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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Me Lroberungen der Aussen in Mittelasien.
in.

Verfolgt man die mittelasiatischen Angelegenheiten in der russischen Presse
aufmerksam, und sucht sich aus deren Auslassungen jene Frage zu beantworten,
so trifft man immer und immer wieder auf den Satz: Rußland hat die Mission,
in Mittelasien, Kultur zu verbreiten und muß sich deßhalb zum Herrn jener
Gebiete machen. Aber auch diese, schon zum Gemeinplatz gewordene, fast
verbrauchte Redensart kann uns wohl kaum diesen mit so mannigfachen Opfern
erkauften Länderzuwachs Rußlands genügend begründen. Wäre wirklich nur
diese civilisatorische Mission Selbstzweck des russischen Vorgehens in Central-
Asien, so könnte der Regierung wohl mit Recht der Vorwurf gemacht werden,
fernen barbarischen Völkerschaften Wohlthaten zuzuführen, welche Tausende und
Abertausende selbst im europäischen Rußland -- geschweige denn auf deu
256,321 >n Meilen Sibiriens -- noch vollständig entbehren. Man findet ja
allerdings bei einem nähern Studium der russischen Verhältnisse nur selten
jenes langsame aber sichere Fortdauer auf fester, nicht wankender Grundlage,
was unsern Staat groß gemacht hat und dessen Zukunft verbürgt, -- sondern
vielmehr oft ein Springen von Reform zu Reform, ohne daß eine Basis vor¬
handen ist. Dessenungeachtet dürfen wir aber nicht zugeben, daß Rußlands
Politik auch hier einen solchen Sprung gemacht habe, indem sie ferne Völker¬
schaften mit einer Kultur beglücken wolle, die eigene Unterthanen noch nicht
besitzen und wohl auch lange noch nicht besitzen werden.

Dem Vorgehen Rußlands in Mittelasien liegt vielmehr in gewisser Be¬
ziehung ein -- ich möchte sagen -- Verhängnis? zu Grunde, welchem sich die
Regierung -- hatte sie einmal die Initiative in jenen Angelegenheiten ergriffen
-- nicht wieder ohne Weiteres entziehen konnte: ein Verhängnis?, dem sie auch
heute noch mehr oder weniger verfallen ist.


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Me Lroberungen der Aussen in Mittelasien.
in.

Verfolgt man die mittelasiatischen Angelegenheiten in der russischen Presse
aufmerksam, und sucht sich aus deren Auslassungen jene Frage zu beantworten,
so trifft man immer und immer wieder auf den Satz: Rußland hat die Mission,
in Mittelasien, Kultur zu verbreiten und muß sich deßhalb zum Herrn jener
Gebiete machen. Aber auch diese, schon zum Gemeinplatz gewordene, fast
verbrauchte Redensart kann uns wohl kaum diesen mit so mannigfachen Opfern
erkauften Länderzuwachs Rußlands genügend begründen. Wäre wirklich nur
diese civilisatorische Mission Selbstzweck des russischen Vorgehens in Central-
Asien, so könnte der Regierung wohl mit Recht der Vorwurf gemacht werden,
fernen barbarischen Völkerschaften Wohlthaten zuzuführen, welche Tausende und
Abertausende selbst im europäischen Rußland — geschweige denn auf deu
256,321 >n Meilen Sibiriens — noch vollständig entbehren. Man findet ja
allerdings bei einem nähern Studium der russischen Verhältnisse nur selten
jenes langsame aber sichere Fortdauer auf fester, nicht wankender Grundlage,
was unsern Staat groß gemacht hat und dessen Zukunft verbürgt, — sondern
vielmehr oft ein Springen von Reform zu Reform, ohne daß eine Basis vor¬
handen ist. Dessenungeachtet dürfen wir aber nicht zugeben, daß Rußlands
Politik auch hier einen solchen Sprung gemacht habe, indem sie ferne Völker¬
schaften mit einer Kultur beglücken wolle, die eigene Unterthanen noch nicht
besitzen und wohl auch lange noch nicht besitzen werden.

Dem Vorgehen Rußlands in Mittelasien liegt vielmehr in gewisser Be¬
ziehung ein — ich möchte sagen — Verhängnis? zu Grunde, welchem sich die
Regierung — hatte sie einmal die Initiative in jenen Angelegenheiten ergriffen
— nicht wieder ohne Weiteres entziehen konnte: ein Verhängnis?, dem sie auch
heute noch mehr oder weniger verfallen ist.


Grenzten 1. >877. 11
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[0089] Me Lroberungen der Aussen in Mittelasien. in. Verfolgt man die mittelasiatischen Angelegenheiten in der russischen Presse aufmerksam, und sucht sich aus deren Auslassungen jene Frage zu beantworten, so trifft man immer und immer wieder auf den Satz: Rußland hat die Mission, in Mittelasien, Kultur zu verbreiten und muß sich deßhalb zum Herrn jener Gebiete machen. Aber auch diese, schon zum Gemeinplatz gewordene, fast verbrauchte Redensart kann uns wohl kaum diesen mit so mannigfachen Opfern erkauften Länderzuwachs Rußlands genügend begründen. Wäre wirklich nur diese civilisatorische Mission Selbstzweck des russischen Vorgehens in Central- Asien, so könnte der Regierung wohl mit Recht der Vorwurf gemacht werden, fernen barbarischen Völkerschaften Wohlthaten zuzuführen, welche Tausende und Abertausende selbst im europäischen Rußland — geschweige denn auf deu 256,321 >n Meilen Sibiriens — noch vollständig entbehren. Man findet ja allerdings bei einem nähern Studium der russischen Verhältnisse nur selten jenes langsame aber sichere Fortdauer auf fester, nicht wankender Grundlage, was unsern Staat groß gemacht hat und dessen Zukunft verbürgt, — sondern vielmehr oft ein Springen von Reform zu Reform, ohne daß eine Basis vor¬ handen ist. Dessenungeachtet dürfen wir aber nicht zugeben, daß Rußlands Politik auch hier einen solchen Sprung gemacht habe, indem sie ferne Völker¬ schaften mit einer Kultur beglücken wolle, die eigene Unterthanen noch nicht besitzen und wohl auch lange noch nicht besitzen werden. Dem Vorgehen Rußlands in Mittelasien liegt vielmehr in gewisser Be¬ ziehung ein — ich möchte sagen — Verhängnis? zu Grunde, welchem sich die Regierung — hatte sie einmal die Initiative in jenen Angelegenheiten ergriffen — nicht wieder ohne Weiteres entziehen konnte: ein Verhängnis?, dem sie auch heute noch mehr oder weniger verfallen ist. Grenzten 1. >877. 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/89>, abgerufen am 03.05.2024.