was war die erste, wenn nicht
die einzige Veranlassung zu der Absonderungssucht? — Es war die besondere
Sprache der Volksstämme.

Ein hervorragender Antrieb zur Gegnerschaft gegen den Staatsverband,
dem anderssprechende Stämme angehören, ist dann vorhanden, wenn solche
Stämme an der Grenze wohnen, jenseits deren nahe Verwandte einen eignen
Staatsverband bilden, wie das in Oestreich bei den Italienern, Rumänen,
Serben. Ruthenen der Fall ist. Verschärft wird der Gegensatz durch Ver¬
schiedenheit der Religion mit dem herrschenden Volk, wie wir in Preußen
das bet den Polen empfinden müssen.

Nicht blos bei den vorzugsweise als Polen bezeichneten Slawen in
Posen und Westpreußen ist der besondere Antrieb und die Veranlassung
!Ur Verschärfung des Zwiespalts vorhanden, sondern auch bei den polnisch¬
sprechenden Oberschlesiern. Das Landvolk sowie die niedere Stadtbe¬
völkerung in den deutschen Kreisen des Regierungsbezirks Oppeln,
^eisse. Grotkau. Falkenberg. Neustadt, ist zwar, wie im polnischen Theile,
auch katholisch; darauf aber kommt weniger an. Wichtiger ist. daß ver
höhere Bürgerstand und ebenso die größeren Gutsbesitzer im ganzen Regierung?-
Bezirk weit überwiegend protestantisch und selbstverständlich deutsch sind.
Dennoch schlief das polnische Nationalbewußtsein seit Jahrhunderten in
Oberschlesien so fest, daß kein Mensch vor dreißig Jahren an die Möglichkeit


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[0339] Zündhölzern, Stein, Stahl und Zunder an die Seite zu legen; „denn", meinte er, „man kann ja nicht wissen, was passnt." Man will berechnet haben, daß der alte Herr in den achtzig Jahren, die er gelebt und geraucht, etwa vier Tonnen, also achtzig Centner, Tabak in Rauch und Asche ver¬ wandelt und eine Viertelmillion Quart Bier dazu vertilgt hat. Die polnischen Agitationen in Höerschlesien. Daß eine von der allgemeinen abgesonderte Sprache eines Volksstamms, der auch geographisch gesonderte Wohnsitze hat, eine G efahr für den Bestand des Staates enthält, das hat sich nirgends so unzweifelhaft erwiesen, als in Oestreich. Wer hätte vor SO Jahren geahnt, daß nicht blos Magyaren, sondern auch Tschechen, Kroaten, ja sogar das kümmerliche Häuflein Slo- venen besondere Reiche würden bilden wollen? Heute ist diese merkwürdige Erscheinung schon längst eine Thatsache. Und was war die erste, wenn nicht die einzige Veranlassung zu der Absonderungssucht? — Es war die besondere Sprache der Volksstämme. Ein hervorragender Antrieb zur Gegnerschaft gegen den Staatsverband, dem anderssprechende Stämme angehören, ist dann vorhanden, wenn solche Stämme an der Grenze wohnen, jenseits deren nahe Verwandte einen eignen Staatsverband bilden, wie das in Oestreich bei den Italienern, Rumänen, Serben. Ruthenen der Fall ist. Verschärft wird der Gegensatz durch Ver¬ schiedenheit der Religion mit dem herrschenden Volk, wie wir in Preußen das bet den Polen empfinden müssen. Nicht blos bei den vorzugsweise als Polen bezeichneten Slawen in Posen und Westpreußen ist der besondere Antrieb und die Veranlassung !Ur Verschärfung des Zwiespalts vorhanden, sondern auch bei den polnisch¬ sprechenden Oberschlesiern. Das Landvolk sowie die niedere Stadtbe¬ völkerung in den deutschen Kreisen des Regierungsbezirks Oppeln, ^eisse. Grotkau. Falkenberg. Neustadt, ist zwar, wie im polnischen Theile, auch katholisch; darauf aber kommt weniger an. Wichtiger ist. daß ver höhere Bürgerstand und ebenso die größeren Gutsbesitzer im ganzen Regierung?- Bezirk weit überwiegend protestantisch und selbstverständlich deutsch sind. Dennoch schlief das polnische Nationalbewußtsein seit Jahrhunderten in Oberschlesien so fest, daß kein Mensch vor dreißig Jahren an die Möglichkeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/339>, abgerufen am 29.04.2024.