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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Pathos des gefährlich schlauen und kühnen Mannes, welchem er sogar das Opfer
seines Bekenntnisses zu bringen vermag: er tritt zum Katholicismus über,
um das Vertrauen seiner letztgewählten Verbündeten, der Spanier, zu befestigen.

Ausgezeichnet ist nun aber der herannahende Untergang des schuldigen
Abenteurers vorbereitet und ausgeführt: eine überwältigende Menge von po¬
litischen und persönlichen Feinden und Rändern hat den Allzuverwegenen bei
Gelegenheit eines angeblich zu seinen Ehren veranstalteten Siegesfestes auf
dem Rathhause zu Chur dermaßen umgarnt, daß wir ihn mit Besorgniß, ja
mit Unwillen seinen durchaus unebenbürtiger Mördern erliegen zu sehen fürchten.
Er ist nicht mehr zu retten. Hier greift nun tödtlich und doch verschonend die Hand
der Heldin ein: Lucrezia Planta, die Geliebte und Liebende, welche die Werbung
des Mörders ihres Vater stolz abgewiesen und diesen Vater zu rächen als ihr
Lebensziel erkannt -- sie selbst giebt dem heißgeliebten Mann, aus daß er nicht
in die Hände grausamer Feinde falle, dem rettungslos Verlornen, dcnTodesstoß. Das
ist sehr gewagt, da wir in dem Buch im siebzehnten Jahrhundert unter höfischen
Sitten leben, nicht etwa in Nibelungeuzeit und -Stil. Aber gerade hierin
hat die vollendete Kunst des Erzählers das Meisterstück gemacht: es ist ein
außergewöhnliches Maß von psychologischer Feinheit und Tiefe, mit welchem
die selten erscheinende, redekarge, herbe, verhaltene und doch heißherzige Lucrezia
so gezeichnet wird, daß sie nicht anders handeln und der Leser nichts anders
erwarten kann. -- Wenn ein Wunsch gegenüber der Erzählung sich aufdrängt,
so geht er dahin, von gewissen Vorgängen, die nur augedeutet und in ihren
Ergebnissen festgestellt worden, mehr Detail zu vernehmen: so aus der Zeit
der kühnen Kriegsfahrten des Helden, aus den Verhandlungen Lucrezias zu
Mailand, besonders aber aus den Begebnissen und Erlebnissen, welche Georgs
Uebertritt zum Katholizismus motiviren sollen, der etwas unvermittelt be¬
richtet wird. Wir erhoffen von dem Verfasser, der uns zwei treffliche historische
Novellen geschenkt, nunmehr einen historischen Roman.


Felix Da hu.
Spruch- und Liederbuch für Freimaurer. Von Dr. Felix Förster.,
M. v, Se. im Orient Naumburg. Naumburg a. d. S.,
Verlag von H. Sieling, 1876.

In einem einleitenden Gedichte feiert der Verfasser dieser Poesien die Frei¬
maurerei als eiuen Eichenbaum, der "am frischen grünen Holz nur immer
frischre Blätter treibt." Wir müssen auf Grund unsrer Erfahrung bestreiten,
daß das "nur" in diesem Bilde berechtigt ist. Im Gegentheil, es wollte uns
bisher immer bedünken, als ob dem Baume die Frische, die er zu Lessings
Zeiten hatte, merklich abhanden gekommen, als ob die Dryade ihn verlassen,


Pathos des gefährlich schlauen und kühnen Mannes, welchem er sogar das Opfer
seines Bekenntnisses zu bringen vermag: er tritt zum Katholicismus über,
um das Vertrauen seiner letztgewählten Verbündeten, der Spanier, zu befestigen.

Ausgezeichnet ist nun aber der herannahende Untergang des schuldigen
Abenteurers vorbereitet und ausgeführt: eine überwältigende Menge von po¬
litischen und persönlichen Feinden und Rändern hat den Allzuverwegenen bei
Gelegenheit eines angeblich zu seinen Ehren veranstalteten Siegesfestes auf
dem Rathhause zu Chur dermaßen umgarnt, daß wir ihn mit Besorgniß, ja
mit Unwillen seinen durchaus unebenbürtiger Mördern erliegen zu sehen fürchten.
Er ist nicht mehr zu retten. Hier greift nun tödtlich und doch verschonend die Hand
der Heldin ein: Lucrezia Planta, die Geliebte und Liebende, welche die Werbung
des Mörders ihres Vater stolz abgewiesen und diesen Vater zu rächen als ihr
Lebensziel erkannt — sie selbst giebt dem heißgeliebten Mann, aus daß er nicht
in die Hände grausamer Feinde falle, dem rettungslos Verlornen, dcnTodesstoß. Das
ist sehr gewagt, da wir in dem Buch im siebzehnten Jahrhundert unter höfischen
Sitten leben, nicht etwa in Nibelungeuzeit und -Stil. Aber gerade hierin
hat die vollendete Kunst des Erzählers das Meisterstück gemacht: es ist ein
außergewöhnliches Maß von psychologischer Feinheit und Tiefe, mit welchem
die selten erscheinende, redekarge, herbe, verhaltene und doch heißherzige Lucrezia
so gezeichnet wird, daß sie nicht anders handeln und der Leser nichts anders
erwarten kann. — Wenn ein Wunsch gegenüber der Erzählung sich aufdrängt,
so geht er dahin, von gewissen Vorgängen, die nur augedeutet und in ihren
Ergebnissen festgestellt worden, mehr Detail zu vernehmen: so aus der Zeit
der kühnen Kriegsfahrten des Helden, aus den Verhandlungen Lucrezias zu
Mailand, besonders aber aus den Begebnissen und Erlebnissen, welche Georgs
Uebertritt zum Katholizismus motiviren sollen, der etwas unvermittelt be¬
richtet wird. Wir erhoffen von dem Verfasser, der uns zwei treffliche historische
Novellen geschenkt, nunmehr einen historischen Roman.


Felix Da hu.
Spruch- und Liederbuch für Freimaurer. Von Dr. Felix Förster.,
M. v, Se. im Orient Naumburg. Naumburg a. d. S.,
Verlag von H. Sieling, 1876.

In einem einleitenden Gedichte feiert der Verfasser dieser Poesien die Frei¬
maurerei als eiuen Eichenbaum, der „am frischen grünen Holz nur immer
frischre Blätter treibt." Wir müssen auf Grund unsrer Erfahrung bestreiten,
daß das „nur" in diesem Bilde berechtigt ist. Im Gegentheil, es wollte uns
bisher immer bedünken, als ob dem Baume die Frische, die er zu Lessings
Zeiten hatte, merklich abhanden gekommen, als ob die Dryade ihn verlassen,


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[0287] Pathos des gefährlich schlauen und kühnen Mannes, welchem er sogar das Opfer seines Bekenntnisses zu bringen vermag: er tritt zum Katholicismus über, um das Vertrauen seiner letztgewählten Verbündeten, der Spanier, zu befestigen. Ausgezeichnet ist nun aber der herannahende Untergang des schuldigen Abenteurers vorbereitet und ausgeführt: eine überwältigende Menge von po¬ litischen und persönlichen Feinden und Rändern hat den Allzuverwegenen bei Gelegenheit eines angeblich zu seinen Ehren veranstalteten Siegesfestes auf dem Rathhause zu Chur dermaßen umgarnt, daß wir ihn mit Besorgniß, ja mit Unwillen seinen durchaus unebenbürtiger Mördern erliegen zu sehen fürchten. Er ist nicht mehr zu retten. Hier greift nun tödtlich und doch verschonend die Hand der Heldin ein: Lucrezia Planta, die Geliebte und Liebende, welche die Werbung des Mörders ihres Vater stolz abgewiesen und diesen Vater zu rächen als ihr Lebensziel erkannt — sie selbst giebt dem heißgeliebten Mann, aus daß er nicht in die Hände grausamer Feinde falle, dem rettungslos Verlornen, dcnTodesstoß. Das ist sehr gewagt, da wir in dem Buch im siebzehnten Jahrhundert unter höfischen Sitten leben, nicht etwa in Nibelungeuzeit und -Stil. Aber gerade hierin hat die vollendete Kunst des Erzählers das Meisterstück gemacht: es ist ein außergewöhnliches Maß von psychologischer Feinheit und Tiefe, mit welchem die selten erscheinende, redekarge, herbe, verhaltene und doch heißherzige Lucrezia so gezeichnet wird, daß sie nicht anders handeln und der Leser nichts anders erwarten kann. — Wenn ein Wunsch gegenüber der Erzählung sich aufdrängt, so geht er dahin, von gewissen Vorgängen, die nur augedeutet und in ihren Ergebnissen festgestellt worden, mehr Detail zu vernehmen: so aus der Zeit der kühnen Kriegsfahrten des Helden, aus den Verhandlungen Lucrezias zu Mailand, besonders aber aus den Begebnissen und Erlebnissen, welche Georgs Uebertritt zum Katholizismus motiviren sollen, der etwas unvermittelt be¬ richtet wird. Wir erhoffen von dem Verfasser, der uns zwei treffliche historische Novellen geschenkt, nunmehr einen historischen Roman. Felix Da hu. Spruch- und Liederbuch für Freimaurer. Von Dr. Felix Förster., M. v, Se. im Orient Naumburg. Naumburg a. d. S., Verlag von H. Sieling, 1876. In einem einleitenden Gedichte feiert der Verfasser dieser Poesien die Frei¬ maurerei als eiuen Eichenbaum, der „am frischen grünen Holz nur immer frischre Blätter treibt." Wir müssen auf Grund unsrer Erfahrung bestreiten, daß das „nur" in diesem Bilde berechtigt ist. Im Gegentheil, es wollte uns bisher immer bedünken, als ob dem Baume die Frische, die er zu Lessings Zeiten hatte, merklich abhanden gekommen, als ob die Dryade ihn verlassen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/287>, abgerufen am 03.05.2024.