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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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die aufrichtigen Wünsche, mit denen das deutsche Volk seinen großen Staats¬
mann in die Erholungspause begleitet, vollauf in Erfüllung gehen. --

Neben der Kanzlerfrage sind die übrigen Arbeiten des Reichstags in dieser
Woche ganz in den Hintergrund getreten. Außer einigen SpezialVorlagen für
Elsaß-Lothringen waren sie ausschließlich der Fortsetzung der zweiten Bera¬
thung des Reichshaushaltsetats gewidmet. In dem Marineetat gelang es
beträchtliche Ersparnisse zu erzielen. Bei dem Etat der Post- und Telegraphen-
verwaltuug hatte der Generalpostmeister ein endloses Kreuzfeuer vou Beschwer¬
den zu bestehen. Herr Stephan hat sich -- es ist das sehr zu bedauern --
namentlich durch die Behandlung der Kanteckiaffäre in eine recht ungünstige
Position gebracht. Doch mangelte es auch nicht an rückhaltloser Anerkennung
für die großartigen Leistungen unseres PostWesens.




Die Wendung in Dänemark.

Die Geschichte des Konstitutionalismus weist bekanntlich gar manche Fälle
von Streit zwischen der Regierung und den gesetzgebenden Körperschaften auf,
und in den meisten dieser Fälle erscheint die Schuld wesentlich auf Seiten der
Regierung, welche nur mit Unbehagen die verfassungsmäßigen Schranken er¬
trägt und mit größerer oder geringerer Absichtlichkeit sich über dieselben hin¬
wegsetzt.

Gegenwärtig liegt der umgekehrte Fall in Dänemark vor. Hier hat seit
Jahren die Volksvertretung ein solches Verhalten gegen die Regierung einge¬
schlagen, daß diese dadurch endlich, nach vielem Sträuben und nach fast völliger
Erschöpfung aller sonstigen Auskunftsmittel, sich veranlaßt gesehen hat, den
Weg außerordentlicher, auf das Nothrecht des Staats gegründeter Maßregeln
zu beschreiten, zu welchen das Folkething, nicht mehr blos aus Unvorsichtig¬
keit, sondern mit einer gewissen Absichtlichkeit sie geradezu gedrängt hat.

Diese Wendung ist nicht blos für die Entwicklung Dänemarks beklagens¬
wert!), sondern auch in ganz allgemeiner Beziehung. Wie oft haben die
Gegner verfassungsmäßiger Zustände, unter Berufung auf unzutreffende Fälle,
behauptet, es lasse sich mit konstitutionellen Schranken nicht regieren! hier
liegt um einmal wirklich ein Fall vor, in welchem die Volksvertretung den
Konstitutionalismus zur Farce gemacht hat.

Wir haben in unserer vorjährigen Darstellung die Vorgänge bis zur Auf¬
lösung des Folkethings betrachtet, welche am 29. März v. I. erfolgte, weil
dieses den Vorschlägen der Regierung in den Fragen der Landesvertheidigung.


die aufrichtigen Wünsche, mit denen das deutsche Volk seinen großen Staats¬
mann in die Erholungspause begleitet, vollauf in Erfüllung gehen. —

Neben der Kanzlerfrage sind die übrigen Arbeiten des Reichstags in dieser
Woche ganz in den Hintergrund getreten. Außer einigen SpezialVorlagen für
Elsaß-Lothringen waren sie ausschließlich der Fortsetzung der zweiten Bera¬
thung des Reichshaushaltsetats gewidmet. In dem Marineetat gelang es
beträchtliche Ersparnisse zu erzielen. Bei dem Etat der Post- und Telegraphen-
verwaltuug hatte der Generalpostmeister ein endloses Kreuzfeuer vou Beschwer¬
den zu bestehen. Herr Stephan hat sich — es ist das sehr zu bedauern —
namentlich durch die Behandlung der Kanteckiaffäre in eine recht ungünstige
Position gebracht. Doch mangelte es auch nicht an rückhaltloser Anerkennung
für die großartigen Leistungen unseres PostWesens.




Die Wendung in Dänemark.

Die Geschichte des Konstitutionalismus weist bekanntlich gar manche Fälle
von Streit zwischen der Regierung und den gesetzgebenden Körperschaften auf,
und in den meisten dieser Fälle erscheint die Schuld wesentlich auf Seiten der
Regierung, welche nur mit Unbehagen die verfassungsmäßigen Schranken er¬
trägt und mit größerer oder geringerer Absichtlichkeit sich über dieselben hin¬
wegsetzt.

Gegenwärtig liegt der umgekehrte Fall in Dänemark vor. Hier hat seit
Jahren die Volksvertretung ein solches Verhalten gegen die Regierung einge¬
schlagen, daß diese dadurch endlich, nach vielem Sträuben und nach fast völliger
Erschöpfung aller sonstigen Auskunftsmittel, sich veranlaßt gesehen hat, den
Weg außerordentlicher, auf das Nothrecht des Staats gegründeter Maßregeln
zu beschreiten, zu welchen das Folkething, nicht mehr blos aus Unvorsichtig¬
keit, sondern mit einer gewissen Absichtlichkeit sie geradezu gedrängt hat.

Diese Wendung ist nicht blos für die Entwicklung Dänemarks beklagens¬
wert!), sondern auch in ganz allgemeiner Beziehung. Wie oft haben die
Gegner verfassungsmäßiger Zustände, unter Berufung auf unzutreffende Fälle,
behauptet, es lasse sich mit konstitutionellen Schranken nicht regieren! hier
liegt um einmal wirklich ein Fall vor, in welchem die Volksvertretung den
Konstitutionalismus zur Farce gemacht hat.

Wir haben in unserer vorjährigen Darstellung die Vorgänge bis zur Auf¬
lösung des Folkethings betrachtet, welche am 29. März v. I. erfolgte, weil
dieses den Vorschlägen der Regierung in den Fragen der Landesvertheidigung.


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[0161] die aufrichtigen Wünsche, mit denen das deutsche Volk seinen großen Staats¬ mann in die Erholungspause begleitet, vollauf in Erfüllung gehen. — Neben der Kanzlerfrage sind die übrigen Arbeiten des Reichstags in dieser Woche ganz in den Hintergrund getreten. Außer einigen SpezialVorlagen für Elsaß-Lothringen waren sie ausschließlich der Fortsetzung der zweiten Bera¬ thung des Reichshaushaltsetats gewidmet. In dem Marineetat gelang es beträchtliche Ersparnisse zu erzielen. Bei dem Etat der Post- und Telegraphen- verwaltuug hatte der Generalpostmeister ein endloses Kreuzfeuer vou Beschwer¬ den zu bestehen. Herr Stephan hat sich — es ist das sehr zu bedauern — namentlich durch die Behandlung der Kanteckiaffäre in eine recht ungünstige Position gebracht. Doch mangelte es auch nicht an rückhaltloser Anerkennung für die großartigen Leistungen unseres PostWesens. Die Wendung in Dänemark. Die Geschichte des Konstitutionalismus weist bekanntlich gar manche Fälle von Streit zwischen der Regierung und den gesetzgebenden Körperschaften auf, und in den meisten dieser Fälle erscheint die Schuld wesentlich auf Seiten der Regierung, welche nur mit Unbehagen die verfassungsmäßigen Schranken er¬ trägt und mit größerer oder geringerer Absichtlichkeit sich über dieselben hin¬ wegsetzt. Gegenwärtig liegt der umgekehrte Fall in Dänemark vor. Hier hat seit Jahren die Volksvertretung ein solches Verhalten gegen die Regierung einge¬ schlagen, daß diese dadurch endlich, nach vielem Sträuben und nach fast völliger Erschöpfung aller sonstigen Auskunftsmittel, sich veranlaßt gesehen hat, den Weg außerordentlicher, auf das Nothrecht des Staats gegründeter Maßregeln zu beschreiten, zu welchen das Folkething, nicht mehr blos aus Unvorsichtig¬ keit, sondern mit einer gewissen Absichtlichkeit sie geradezu gedrängt hat. Diese Wendung ist nicht blos für die Entwicklung Dänemarks beklagens¬ wert!), sondern auch in ganz allgemeiner Beziehung. Wie oft haben die Gegner verfassungsmäßiger Zustände, unter Berufung auf unzutreffende Fälle, behauptet, es lasse sich mit konstitutionellen Schranken nicht regieren! hier liegt um einmal wirklich ein Fall vor, in welchem die Volksvertretung den Konstitutionalismus zur Farce gemacht hat. Wir haben in unserer vorjährigen Darstellung die Vorgänge bis zur Auf¬ lösung des Folkethings betrachtet, welche am 29. März v. I. erfolgte, weil dieses den Vorschlägen der Regierung in den Fragen der Landesvertheidigung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/161>, abgerufen am 19.05.2024.