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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Blut in den Hohlwegen sah, wenn ich spazieren fuhr, und mancher Todte ist
zwischen den Felsen gefunden worden. Wir stehen noch immer unter fran¬
zösischer Administration. Wir leben in einem sehr bedeutenden Augenblick.
Adrastea wird mir immer sichtbarer, ich verstumme über der Welt Nichtig¬
keiten, vertraue und suche Muth zu fassen -- denn nur das, was nie vergeht
ist doch das Höchste und es steht in meiner Macht, es mir zu erhalten.


Ich bin mit recht vieler HochachtungIhre ergebene
Caroline.
6) Charlotte v. Kalb an die Fürstin Caroline Louise.

Berlin, den 26, Mai 1807.*)

Durchlauchtigste Fürstin, Gnädige Frau! Mit innigen Wünschen, Ihnen
geweiht, ist mein Gemüth erfüllt. Ernster und bedeutender wird dem Denkenden
das Leben, aber vor Allem dem Regenten, der das Band der Macht und Güte
leitet. -- Alles Heilsame und Schöne, wenn es auch nur einigen gewährt (ist)
und Bestand hat, ist doch ein Beispiel und Versicherung des Gelingens für
viele! Ob Sie, gnädigste Frau, wohl längst ahnen mußten, daß Sie Ihren
Gemahl überleben würden, so ist der Verlust eines geehrten, geliebten Wesens
stets eine Aenderung in unserer Ansicht und Bewußtsein. -- Man sagt, der
Schmerz vermindere sich mit der Zeit -- dies ist es nicht -- sondern wir ver¬
lieren durch diesen das Gefühl für Freude und Wehmuth. -- Gedanken des
Mütterlichen werden Sie erheben und stärken. -- Unser Zeitalter hat im All¬
gemeinen soviel an der Erkenntniß gewonnen, -- hingegen das Leben des
ruhigen, fröhlichen Genusses ist wohl für Unzählige beschränkt und vernichtet,
das wird die Zukunft erleben, die diese Zeit bereitet?! Die Epoque der jetzigen
Tage ist noch nicht vorüber, obgleich wohl viele wissen, wie sie endigen wird.


Mit treuester Verehrung, Liebe und Ehrfurcht
Ew. Durchlaucht
unterthänigste
Charlotte v. Kalb.

Möchte es mir in Nachsicht meiner so schwachen Augen vergeben werden,
daß ich dieses Blatt uicht wieder abschreibe.





- *) Nach dem am 23. April d. I. erfolgten Tode des Fürsten Ludwig Friedrich.
Grenzboten II. 1877.L(>

Blut in den Hohlwegen sah, wenn ich spazieren fuhr, und mancher Todte ist
zwischen den Felsen gefunden worden. Wir stehen noch immer unter fran¬
zösischer Administration. Wir leben in einem sehr bedeutenden Augenblick.
Adrastea wird mir immer sichtbarer, ich verstumme über der Welt Nichtig¬
keiten, vertraue und suche Muth zu fassen — denn nur das, was nie vergeht
ist doch das Höchste und es steht in meiner Macht, es mir zu erhalten.


Ich bin mit recht vieler HochachtungIhre ergebene
Caroline.
6) Charlotte v. Kalb an die Fürstin Caroline Louise.

Berlin, den 26, Mai 1807.*)

Durchlauchtigste Fürstin, Gnädige Frau! Mit innigen Wünschen, Ihnen
geweiht, ist mein Gemüth erfüllt. Ernster und bedeutender wird dem Denkenden
das Leben, aber vor Allem dem Regenten, der das Band der Macht und Güte
leitet. — Alles Heilsame und Schöne, wenn es auch nur einigen gewährt (ist)
und Bestand hat, ist doch ein Beispiel und Versicherung des Gelingens für
viele! Ob Sie, gnädigste Frau, wohl längst ahnen mußten, daß Sie Ihren
Gemahl überleben würden, so ist der Verlust eines geehrten, geliebten Wesens
stets eine Aenderung in unserer Ansicht und Bewußtsein. — Man sagt, der
Schmerz vermindere sich mit der Zeit — dies ist es nicht — sondern wir ver¬
lieren durch diesen das Gefühl für Freude und Wehmuth. — Gedanken des
Mütterlichen werden Sie erheben und stärken. — Unser Zeitalter hat im All¬
gemeinen soviel an der Erkenntniß gewonnen, — hingegen das Leben des
ruhigen, fröhlichen Genusses ist wohl für Unzählige beschränkt und vernichtet,
das wird die Zukunft erleben, die diese Zeit bereitet?! Die Epoque der jetzigen
Tage ist noch nicht vorüber, obgleich wohl viele wissen, wie sie endigen wird.


Mit treuester Verehrung, Liebe und Ehrfurcht
Ew. Durchlaucht
unterthänigste
Charlotte v. Kalb.

Möchte es mir in Nachsicht meiner so schwachen Augen vergeben werden,
daß ich dieses Blatt uicht wieder abschreibe.





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[0157] Blut in den Hohlwegen sah, wenn ich spazieren fuhr, und mancher Todte ist zwischen den Felsen gefunden worden. Wir stehen noch immer unter fran¬ zösischer Administration. Wir leben in einem sehr bedeutenden Augenblick. Adrastea wird mir immer sichtbarer, ich verstumme über der Welt Nichtig¬ keiten, vertraue und suche Muth zu fassen — denn nur das, was nie vergeht ist doch das Höchste und es steht in meiner Macht, es mir zu erhalten. Ich bin mit recht vieler HochachtungIhre ergebene Caroline. 6) Charlotte v. Kalb an die Fürstin Caroline Louise. Berlin, den 26, Mai 1807.*) Durchlauchtigste Fürstin, Gnädige Frau! Mit innigen Wünschen, Ihnen geweiht, ist mein Gemüth erfüllt. Ernster und bedeutender wird dem Denkenden das Leben, aber vor Allem dem Regenten, der das Band der Macht und Güte leitet. — Alles Heilsame und Schöne, wenn es auch nur einigen gewährt (ist) und Bestand hat, ist doch ein Beispiel und Versicherung des Gelingens für viele! Ob Sie, gnädigste Frau, wohl längst ahnen mußten, daß Sie Ihren Gemahl überleben würden, so ist der Verlust eines geehrten, geliebten Wesens stets eine Aenderung in unserer Ansicht und Bewußtsein. — Man sagt, der Schmerz vermindere sich mit der Zeit — dies ist es nicht — sondern wir ver¬ lieren durch diesen das Gefühl für Freude und Wehmuth. — Gedanken des Mütterlichen werden Sie erheben und stärken. — Unser Zeitalter hat im All¬ gemeinen soviel an der Erkenntniß gewonnen, — hingegen das Leben des ruhigen, fröhlichen Genusses ist wohl für Unzählige beschränkt und vernichtet, das wird die Zukunft erleben, die diese Zeit bereitet?! Die Epoque der jetzigen Tage ist noch nicht vorüber, obgleich wohl viele wissen, wie sie endigen wird. Mit treuester Verehrung, Liebe und Ehrfurcht Ew. Durchlaucht unterthänigste Charlotte v. Kalb. Möchte es mir in Nachsicht meiner so schwachen Augen vergeben werden, daß ich dieses Blatt uicht wieder abschreibe. - *) Nach dem am 23. April d. I. erfolgten Tode des Fürsten Ludwig Friedrich. Grenzboten II. 1877.L(>

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/157>, abgerufen am 26.05.2024.