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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Es bleibt nur noch eine kleine Ecke fremden Sprachgebiets zu beleuchten
übrig, die von dem belgischen Wallonenlande im Süden von Aachen und
Eupen nach Preußen vorspringt. Sie enthält nur die einzige Stadt Mal-
medy. Ihr wurde noch vor wenigen Jahren der Vorwurf gemacht, daß sie
ganz und gar nur die französische Sprache pflege, daß dort in der Familie,
wie in den Verhandlungen des Gemeinderaths und anderer örtlichen Körper¬
schaften nur sie angewendet werde und daß auch die Gesinnung der Bürger¬
schaft französisch sei. Ob dem noch jetzt so ist, wissen wir nicht; aber wir
ersehen aus der Königlichen Verordnung, daß der Bürgerschaft keinerlei amtlicher
Gebrauch der fremden Sprache ferner gestattet ist, wohl aber den Landge¬
meinden im Süden und Osten, aber nicht im Norden der Stadt. Es geht
aus der Verordnung zugleich die merkwürdige Thatsache hervor, daß auch
die wallonischen Landgemeinden an der belgischen Grenze ihre localen
Angelegenheiten nicht in wallonischer, sondern in französischer Sprache ver¬
handeln. Diesem Mißbrauch hätten unseres Erachtens die preußischen Behör¬
den schon längst steuern sollen.

Werfen wir noch einen Rückblick auf das Gesammt-Ergebniß unserer
Untersuchung, so finden wir, daß die deutsche Sprache unter den fremden
Völkerbruchstücken an den Grenzen Preußens in Schleswig und im Bezirk
Aachen kaum merkliche, in Posen sehr erhebliche, in Ost- und Westpreußen,
sowie unter den in der Königlichen Verordnung unerwähnt gebliebenen Wenden
der Lausitz reißend schnelle Fortschritte gemacht hat. Ueber Oberschlesien
Edward Kattner. enthalten wir uns des Urtheils.




Der alte Jörster Krau.
(Aus einer Familienchronik.)

In Kirchditmold, einem Dorfe, das eine halbe Meile westlich von Kassel
am Fusse des Habichtswaldes liegt, hatte im vorigen und in diesem Jahr¬
hundert die althessische Försterfamilie Grau ihren Sitz. Ein Oberförster dieses
Namens, welcher dort das noch heute stehende Försterhaus baute, starb in
demselben vor Ausbruch des siebenjährigen Krieges und hinterließ eine Wittwe
mit zwei unmündigen Knaben, welche der damalige Landgraf von Hessen,
Wilhelm VIII., auf seine Kosten erziehen ließ. Als dieselben herangewachsen


Es bleibt nur noch eine kleine Ecke fremden Sprachgebiets zu beleuchten
übrig, die von dem belgischen Wallonenlande im Süden von Aachen und
Eupen nach Preußen vorspringt. Sie enthält nur die einzige Stadt Mal-
medy. Ihr wurde noch vor wenigen Jahren der Vorwurf gemacht, daß sie
ganz und gar nur die französische Sprache pflege, daß dort in der Familie,
wie in den Verhandlungen des Gemeinderaths und anderer örtlichen Körper¬
schaften nur sie angewendet werde und daß auch die Gesinnung der Bürger¬
schaft französisch sei. Ob dem noch jetzt so ist, wissen wir nicht; aber wir
ersehen aus der Königlichen Verordnung, daß der Bürgerschaft keinerlei amtlicher
Gebrauch der fremden Sprache ferner gestattet ist, wohl aber den Landge¬
meinden im Süden und Osten, aber nicht im Norden der Stadt. Es geht
aus der Verordnung zugleich die merkwürdige Thatsache hervor, daß auch
die wallonischen Landgemeinden an der belgischen Grenze ihre localen
Angelegenheiten nicht in wallonischer, sondern in französischer Sprache ver¬
handeln. Diesem Mißbrauch hätten unseres Erachtens die preußischen Behör¬
den schon längst steuern sollen.

Werfen wir noch einen Rückblick auf das Gesammt-Ergebniß unserer
Untersuchung, so finden wir, daß die deutsche Sprache unter den fremden
Völkerbruchstücken an den Grenzen Preußens in Schleswig und im Bezirk
Aachen kaum merkliche, in Posen sehr erhebliche, in Ost- und Westpreußen,
sowie unter den in der Königlichen Verordnung unerwähnt gebliebenen Wenden
der Lausitz reißend schnelle Fortschritte gemacht hat. Ueber Oberschlesien
Edward Kattner. enthalten wir uns des Urtheils.




Der alte Jörster Krau.
(Aus einer Familienchronik.)

In Kirchditmold, einem Dorfe, das eine halbe Meile westlich von Kassel
am Fusse des Habichtswaldes liegt, hatte im vorigen und in diesem Jahr¬
hundert die althessische Försterfamilie Grau ihren Sitz. Ein Oberförster dieses
Namens, welcher dort das noch heute stehende Försterhaus baute, starb in
demselben vor Ausbruch des siebenjährigen Krieges und hinterließ eine Wittwe
mit zwei unmündigen Knaben, welche der damalige Landgraf von Hessen,
Wilhelm VIII., auf seine Kosten erziehen ließ. Als dieselben herangewachsen


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[0076] Es bleibt nur noch eine kleine Ecke fremden Sprachgebiets zu beleuchten übrig, die von dem belgischen Wallonenlande im Süden von Aachen und Eupen nach Preußen vorspringt. Sie enthält nur die einzige Stadt Mal- medy. Ihr wurde noch vor wenigen Jahren der Vorwurf gemacht, daß sie ganz und gar nur die französische Sprache pflege, daß dort in der Familie, wie in den Verhandlungen des Gemeinderaths und anderer örtlichen Körper¬ schaften nur sie angewendet werde und daß auch die Gesinnung der Bürger¬ schaft französisch sei. Ob dem noch jetzt so ist, wissen wir nicht; aber wir ersehen aus der Königlichen Verordnung, daß der Bürgerschaft keinerlei amtlicher Gebrauch der fremden Sprache ferner gestattet ist, wohl aber den Landge¬ meinden im Süden und Osten, aber nicht im Norden der Stadt. Es geht aus der Verordnung zugleich die merkwürdige Thatsache hervor, daß auch die wallonischen Landgemeinden an der belgischen Grenze ihre localen Angelegenheiten nicht in wallonischer, sondern in französischer Sprache ver¬ handeln. Diesem Mißbrauch hätten unseres Erachtens die preußischen Behör¬ den schon längst steuern sollen. Werfen wir noch einen Rückblick auf das Gesammt-Ergebniß unserer Untersuchung, so finden wir, daß die deutsche Sprache unter den fremden Völkerbruchstücken an den Grenzen Preußens in Schleswig und im Bezirk Aachen kaum merkliche, in Posen sehr erhebliche, in Ost- und Westpreußen, sowie unter den in der Königlichen Verordnung unerwähnt gebliebenen Wenden der Lausitz reißend schnelle Fortschritte gemacht hat. Ueber Oberschlesien Edward Kattner. enthalten wir uns des Urtheils. Der alte Jörster Krau. (Aus einer Familienchronik.) In Kirchditmold, einem Dorfe, das eine halbe Meile westlich von Kassel am Fusse des Habichtswaldes liegt, hatte im vorigen und in diesem Jahr¬ hundert die althessische Försterfamilie Grau ihren Sitz. Ein Oberförster dieses Namens, welcher dort das noch heute stehende Försterhaus baute, starb in demselben vor Ausbruch des siebenjährigen Krieges und hinterließ eine Wittwe mit zwei unmündigen Knaben, welche der damalige Landgraf von Hessen, Wilhelm VIII., auf seine Kosten erziehen ließ. Als dieselben herangewachsen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/76>, abgerufen am 29.04.2024.