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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Johann Kuß' letzte Leöensstunoen und Hoo.*)
Mi H. Salchow. tgetheilt von

Ein heutzutage ziemlich seltenes Werk ist des Magisters Zacharias Theo-
bald "Hussitenkrieg oder Geschichte des Lebens und der Lehre Johanns Hustens,
ingleichen der Böhmischen Kirche, nebst einem Anhange des Böhmischen Glaubens¬
bekenntnisses. Mit verschiedenen Kupfern und einer Vorrede Siegmund Jacobs
Baumgartens. Breslau, zu finden bey Johann Jacob Korn, 1750." -- Das
Werk enthält eine eingehende Schilderung des Wirkens und Lebens von Jo¬
hann Huß, soweit letzteres die Oeffentlichkeit angeht und finden wir daher in
ihm auch eine genaue Beschreibung seiner letzten Lebensstunden und seines
Märtyrertodes zu Kosemitz (Konstanz). Wir glauben, daß es unseren Lesern
nicht uninteressant sein wird, die authentischen und genanen Angaben hierüber,
die der Verfasser giebt, kennen zu lernen, und wir theilen sie daher hier mit.
Magister Theobald schreibt in dem ersten Hauptstück seines Buches, Z. 27,
wie folgt.

"Den 6. Juli (1415 nämlich), andere schreiben falsch den 6. Juni, wurde
die letzte Handlung vorgenommen. Zwo Stunden vor Tags kam der Bischof
v. Riga nebst einer mit Spiesser, Schwertern und Stangen gerüsteten Wache
in das Kloster der Minoriten, ließ Hussen aus dem Gefängnisse holen und
führete ihn in die Domkirche, wo die Cardinäle, Bischöfe, Prälaten, Pfaffen
und Mönche und viel gemeines Volk, die es mit ansehen wollten, versammelt
waren. Da er vor die Kirche kam, ließ er Hussen in dem Vorhofe bleiben,
damit er als ein Ketzer unter der Messe den Gottesdienst nicht entheiligen
möge. Da die Messe verrichtet war, mußte er in die Versammlung, die sich
rings herum an den Wänden, auf dazu erbaute Gerüste gesetzet hatte. Der
Kaiser selbst, der eine güldene Krone auf seinem Haupte hatte, saß auf seinem
kaiserlichen Thron; neben ihm hielte Herzog Ludwig von Bayern den Reichs¬
apfel mit dem Kreutze; auf der andern Seite stund der Burggraf von Nürnberg
mit einem blanken Schwerte. Mitten in der Kirche stund ein hoher Tisch,
darauf lag ein Meßgewand, mit welchem sie Hussen entweyhen wollten. Vor
diesen stellten sie Hussen, welcher niederkniete und betete. Unterdessen stieg
Bischof Nandinus, sonst der Mönch genannt, auf den Predigtstuhl, von welchem
sie ihre Decrete abzulesen pflegten, hielt einen langen Sermon aus dein sechsten
Kapitel des Apostels Pauli an die Römer über die Worte: Was wollen wir



") Wir geben das Nachstehende als unsern Beitrag zur Jubelfeier der römischen Curie über
den Büßergang Heinrichs des Vierten nach Canossa, unsern "Freiheitskämpfern" vom schwarzen
Centrum liebevoll zugeeignet. Ob die Auffassung des Magisters Theobald von dem National¬
helden der Tschechen diesen in national-politischer Hinsicht richtig schildert, gehört nicht in diese
D. Red. Darstellung seiner letzten Stunden.
Johann Kuß' letzte Leöensstunoen und Hoo.*)
Mi H. Salchow. tgetheilt von

Ein heutzutage ziemlich seltenes Werk ist des Magisters Zacharias Theo-
bald „Hussitenkrieg oder Geschichte des Lebens und der Lehre Johanns Hustens,
ingleichen der Böhmischen Kirche, nebst einem Anhange des Böhmischen Glaubens¬
bekenntnisses. Mit verschiedenen Kupfern und einer Vorrede Siegmund Jacobs
Baumgartens. Breslau, zu finden bey Johann Jacob Korn, 1750." — Das
Werk enthält eine eingehende Schilderung des Wirkens und Lebens von Jo¬
hann Huß, soweit letzteres die Oeffentlichkeit angeht und finden wir daher in
ihm auch eine genaue Beschreibung seiner letzten Lebensstunden und seines
Märtyrertodes zu Kosemitz (Konstanz). Wir glauben, daß es unseren Lesern
nicht uninteressant sein wird, die authentischen und genanen Angaben hierüber,
die der Verfasser giebt, kennen zu lernen, und wir theilen sie daher hier mit.
Magister Theobald schreibt in dem ersten Hauptstück seines Buches, Z. 27,
wie folgt.

„Den 6. Juli (1415 nämlich), andere schreiben falsch den 6. Juni, wurde
die letzte Handlung vorgenommen. Zwo Stunden vor Tags kam der Bischof
v. Riga nebst einer mit Spiesser, Schwertern und Stangen gerüsteten Wache
in das Kloster der Minoriten, ließ Hussen aus dem Gefängnisse holen und
führete ihn in die Domkirche, wo die Cardinäle, Bischöfe, Prälaten, Pfaffen
und Mönche und viel gemeines Volk, die es mit ansehen wollten, versammelt
waren. Da er vor die Kirche kam, ließ er Hussen in dem Vorhofe bleiben,
damit er als ein Ketzer unter der Messe den Gottesdienst nicht entheiligen
möge. Da die Messe verrichtet war, mußte er in die Versammlung, die sich
rings herum an den Wänden, auf dazu erbaute Gerüste gesetzet hatte. Der
Kaiser selbst, der eine güldene Krone auf seinem Haupte hatte, saß auf seinem
kaiserlichen Thron; neben ihm hielte Herzog Ludwig von Bayern den Reichs¬
apfel mit dem Kreutze; auf der andern Seite stund der Burggraf von Nürnberg
mit einem blanken Schwerte. Mitten in der Kirche stund ein hoher Tisch,
darauf lag ein Meßgewand, mit welchem sie Hussen entweyhen wollten. Vor
diesen stellten sie Hussen, welcher niederkniete und betete. Unterdessen stieg
Bischof Nandinus, sonst der Mönch genannt, auf den Predigtstuhl, von welchem
sie ihre Decrete abzulesen pflegten, hielt einen langen Sermon aus dein sechsten
Kapitel des Apostels Pauli an die Römer über die Worte: Was wollen wir



") Wir geben das Nachstehende als unsern Beitrag zur Jubelfeier der römischen Curie über
den Büßergang Heinrichs des Vierten nach Canossa, unsern „Freiheitskämpfern" vom schwarzen
Centrum liebevoll zugeeignet. Ob die Auffassung des Magisters Theobald von dem National¬
helden der Tschechen diesen in national-politischer Hinsicht richtig schildert, gehört nicht in diese
D. Red. Darstellung seiner letzten Stunden.
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[0190] Johann Kuß' letzte Leöensstunoen und Hoo.*) Mi H. Salchow. tgetheilt von Ein heutzutage ziemlich seltenes Werk ist des Magisters Zacharias Theo- bald „Hussitenkrieg oder Geschichte des Lebens und der Lehre Johanns Hustens, ingleichen der Böhmischen Kirche, nebst einem Anhange des Böhmischen Glaubens¬ bekenntnisses. Mit verschiedenen Kupfern und einer Vorrede Siegmund Jacobs Baumgartens. Breslau, zu finden bey Johann Jacob Korn, 1750." — Das Werk enthält eine eingehende Schilderung des Wirkens und Lebens von Jo¬ hann Huß, soweit letzteres die Oeffentlichkeit angeht und finden wir daher in ihm auch eine genaue Beschreibung seiner letzten Lebensstunden und seines Märtyrertodes zu Kosemitz (Konstanz). Wir glauben, daß es unseren Lesern nicht uninteressant sein wird, die authentischen und genanen Angaben hierüber, die der Verfasser giebt, kennen zu lernen, und wir theilen sie daher hier mit. Magister Theobald schreibt in dem ersten Hauptstück seines Buches, Z. 27, wie folgt. „Den 6. Juli (1415 nämlich), andere schreiben falsch den 6. Juni, wurde die letzte Handlung vorgenommen. Zwo Stunden vor Tags kam der Bischof v. Riga nebst einer mit Spiesser, Schwertern und Stangen gerüsteten Wache in das Kloster der Minoriten, ließ Hussen aus dem Gefängnisse holen und führete ihn in die Domkirche, wo die Cardinäle, Bischöfe, Prälaten, Pfaffen und Mönche und viel gemeines Volk, die es mit ansehen wollten, versammelt waren. Da er vor die Kirche kam, ließ er Hussen in dem Vorhofe bleiben, damit er als ein Ketzer unter der Messe den Gottesdienst nicht entheiligen möge. Da die Messe verrichtet war, mußte er in die Versammlung, die sich rings herum an den Wänden, auf dazu erbaute Gerüste gesetzet hatte. Der Kaiser selbst, der eine güldene Krone auf seinem Haupte hatte, saß auf seinem kaiserlichen Thron; neben ihm hielte Herzog Ludwig von Bayern den Reichs¬ apfel mit dem Kreutze; auf der andern Seite stund der Burggraf von Nürnberg mit einem blanken Schwerte. Mitten in der Kirche stund ein hoher Tisch, darauf lag ein Meßgewand, mit welchem sie Hussen entweyhen wollten. Vor diesen stellten sie Hussen, welcher niederkniete und betete. Unterdessen stieg Bischof Nandinus, sonst der Mönch genannt, auf den Predigtstuhl, von welchem sie ihre Decrete abzulesen pflegten, hielt einen langen Sermon aus dein sechsten Kapitel des Apostels Pauli an die Römer über die Worte: Was wollen wir ") Wir geben das Nachstehende als unsern Beitrag zur Jubelfeier der römischen Curie über den Büßergang Heinrichs des Vierten nach Canossa, unsern „Freiheitskämpfern" vom schwarzen Centrum liebevoll zugeeignet. Ob die Auffassung des Magisters Theobald von dem National¬ helden der Tschechen diesen in national-politischer Hinsicht richtig schildert, gehört nicht in diese D. Red. Darstellung seiner letzten Stunden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/190>, abgerufen am 03.05.2024.