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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Dom deutschen Keichstag.

Die Sitzungstage dieser Woche enthalten nur einen parlamentarisch
wichtigen Tag, den 12. Dezember. An demselben stand zur ersten Berathung
das Gesetz über die Erhebung von Ausgleichungsabgaben. Das Gesetz be¬
stimmt in sechs Paragraphen, daß Eisen und Stahl, gewisse Eisen- und
Stahlwaaren, Maschinen aus Eisen und Stahl, und endlich Zucker, wenn
sie bei der Einfuhr nach Deutschland aus einem anderen Lande Seitens des
letzteren durch Ausfuhrprämien begünstigt werden, diesseits durch eine Zoll¬
erhöhung nach Ermessen der Reichsregierung getroffen werden dürfen, unter
dem Namen einer Ausgleichungsabgabe. Der Gesetzentwurf wurde an eine
besondere Commission verwiesen. Die Wichtigkeit der Berathung, welche zu
diesem Entschluß führte, lag jedoch zumeist in einer Rede des Reichskanzlers,
alsdann aber auch in dem Umstände, daß die als Freihändler bekannten
Minister Ueberhand und Camphausen mit großer Energie für den Gesetz¬
entwurf eintraten. Minister Ueberhand erklärte zuvor, daß der Gesetzentwurf
die Zustimmung des vormaligen Präsidenten des Neichskanzleramtes erlangt
haben würde. Man kann diese Haltung der beiden freihändlerischen Minister
so erklären, und zunächst wird das wohl das Nichtige sein, daß so auffallende
Mißbräuche Seitens der französischen Regierung mit den sogenannten Cautions-
bescheinigungen zugelassen werden, daß selbst entschieden freihändlerische Staats¬
männer keine Abhülfe gefunden haben, als die Vollmacht zu einer Retorsions-
Maßregel. Der in Frage stehende Mißbrauch besteht bekanntlich darin, daß
französische Fabrikanten, indem sie für vom Ausland bezogene Waaren den
französischen Zoll entrichten, eine Bescheinigung erlangen, wodurch der Zoll
den Character einer Caution der wieder zu bewirkenden Ausfuhr annimmt.
Im Fall der Ausfuhr wird nämlich der Zoll zurückerstattet. Allein diese
Cautionsbescheinigungen gewähren das Recht der Rückerstattung jedem, der
sie vorzeigt und der zugleich eine bestimmte Waarengattung einführt. Es
handelt sich also um eine einfache Ausfuhrprämie, wie sie nicht statthaft ist
gegenüber einer Nation, welche laut des Frankfurter Friedens durch Frank¬
reich auf dem Fuße der meist begünstigten Nationen zu behandeln ist. Die
französische Negierung hat indeß wiederholt verweigert, dem bezüglichen An-
spruch für Deutschland Gehör zu geben. So bleibt denn freilich nichts als
ein Retorsionszoll. wenn man nicht etwa Drohungen erlassen und Truppen
mobil machen will. Schritte, welche Deutschlands Regierungen und Volk
gleich lebhaft von sich weisen.


Grenzboten IV. 1876. 65
Dom deutschen Keichstag.

Die Sitzungstage dieser Woche enthalten nur einen parlamentarisch
wichtigen Tag, den 12. Dezember. An demselben stand zur ersten Berathung
das Gesetz über die Erhebung von Ausgleichungsabgaben. Das Gesetz be¬
stimmt in sechs Paragraphen, daß Eisen und Stahl, gewisse Eisen- und
Stahlwaaren, Maschinen aus Eisen und Stahl, und endlich Zucker, wenn
sie bei der Einfuhr nach Deutschland aus einem anderen Lande Seitens des
letzteren durch Ausfuhrprämien begünstigt werden, diesseits durch eine Zoll¬
erhöhung nach Ermessen der Reichsregierung getroffen werden dürfen, unter
dem Namen einer Ausgleichungsabgabe. Der Gesetzentwurf wurde an eine
besondere Commission verwiesen. Die Wichtigkeit der Berathung, welche zu
diesem Entschluß führte, lag jedoch zumeist in einer Rede des Reichskanzlers,
alsdann aber auch in dem Umstände, daß die als Freihändler bekannten
Minister Ueberhand und Camphausen mit großer Energie für den Gesetz¬
entwurf eintraten. Minister Ueberhand erklärte zuvor, daß der Gesetzentwurf
die Zustimmung des vormaligen Präsidenten des Neichskanzleramtes erlangt
haben würde. Man kann diese Haltung der beiden freihändlerischen Minister
so erklären, und zunächst wird das wohl das Nichtige sein, daß so auffallende
Mißbräuche Seitens der französischen Regierung mit den sogenannten Cautions-
bescheinigungen zugelassen werden, daß selbst entschieden freihändlerische Staats¬
männer keine Abhülfe gefunden haben, als die Vollmacht zu einer Retorsions-
Maßregel. Der in Frage stehende Mißbrauch besteht bekanntlich darin, daß
französische Fabrikanten, indem sie für vom Ausland bezogene Waaren den
französischen Zoll entrichten, eine Bescheinigung erlangen, wodurch der Zoll
den Character einer Caution der wieder zu bewirkenden Ausfuhr annimmt.
Im Fall der Ausfuhr wird nämlich der Zoll zurückerstattet. Allein diese
Cautionsbescheinigungen gewähren das Recht der Rückerstattung jedem, der
sie vorzeigt und der zugleich eine bestimmte Waarengattung einführt. Es
handelt sich also um eine einfache Ausfuhrprämie, wie sie nicht statthaft ist
gegenüber einer Nation, welche laut des Frankfurter Friedens durch Frank¬
reich auf dem Fuße der meist begünstigten Nationen zu behandeln ist. Die
französische Negierung hat indeß wiederholt verweigert, dem bezüglichen An-
spruch für Deutschland Gehör zu geben. So bleibt denn freilich nichts als
ein Retorsionszoll. wenn man nicht etwa Drohungen erlassen und Truppen
mobil machen will. Schritte, welche Deutschlands Regierungen und Volk
gleich lebhaft von sich weisen.


Grenzboten IV. 1876. 65
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[0517] Dom deutschen Keichstag. Die Sitzungstage dieser Woche enthalten nur einen parlamentarisch wichtigen Tag, den 12. Dezember. An demselben stand zur ersten Berathung das Gesetz über die Erhebung von Ausgleichungsabgaben. Das Gesetz be¬ stimmt in sechs Paragraphen, daß Eisen und Stahl, gewisse Eisen- und Stahlwaaren, Maschinen aus Eisen und Stahl, und endlich Zucker, wenn sie bei der Einfuhr nach Deutschland aus einem anderen Lande Seitens des letzteren durch Ausfuhrprämien begünstigt werden, diesseits durch eine Zoll¬ erhöhung nach Ermessen der Reichsregierung getroffen werden dürfen, unter dem Namen einer Ausgleichungsabgabe. Der Gesetzentwurf wurde an eine besondere Commission verwiesen. Die Wichtigkeit der Berathung, welche zu diesem Entschluß führte, lag jedoch zumeist in einer Rede des Reichskanzlers, alsdann aber auch in dem Umstände, daß die als Freihändler bekannten Minister Ueberhand und Camphausen mit großer Energie für den Gesetz¬ entwurf eintraten. Minister Ueberhand erklärte zuvor, daß der Gesetzentwurf die Zustimmung des vormaligen Präsidenten des Neichskanzleramtes erlangt haben würde. Man kann diese Haltung der beiden freihändlerischen Minister so erklären, und zunächst wird das wohl das Nichtige sein, daß so auffallende Mißbräuche Seitens der französischen Regierung mit den sogenannten Cautions- bescheinigungen zugelassen werden, daß selbst entschieden freihändlerische Staats¬ männer keine Abhülfe gefunden haben, als die Vollmacht zu einer Retorsions- Maßregel. Der in Frage stehende Mißbrauch besteht bekanntlich darin, daß französische Fabrikanten, indem sie für vom Ausland bezogene Waaren den französischen Zoll entrichten, eine Bescheinigung erlangen, wodurch der Zoll den Character einer Caution der wieder zu bewirkenden Ausfuhr annimmt. Im Fall der Ausfuhr wird nämlich der Zoll zurückerstattet. Allein diese Cautionsbescheinigungen gewähren das Recht der Rückerstattung jedem, der sie vorzeigt und der zugleich eine bestimmte Waarengattung einführt. Es handelt sich also um eine einfache Ausfuhrprämie, wie sie nicht statthaft ist gegenüber einer Nation, welche laut des Frankfurter Friedens durch Frank¬ reich auf dem Fuße der meist begünstigten Nationen zu behandeln ist. Die französische Negierung hat indeß wiederholt verweigert, dem bezüglichen An- spruch für Deutschland Gehör zu geben. So bleibt denn freilich nichts als ein Retorsionszoll. wenn man nicht etwa Drohungen erlassen und Truppen mobil machen will. Schritte, welche Deutschlands Regierungen und Volk gleich lebhaft von sich weisen. Grenzboten IV. 1876. 65

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/517>, abgerufen am 29.04.2024.