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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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lich erwarten wir das von jedem Schriftsteller, der uns historische Dar¬
stellungen darzubieten vorhat. Im Allgemeinen gilt von dem Buche, daß es
da am Besten ist, wo der Verfasser Andere reden läßt.


Paul Niemeyer, Habilitationsschrift. --

Im Verlage von Ferd. Ente in Stuttgart hat der Naturforscher Dr. Paul
Niemeyer seine am 18. Juli d. I. als Dozent an der Leipziger Hochschule gehaltene
Antrittsvorlesung herausgegeben. Trotz ihres verlockenden Titels -- "über die
akustischen Zeichen der Pneumonie" --würden diese Blätter keine Veranlassung
haben, sich mit dieser kleinen Schrift zu beschäftigen, über welche lediglich die Fach¬
wissenschaft ihr Urtheil zu sprechen hat. Aber der Anhang, welchen der Verfasser
dem rein academischen, mehr vor einer Corona von Berühmtheiten als von Stu-
direnden gehaltenen Vortrage, hier im Druck nachfolgen läßt, verdient allerdings
die allgemeinste Beachtung. Niemeyer ist ja hauptsächlich bekannt durch seine
Wirksamkeit als Popularschriftsteller. Von Anfang an war sein Streben
darauf gerichtet, sein Wissen für die große Menge des Volkes aufzu.
münzen und in Umlauf zu setzen, statt sie in der Bundeslade des Zunfthauses
zu vergraben. Von der göttlichen Grobheit Böckh unterscheiden sich seine
Schriften sehr zu seinen Gunsten. In dem Anhange zu seiner Habilitations¬
schrift nun legt Niemeyer seine Ansichten "über Berechtigung und Methode
der populären Lehrthätigkeit" in sehr interessanter Weise dar. Er vertheidigt
das Ideal seiner Lehrthätigkeit, bet der er sich sein ganzes Volk, nicht blos
die auserwählten Jünger des Aesculap zu seinen Füßen versammelt denkt.
Er vertheidigt seinen "pikanten" Stil und seine Schriftstellerei in unwissen-
schaftlichen, aber gelesenen Zeitschriften und seine geflügelten Reden vor
einem "gemischten" Publikum. Er "vertheidigt" sich, sagen wir. Er sagt
nicht, wer sein Ankläger sei. Doch nicht jene erlauchte academische Gesell¬
schaft, vor der er seine Antrittsvorlesung hielt? Sie, die medicinische Fa-
cultät der weitgerühmten "ersten Hochschule Deutschlands" wird gewiß nicht
der Verbreitung ihres Wissens im Volke ein Schütteln ihrer ambrosischen
Locken entgegensetzen?


Dr. Carl Munde, Zimmerluft, Ventilation und Heizung. --

Die kleine und sehr billige (SO Pfennige) Schrift des bekannten
Dr. Carl Munde (Leipzig. Arnoldische Buchhandlung 1876) "Zim-
merluft, Ventilation und Heizung" enthält sehr beachtenswerthe
Vorschläge "zur wohlfeilen Verbesserung der verdorbenen Luft, welche wir
während der kalten Jahreszeit in unsren Wohnungen athmen, und welche
eine der Hauptursachen der Vermehrung und Verschlimmerung von Krank¬
heiten ist. Die Broschüre ist der Separatabdruck eines Kapitels aus der in
zwölfter Auflage erschienenen Wasserheillehre des Verfassers. Vier erläuternde
Holzschnitte sind ihr beigegeben. Die Sprache ist sehr verständlich, der Aus-


lich erwarten wir das von jedem Schriftsteller, der uns historische Dar¬
stellungen darzubieten vorhat. Im Allgemeinen gilt von dem Buche, daß es
da am Besten ist, wo der Verfasser Andere reden läßt.


Paul Niemeyer, Habilitationsschrift. —

Im Verlage von Ferd. Ente in Stuttgart hat der Naturforscher Dr. Paul
Niemeyer seine am 18. Juli d. I. als Dozent an der Leipziger Hochschule gehaltene
Antrittsvorlesung herausgegeben. Trotz ihres verlockenden Titels — „über die
akustischen Zeichen der Pneumonie" —würden diese Blätter keine Veranlassung
haben, sich mit dieser kleinen Schrift zu beschäftigen, über welche lediglich die Fach¬
wissenschaft ihr Urtheil zu sprechen hat. Aber der Anhang, welchen der Verfasser
dem rein academischen, mehr vor einer Corona von Berühmtheiten als von Stu-
direnden gehaltenen Vortrage, hier im Druck nachfolgen läßt, verdient allerdings
die allgemeinste Beachtung. Niemeyer ist ja hauptsächlich bekannt durch seine
Wirksamkeit als Popularschriftsteller. Von Anfang an war sein Streben
darauf gerichtet, sein Wissen für die große Menge des Volkes aufzu.
münzen und in Umlauf zu setzen, statt sie in der Bundeslade des Zunfthauses
zu vergraben. Von der göttlichen Grobheit Böckh unterscheiden sich seine
Schriften sehr zu seinen Gunsten. In dem Anhange zu seiner Habilitations¬
schrift nun legt Niemeyer seine Ansichten „über Berechtigung und Methode
der populären Lehrthätigkeit" in sehr interessanter Weise dar. Er vertheidigt
das Ideal seiner Lehrthätigkeit, bet der er sich sein ganzes Volk, nicht blos
die auserwählten Jünger des Aesculap zu seinen Füßen versammelt denkt.
Er vertheidigt seinen „pikanten" Stil und seine Schriftstellerei in unwissen-
schaftlichen, aber gelesenen Zeitschriften und seine geflügelten Reden vor
einem „gemischten" Publikum. Er „vertheidigt" sich, sagen wir. Er sagt
nicht, wer sein Ankläger sei. Doch nicht jene erlauchte academische Gesell¬
schaft, vor der er seine Antrittsvorlesung hielt? Sie, die medicinische Fa-
cultät der weitgerühmten „ersten Hochschule Deutschlands" wird gewiß nicht
der Verbreitung ihres Wissens im Volke ein Schütteln ihrer ambrosischen
Locken entgegensetzen?


Dr. Carl Munde, Zimmerluft, Ventilation und Heizung. —

Die kleine und sehr billige (SO Pfennige) Schrift des bekannten
Dr. Carl Munde (Leipzig. Arnoldische Buchhandlung 1876) „Zim-
merluft, Ventilation und Heizung" enthält sehr beachtenswerthe
Vorschläge „zur wohlfeilen Verbesserung der verdorbenen Luft, welche wir
während der kalten Jahreszeit in unsren Wohnungen athmen, und welche
eine der Hauptursachen der Vermehrung und Verschlimmerung von Krank¬
heiten ist. Die Broschüre ist der Separatabdruck eines Kapitels aus der in
zwölfter Auflage erschienenen Wasserheillehre des Verfassers. Vier erläuternde
Holzschnitte sind ihr beigegeben. Die Sprache ist sehr verständlich, der Aus-


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[0523] lich erwarten wir das von jedem Schriftsteller, der uns historische Dar¬ stellungen darzubieten vorhat. Im Allgemeinen gilt von dem Buche, daß es da am Besten ist, wo der Verfasser Andere reden läßt. Paul Niemeyer, Habilitationsschrift. — Im Verlage von Ferd. Ente in Stuttgart hat der Naturforscher Dr. Paul Niemeyer seine am 18. Juli d. I. als Dozent an der Leipziger Hochschule gehaltene Antrittsvorlesung herausgegeben. Trotz ihres verlockenden Titels — „über die akustischen Zeichen der Pneumonie" —würden diese Blätter keine Veranlassung haben, sich mit dieser kleinen Schrift zu beschäftigen, über welche lediglich die Fach¬ wissenschaft ihr Urtheil zu sprechen hat. Aber der Anhang, welchen der Verfasser dem rein academischen, mehr vor einer Corona von Berühmtheiten als von Stu- direnden gehaltenen Vortrage, hier im Druck nachfolgen läßt, verdient allerdings die allgemeinste Beachtung. Niemeyer ist ja hauptsächlich bekannt durch seine Wirksamkeit als Popularschriftsteller. Von Anfang an war sein Streben darauf gerichtet, sein Wissen für die große Menge des Volkes aufzu. münzen und in Umlauf zu setzen, statt sie in der Bundeslade des Zunfthauses zu vergraben. Von der göttlichen Grobheit Böckh unterscheiden sich seine Schriften sehr zu seinen Gunsten. In dem Anhange zu seiner Habilitations¬ schrift nun legt Niemeyer seine Ansichten „über Berechtigung und Methode der populären Lehrthätigkeit" in sehr interessanter Weise dar. Er vertheidigt das Ideal seiner Lehrthätigkeit, bet der er sich sein ganzes Volk, nicht blos die auserwählten Jünger des Aesculap zu seinen Füßen versammelt denkt. Er vertheidigt seinen „pikanten" Stil und seine Schriftstellerei in unwissen- schaftlichen, aber gelesenen Zeitschriften und seine geflügelten Reden vor einem „gemischten" Publikum. Er „vertheidigt" sich, sagen wir. Er sagt nicht, wer sein Ankläger sei. Doch nicht jene erlauchte academische Gesell¬ schaft, vor der er seine Antrittsvorlesung hielt? Sie, die medicinische Fa- cultät der weitgerühmten „ersten Hochschule Deutschlands" wird gewiß nicht der Verbreitung ihres Wissens im Volke ein Schütteln ihrer ambrosischen Locken entgegensetzen? Dr. Carl Munde, Zimmerluft, Ventilation und Heizung. — Die kleine und sehr billige (SO Pfennige) Schrift des bekannten Dr. Carl Munde (Leipzig. Arnoldische Buchhandlung 1876) „Zim- merluft, Ventilation und Heizung" enthält sehr beachtenswerthe Vorschläge „zur wohlfeilen Verbesserung der verdorbenen Luft, welche wir während der kalten Jahreszeit in unsren Wohnungen athmen, und welche eine der Hauptursachen der Vermehrung und Verschlimmerung von Krank¬ heiten ist. Die Broschüre ist der Separatabdruck eines Kapitels aus der in zwölfter Auflage erschienenen Wasserheillehre des Verfassers. Vier erläuternde Holzschnitte sind ihr beigegeben. Die Sprache ist sehr verständlich, der Aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/523>, abgerufen am 29.04.2024.