Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.Literatur. Georg Jenntsch, eine alte Bündnergeschichte von Conrad Ferdinand Meyer. Leipzig, Verlag von H. Hässel, 1876. Zu wenig noch ist in Deutschland gekannt und gewürdigt der schweizerische Die Geschichte spielt in den Kämpfen, welche im siebzehnten Jahrhundert in "alt fry Literatur. Georg Jenntsch, eine alte Bündnergeschichte von Conrad Ferdinand Meyer. Leipzig, Verlag von H. Hässel, 1876. Zu wenig noch ist in Deutschland gekannt und gewürdigt der schweizerische Die Geschichte spielt in den Kämpfen, welche im siebzehnten Jahrhundert in „alt fry <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0286" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137459"/> </div> <div n="1"> <head> Literatur.</head><lb/> <div n="2"> <head> Georg Jenntsch, eine alte Bündnergeschichte von Conrad Ferdinand Meyer.<lb/> Leipzig, Verlag von H. Hässel, 1876.</head><lb/> <p xml:id="ID_939"> Zu wenig noch ist in Deutschland gekannt und gewürdigt der schweizerische<lb/> Verfasser dieser ausgezeichneten historischen Novelle. Zwar sein Kranz muster¬<lb/> hafter Sonette, „Hnttens letzte Tage", fand schon des Stoffes, des Helden<lb/> wegen mehr Beachtung als unser deutsches Publikum Dichtungen zu schenken<lb/> pflegt, welche, statt von der Zeitnngsreclame, nur von innerem Werth getragen<lb/> werden. Aber das poetische kleine Epos „Engelberg", die geistreich concipirte<lb/> Novelle „das Amulet", welche in der Pariser Bluthochzeit ihren Abschluß<lb/> findet, sowie eine Sammlung vou „Balladen", dann von „Romanzen und Bil¬<lb/> dern" drangen nur wenig über die kleine Gemeinde derjenigen hinaus, welche<lb/> noch an sorgfältigster Heranbildung wohl gewählter Stoffe in vollendeter<lb/> Form durch eine finnige Künstlernatur sich erfreun. Wie wir zu hastig leben,<lb/> so lesen — und schreiben — wir viel zu hastig heutzutage, um uns in die<lb/> Feinheiten, die stillen, geschmackvollen Reize solcher kleiner Cabinetsstücke zu<lb/> vertiefen, wie sie dieser wählerisch und subtil arbeitende Dichter langsam bildend,<lb/> zögernd, reift. Doch hat sich über die vorliegende Erzühlnng in erfreulicher<lb/> Uebereinstimmung schon eine Reihe berufener Urtheiler auf das Günstigste<lb/> ausgesprochen: aus voller Ueberzeugung werfen auch wir dem Dichter den<lb/> Kranz zu für seine mit feinem Stylgefühl vollendete Arbeit.</p><lb/> <p xml:id="ID_940" next="#ID_941"> Die Geschichte spielt in den Kämpfen, welche im siebzehnten Jahrhundert in „alt fry<lb/> Rhätien" für die Freiheit und Reformation gegen die spanisch-katholische Macht, fran¬<lb/> zösische Einflüsse und einheiunsche Adelsgeschlechter geführt wurden. Der Held Georg<lb/> Jenatsch ist ein reformirter Pfarrer, welcher aber viel mehr vom Kriegsmann<lb/> und Staatsmann als vom Geistlichen in sich trägt und, nachdem durch Fana¬<lb/> tismus der Gegner sein junges Weib ermordet, sein Pfarrhaus zerstört wird,<lb/> als Führer der Freiheits- und Glaubens-Kämpfer eine blutige Rolle spielt:<lb/> dabei tödtet er den Vater seiner Jugendgespielin und nnvergeßnen Jugend¬<lb/> geliebten Lucrezia, deu habsburgisch gesinnten Pompejus Planta in dessen<lb/> überfallnem Schloß. Wechselnde Geschicke führen den Helden in den Dienst<lb/> des edeln französischen Herzogs Rosen, — eine mit besonderer Vorliebe und<lb/> Feinheit gezeichnete Figur: die Semen, welche in deren Umgebung in Venedig<lb/> spielen, zählen zu den vorzüglichsten Bildern in dem Rahmen des Buches —<lb/> welchen er aber zuletzt verräth und verdrängt, weil er von dieser allzu zart-<lb/> fühligen und zaubernden Natur die Rettung seines Landes nicht mehr erwarten<lb/> kann. Dem: die leidenschaftlichste Vaterlandsliebe ist das letzte, das Grund-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0286]
Literatur.
Georg Jenntsch, eine alte Bündnergeschichte von Conrad Ferdinand Meyer.
Leipzig, Verlag von H. Hässel, 1876.
Zu wenig noch ist in Deutschland gekannt und gewürdigt der schweizerische
Verfasser dieser ausgezeichneten historischen Novelle. Zwar sein Kranz muster¬
hafter Sonette, „Hnttens letzte Tage", fand schon des Stoffes, des Helden
wegen mehr Beachtung als unser deutsches Publikum Dichtungen zu schenken
pflegt, welche, statt von der Zeitnngsreclame, nur von innerem Werth getragen
werden. Aber das poetische kleine Epos „Engelberg", die geistreich concipirte
Novelle „das Amulet", welche in der Pariser Bluthochzeit ihren Abschluß
findet, sowie eine Sammlung vou „Balladen", dann von „Romanzen und Bil¬
dern" drangen nur wenig über die kleine Gemeinde derjenigen hinaus, welche
noch an sorgfältigster Heranbildung wohl gewählter Stoffe in vollendeter
Form durch eine finnige Künstlernatur sich erfreun. Wie wir zu hastig leben,
so lesen — und schreiben — wir viel zu hastig heutzutage, um uns in die
Feinheiten, die stillen, geschmackvollen Reize solcher kleiner Cabinetsstücke zu
vertiefen, wie sie dieser wählerisch und subtil arbeitende Dichter langsam bildend,
zögernd, reift. Doch hat sich über die vorliegende Erzühlnng in erfreulicher
Uebereinstimmung schon eine Reihe berufener Urtheiler auf das Günstigste
ausgesprochen: aus voller Ueberzeugung werfen auch wir dem Dichter den
Kranz zu für seine mit feinem Stylgefühl vollendete Arbeit.
Die Geschichte spielt in den Kämpfen, welche im siebzehnten Jahrhundert in „alt fry
Rhätien" für die Freiheit und Reformation gegen die spanisch-katholische Macht, fran¬
zösische Einflüsse und einheiunsche Adelsgeschlechter geführt wurden. Der Held Georg
Jenatsch ist ein reformirter Pfarrer, welcher aber viel mehr vom Kriegsmann
und Staatsmann als vom Geistlichen in sich trägt und, nachdem durch Fana¬
tismus der Gegner sein junges Weib ermordet, sein Pfarrhaus zerstört wird,
als Führer der Freiheits- und Glaubens-Kämpfer eine blutige Rolle spielt:
dabei tödtet er den Vater seiner Jugendgespielin und nnvergeßnen Jugend¬
geliebten Lucrezia, deu habsburgisch gesinnten Pompejus Planta in dessen
überfallnem Schloß. Wechselnde Geschicke führen den Helden in den Dienst
des edeln französischen Herzogs Rosen, — eine mit besonderer Vorliebe und
Feinheit gezeichnete Figur: die Semen, welche in deren Umgebung in Venedig
spielen, zählen zu den vorzüglichsten Bildern in dem Rahmen des Buches —
welchen er aber zuletzt verräth und verdrängt, weil er von dieser allzu zart-
fühligen und zaubernden Natur die Rettung seines Landes nicht mehr erwarten
kann. Dem: die leidenschaftlichste Vaterlandsliebe ist das letzte, das Grund-
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