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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Die Lroöerungen der Aussen in Mittelasien.*)
i.

Die weiten Landstrecken östlich des Caspischen Meeres bis nach den west¬
lichen Ausläufern der Tjcm-Schein-, Alaran-, Großen Altai-Gebirge hin bilden
an dem oberen und mittleren Laufe des Ann- und Ssyrdarja, dem Oxus und
Jaxartes der Alten, das Hochland des alten Turan. An dem unteren Laufe
der beideu Flüsse dagegen und dann weiter bis zum Caspischen Meere gestalten
sie sich zu einer trostlosen Steppenniederung, welche nur hier und da durch
fruchtbare Oasen unterbrochen wird.

Die Bewohner dieser fernen Gegenden, der arischen und turanischen Race
angehörend, haben in der Geschichte uur zwei Mal die Aufmerksamkeit der
abendländischen Völker auf sich gezogen: zum ersten Male, als sie den Er¬
oberungsplänen Alexanders von Macedonien nicht ohne Erfolg entgegentraten
und damals, als Timur mit seinen Horden von hier aus zur Eroberung der
Welt auszog. Nach diesen beiden kurzen Episoden vollständig unbedeutend
geworden, erinnerten nur die ewigen Kriege, welche sie lediglich nach den Launen
und zum Nutzen ihrer Tyrannen unter einander führten, und welche nach
Einführung des Mohamedanismus im achten Jahrhundert besonders grausam
und fanatisch geworden waren, die Welt an ihre Existenz. Erst als der
russische Fuß die Steppen Mittel-Asiens betrat, tauchten auch die turanischen
Völkerschaften wieder aus der Vergessenheit auf. Ihre Gebiete haben im
Großen und Ganzen denselben Charakter: Oasen bilden ihre Kernländer, und
sind von riesigen Steppenflächen umgeben, welche von diesen in größerer oder
geringerer Abhängigkeit stehen.

Das westlichste der drei Reiche -- Chiwa -- eine kleine Oase an dem
unteren Laufe des Ann-darja erstreckte seiner Zeit seine Machtsphäre über die
östlich und nordöstlich vom Caspischen Meere gelegenen Steppen. Oestlich
davon liegt Buchara, das die sehr fruchtbaren Niederungen längs des Flusses
Sariawschau und des oberen und mittleren Ann-darja zu seinem Hauptgebiete
zählte. Noch weiter östlich endlich zwischen dem Tjan-schau-Gebirge und
Buchara, zwischen Karatepin und dem Lande der Großen Horde der Kirgisen
bestand das Chanat Kokain.

Die Bewohner aller drei Reiche bilden ein buntes Gemisch der ver¬
schiedensten Racen und Stämme, welche je nach dem Maaße ihres numerischen
Uebergewichtes, ihres Reichthums, ihrer Intelligenz zu den herrschenden oder
zu den Unterdrückten gehören. So herrschten sowohl in Chiwa, wie in Buchara
und Kokan die Usbeken, ein Volk türkischer Abstammung. Sie geben den



") Von dem Verfasser der deutschen Ausgabe des berühmten Werkes "die russisch-asi¬
atischen Grenzlande von Oberst Wenjukow, Leipzig, F> W> Grunow.
Die Lroöerungen der Aussen in Mittelasien.*)
i.

Die weiten Landstrecken östlich des Caspischen Meeres bis nach den west¬
lichen Ausläufern der Tjcm-Schein-, Alaran-, Großen Altai-Gebirge hin bilden
an dem oberen und mittleren Laufe des Ann- und Ssyrdarja, dem Oxus und
Jaxartes der Alten, das Hochland des alten Turan. An dem unteren Laufe
der beideu Flüsse dagegen und dann weiter bis zum Caspischen Meere gestalten
sie sich zu einer trostlosen Steppenniederung, welche nur hier und da durch
fruchtbare Oasen unterbrochen wird.

Die Bewohner dieser fernen Gegenden, der arischen und turanischen Race
angehörend, haben in der Geschichte uur zwei Mal die Aufmerksamkeit der
abendländischen Völker auf sich gezogen: zum ersten Male, als sie den Er¬
oberungsplänen Alexanders von Macedonien nicht ohne Erfolg entgegentraten
und damals, als Timur mit seinen Horden von hier aus zur Eroberung der
Welt auszog. Nach diesen beiden kurzen Episoden vollständig unbedeutend
geworden, erinnerten nur die ewigen Kriege, welche sie lediglich nach den Launen
und zum Nutzen ihrer Tyrannen unter einander führten, und welche nach
Einführung des Mohamedanismus im achten Jahrhundert besonders grausam
und fanatisch geworden waren, die Welt an ihre Existenz. Erst als der
russische Fuß die Steppen Mittel-Asiens betrat, tauchten auch die turanischen
Völkerschaften wieder aus der Vergessenheit auf. Ihre Gebiete haben im
Großen und Ganzen denselben Charakter: Oasen bilden ihre Kernländer, und
sind von riesigen Steppenflächen umgeben, welche von diesen in größerer oder
geringerer Abhängigkeit stehen.

Das westlichste der drei Reiche — Chiwa — eine kleine Oase an dem
unteren Laufe des Ann-darja erstreckte seiner Zeit seine Machtsphäre über die
östlich und nordöstlich vom Caspischen Meere gelegenen Steppen. Oestlich
davon liegt Buchara, das die sehr fruchtbaren Niederungen längs des Flusses
Sariawschau und des oberen und mittleren Ann-darja zu seinem Hauptgebiete
zählte. Noch weiter östlich endlich zwischen dem Tjan-schau-Gebirge und
Buchara, zwischen Karatepin und dem Lande der Großen Horde der Kirgisen
bestand das Chanat Kokain.

Die Bewohner aller drei Reiche bilden ein buntes Gemisch der ver¬
schiedensten Racen und Stämme, welche je nach dem Maaße ihres numerischen
Uebergewichtes, ihres Reichthums, ihrer Intelligenz zu den herrschenden oder
zu den Unterdrückten gehören. So herrschten sowohl in Chiwa, wie in Buchara
und Kokan die Usbeken, ein Volk türkischer Abstammung. Sie geben den



") Von dem Verfasser der deutschen Ausgabe des berühmten Werkes „die russisch-asi¬
atischen Grenzlande von Oberst Wenjukow, Leipzig, F> W> Grunow.
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[0015] Die Lroöerungen der Aussen in Mittelasien.*) i. Die weiten Landstrecken östlich des Caspischen Meeres bis nach den west¬ lichen Ausläufern der Tjcm-Schein-, Alaran-, Großen Altai-Gebirge hin bilden an dem oberen und mittleren Laufe des Ann- und Ssyrdarja, dem Oxus und Jaxartes der Alten, das Hochland des alten Turan. An dem unteren Laufe der beideu Flüsse dagegen und dann weiter bis zum Caspischen Meere gestalten sie sich zu einer trostlosen Steppenniederung, welche nur hier und da durch fruchtbare Oasen unterbrochen wird. Die Bewohner dieser fernen Gegenden, der arischen und turanischen Race angehörend, haben in der Geschichte uur zwei Mal die Aufmerksamkeit der abendländischen Völker auf sich gezogen: zum ersten Male, als sie den Er¬ oberungsplänen Alexanders von Macedonien nicht ohne Erfolg entgegentraten und damals, als Timur mit seinen Horden von hier aus zur Eroberung der Welt auszog. Nach diesen beiden kurzen Episoden vollständig unbedeutend geworden, erinnerten nur die ewigen Kriege, welche sie lediglich nach den Launen und zum Nutzen ihrer Tyrannen unter einander führten, und welche nach Einführung des Mohamedanismus im achten Jahrhundert besonders grausam und fanatisch geworden waren, die Welt an ihre Existenz. Erst als der russische Fuß die Steppen Mittel-Asiens betrat, tauchten auch die turanischen Völkerschaften wieder aus der Vergessenheit auf. Ihre Gebiete haben im Großen und Ganzen denselben Charakter: Oasen bilden ihre Kernländer, und sind von riesigen Steppenflächen umgeben, welche von diesen in größerer oder geringerer Abhängigkeit stehen. Das westlichste der drei Reiche — Chiwa — eine kleine Oase an dem unteren Laufe des Ann-darja erstreckte seiner Zeit seine Machtsphäre über die östlich und nordöstlich vom Caspischen Meere gelegenen Steppen. Oestlich davon liegt Buchara, das die sehr fruchtbaren Niederungen längs des Flusses Sariawschau und des oberen und mittleren Ann-darja zu seinem Hauptgebiete zählte. Noch weiter östlich endlich zwischen dem Tjan-schau-Gebirge und Buchara, zwischen Karatepin und dem Lande der Großen Horde der Kirgisen bestand das Chanat Kokain. Die Bewohner aller drei Reiche bilden ein buntes Gemisch der ver¬ schiedensten Racen und Stämme, welche je nach dem Maaße ihres numerischen Uebergewichtes, ihres Reichthums, ihrer Intelligenz zu den herrschenden oder zu den Unterdrückten gehören. So herrschten sowohl in Chiwa, wie in Buchara und Kokan die Usbeken, ein Volk türkischer Abstammung. Sie geben den ") Von dem Verfasser der deutschen Ausgabe des berühmten Werkes „die russisch-asi¬ atischen Grenzlande von Oberst Wenjukow, Leipzig, F> W> Grunow.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/15>, abgerufen am 04.05.2024.