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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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GMsprophetie.
Von Moritz Busch.

Gewisse Secten, die Jrvingianer z. B., klagen, daß die Gnadengabe der
Weissagung erloschen sei, die Rockenphilosophie unsrer Bauern aber weiß, daß
nicht so ist. sondern noch heute eigenthümlich begabte Menschen vor¬
kommen, welchen die Zukunft in Visionen offenbart wird. Dieser Glaube
begegnet uns im Norden wie im Süden Deutschlands, in der Bretagne wie
unter englischen und schottischen Landleuten, im Gebirge und auf den
Federungen, namentlich aber auf langgestreckten einsamen Haiden und
Mooren.

Wie in den Wüsten des Morgenlandes und über den Meeren und
^trandgegenden des europäischen Südens, so werden auch dort bisweilen
irgend einem Punkte des Horizonts Landschaften, Orte und Gebäude
Achtbar, die, gewöhnlich schattenhaft, mitunter auch farbig, meist zitternd und
Ackernd wie erhitzte Luft, oft aber auch still und stetig, sich eine Weile er¬
sten und dann allmählig verschwinden. Immer sind diese wunderbaren
Phänomene Abbilder oder Spiegelungen von Gegenständen, die tiefer als die
teile liegen, von der aus sie gesehen werden. Dörfer, Gehölze, Inseln, die
'er dem Auge für gewöhnlich entzogen sind, tauchen am Gesichtskreise auf
ud erheben sich über denselben, mitunter verkehrt, so daß die Dächer, Thurm-
p und Baumwipfel nach unten stehen, häufig aber auch in vollkommen
"türlicher Stellung ihrer einzelnen Bestandtheile. Um ein Beispiel arm-
^ren, ich das Städtchen Ripen mit seiner Domkirche scheinbar in
^ Entfernung von etwa anderthalb Stunden inselartig vor mir gehabt,
Ehrenb es in Wirklichkeit noch drei Meilen weit weg und unter dem Hori¬
zonte lag.

H ^"n geht aber neben dieser Fata Morgan" des Nordens nach dem
" Dauben eine ähnliche Erscheinung her, die ebenso wunderbar wie jene
lebt und, wenn sie vor der Wissenschaft Stand hielte, noch wunderbarer sein


^-nzboten IV. 1876. 46
GMsprophetie.
Von Moritz Busch.

Gewisse Secten, die Jrvingianer z. B., klagen, daß die Gnadengabe der
Weissagung erloschen sei, die Rockenphilosophie unsrer Bauern aber weiß, daß
nicht so ist. sondern noch heute eigenthümlich begabte Menschen vor¬
kommen, welchen die Zukunft in Visionen offenbart wird. Dieser Glaube
begegnet uns im Norden wie im Süden Deutschlands, in der Bretagne wie
unter englischen und schottischen Landleuten, im Gebirge und auf den
Federungen, namentlich aber auf langgestreckten einsamen Haiden und
Mooren.

Wie in den Wüsten des Morgenlandes und über den Meeren und
^trandgegenden des europäischen Südens, so werden auch dort bisweilen
irgend einem Punkte des Horizonts Landschaften, Orte und Gebäude
Achtbar, die, gewöhnlich schattenhaft, mitunter auch farbig, meist zitternd und
Ackernd wie erhitzte Luft, oft aber auch still und stetig, sich eine Weile er¬
sten und dann allmählig verschwinden. Immer sind diese wunderbaren
Phänomene Abbilder oder Spiegelungen von Gegenständen, die tiefer als die
teile liegen, von der aus sie gesehen werden. Dörfer, Gehölze, Inseln, die
'er dem Auge für gewöhnlich entzogen sind, tauchen am Gesichtskreise auf
ud erheben sich über denselben, mitunter verkehrt, so daß die Dächer, Thurm-
p und Baumwipfel nach unten stehen, häufig aber auch in vollkommen
"türlicher Stellung ihrer einzelnen Bestandtheile. Um ein Beispiel arm-
^ren, ich das Städtchen Ripen mit seiner Domkirche scheinbar in
^ Entfernung von etwa anderthalb Stunden inselartig vor mir gehabt,
Ehrenb es in Wirklichkeit noch drei Meilen weit weg und unter dem Hori¬
zonte lag.

H ^"n geht aber neben dieser Fata Morgan« des Nordens nach dem
" Dauben eine ähnliche Erscheinung her, die ebenso wunderbar wie jene
lebt und, wenn sie vor der Wissenschaft Stand hielte, noch wunderbarer sein


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[0365] GMsprophetie. Von Moritz Busch. Gewisse Secten, die Jrvingianer z. B., klagen, daß die Gnadengabe der Weissagung erloschen sei, die Rockenphilosophie unsrer Bauern aber weiß, daß nicht so ist. sondern noch heute eigenthümlich begabte Menschen vor¬ kommen, welchen die Zukunft in Visionen offenbart wird. Dieser Glaube begegnet uns im Norden wie im Süden Deutschlands, in der Bretagne wie unter englischen und schottischen Landleuten, im Gebirge und auf den Federungen, namentlich aber auf langgestreckten einsamen Haiden und Mooren. Wie in den Wüsten des Morgenlandes und über den Meeren und ^trandgegenden des europäischen Südens, so werden auch dort bisweilen irgend einem Punkte des Horizonts Landschaften, Orte und Gebäude Achtbar, die, gewöhnlich schattenhaft, mitunter auch farbig, meist zitternd und Ackernd wie erhitzte Luft, oft aber auch still und stetig, sich eine Weile er¬ sten und dann allmählig verschwinden. Immer sind diese wunderbaren Phänomene Abbilder oder Spiegelungen von Gegenständen, die tiefer als die teile liegen, von der aus sie gesehen werden. Dörfer, Gehölze, Inseln, die 'er dem Auge für gewöhnlich entzogen sind, tauchen am Gesichtskreise auf ud erheben sich über denselben, mitunter verkehrt, so daß die Dächer, Thurm- p und Baumwipfel nach unten stehen, häufig aber auch in vollkommen "türlicher Stellung ihrer einzelnen Bestandtheile. Um ein Beispiel arm- ^ren, ich das Städtchen Ripen mit seiner Domkirche scheinbar in ^ Entfernung von etwa anderthalb Stunden inselartig vor mir gehabt, Ehrenb es in Wirklichkeit noch drei Meilen weit weg und unter dem Hori¬ zonte lag. H ^"n geht aber neben dieser Fata Morgan« des Nordens nach dem " Dauben eine ähnliche Erscheinung her, die ebenso wunderbar wie jene lebt und, wenn sie vor der Wissenschaft Stand hielte, noch wunderbarer sein ^-nzboten IV. 1876. 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/365>, abgerufen am 29.04.2024.