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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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10) Charlotte v. Schiller an dieselbe.

Weimar, den 21. August 1814.

Gnädigste Dnrchlanchtigste Fürstin! Mein Herz treibt mich mit Sehn¬
sucht, Ihnen, gnädige Fürstin, mich schriftlich zu nähern, da ich Sie selbst zu
sehen nicht mehr das Glück habe. Ich bin immer so glücklich in Ihrer Nähe
und mich dünkt, daß es einem treuen Gemüth eigen ist, die schöne Gewohnheit
des Zusammenseins immer tiefer zu fühlen, je öfter man sich sieht. Da ich
mir schmeichle, daß Sie, gnädige Fürstin, von meiner Treue und Anhänglich¬
keit überzeugt sind, so darf ich auch hoffen, daß Sie meine Gefühle verstehen
und es mir gern glauben.

Immer neu und lieb bleibt nur die Rückkehr in meine liebe Vaterstadt
und es ist mir, als würde mein Herz immer stärker von den Eindrücken einer
früheren, glücklichen Lebensperiode ergriffen, je weiter sich die äußeren Gegen¬
stände von dem gegebenen Standpunkt entfernen und jemehr sich Alles zu
Einem Vergangenen bildet. -- Unter den schönen Erscheinungen des
Lebens, die ich mit dem Glück des vergangenen gern verbinde und die mir noch
mit allem Zauber eines warmen Gemüths entgegenlüchelt, ist Ihr edles liebes
Bild, theuerste verehrte Fürstin! Jeder Moment, wo ich einen Blick in Ihr
schönes Herz thun darf, ist mir eine neue freundliche Erscheinung. Gott segne
dieses Herz, das so manchen Erfahrungen des Schicksals Preis gegeben werden
mußte, und erhalte ihm den hohen inneren Reichthum, den es in sich bewahrt.

Ich darf Ihnen sagen, gnädige verehrte Fürstin, daß ich der schönen
Abendstunde mit einer heiligen Rührung denke und immer denken werde, wo
Sie mir sagten, wie Sie meine Liebe zu Schiller empfunden. -- Ein anderer
Abend, wo ich Ihnen gern mein innerstes Herz ausgesprochen und meine innige
Verehrung und Anhänglichkeit hätte zeigen mögen, lebt anch in meiner Seele
und viele warme, fromme innige Wünsche für das Gefühl der Ruhe und des
Friedens meiner verehrten gnädigen Fürstin lebten indeß in meiner Brust und
der Segen wird erfüllt werden.

Um auch in Ihren geistigen Beschäftigungen mit fort zu schreiten, habe
ich "Karmvniös Ah til, naturv" mir verschrieben; auf der hiesigen Bibliothek ist
es nicht. Indessen habe ich mich in die Kunst geworfen und studire den 2. Theil
von Winkelmann, dessen ich noch immer nicht habhaft werden konnte. -- Die
Beschreibung von Herkulanum ist mir sehr merkwürdig und die Dauer solcher
leblosen Dinge, die so viKe Generationen überleben, wenn wir die Kräfte der
geistigen Wirkungen verloren gehen sehen, das ist mir immer so traurig! Aber
wohl uns, daß der Glaube uus die Welt zeigt, wo nichts verloren gegangen
und wo jedes Streben nach dem Höheren und Edleren sein Ziel findet.

Ich bin recht abgeschnitten von der schönen Natur und suche vergebens die


10) Charlotte v. Schiller an dieselbe.

Weimar, den 21. August 1814.

Gnädigste Dnrchlanchtigste Fürstin! Mein Herz treibt mich mit Sehn¬
sucht, Ihnen, gnädige Fürstin, mich schriftlich zu nähern, da ich Sie selbst zu
sehen nicht mehr das Glück habe. Ich bin immer so glücklich in Ihrer Nähe
und mich dünkt, daß es einem treuen Gemüth eigen ist, die schöne Gewohnheit
des Zusammenseins immer tiefer zu fühlen, je öfter man sich sieht. Da ich
mir schmeichle, daß Sie, gnädige Fürstin, von meiner Treue und Anhänglich¬
keit überzeugt sind, so darf ich auch hoffen, daß Sie meine Gefühle verstehen
und es mir gern glauben.

Immer neu und lieb bleibt nur die Rückkehr in meine liebe Vaterstadt
und es ist mir, als würde mein Herz immer stärker von den Eindrücken einer
früheren, glücklichen Lebensperiode ergriffen, je weiter sich die äußeren Gegen¬
stände von dem gegebenen Standpunkt entfernen und jemehr sich Alles zu
Einem Vergangenen bildet. — Unter den schönen Erscheinungen des
Lebens, die ich mit dem Glück des vergangenen gern verbinde und die mir noch
mit allem Zauber eines warmen Gemüths entgegenlüchelt, ist Ihr edles liebes
Bild, theuerste verehrte Fürstin! Jeder Moment, wo ich einen Blick in Ihr
schönes Herz thun darf, ist mir eine neue freundliche Erscheinung. Gott segne
dieses Herz, das so manchen Erfahrungen des Schicksals Preis gegeben werden
mußte, und erhalte ihm den hohen inneren Reichthum, den es in sich bewahrt.

Ich darf Ihnen sagen, gnädige verehrte Fürstin, daß ich der schönen
Abendstunde mit einer heiligen Rührung denke und immer denken werde, wo
Sie mir sagten, wie Sie meine Liebe zu Schiller empfunden. — Ein anderer
Abend, wo ich Ihnen gern mein innerstes Herz ausgesprochen und meine innige
Verehrung und Anhänglichkeit hätte zeigen mögen, lebt anch in meiner Seele
und viele warme, fromme innige Wünsche für das Gefühl der Ruhe und des
Friedens meiner verehrten gnädigen Fürstin lebten indeß in meiner Brust und
der Segen wird erfüllt werden.

Um auch in Ihren geistigen Beschäftigungen mit fort zu schreiten, habe
ich „Karmvniös Ah til, naturv" mir verschrieben; auf der hiesigen Bibliothek ist
es nicht. Indessen habe ich mich in die Kunst geworfen und studire den 2. Theil
von Winkelmann, dessen ich noch immer nicht habhaft werden konnte. — Die
Beschreibung von Herkulanum ist mir sehr merkwürdig und die Dauer solcher
leblosen Dinge, die so viKe Generationen überleben, wenn wir die Kräfte der
geistigen Wirkungen verloren gehen sehen, das ist mir immer so traurig! Aber
wohl uns, daß der Glaube uus die Welt zeigt, wo nichts verloren gegangen
und wo jedes Streben nach dem Höheren und Edleren sein Ziel findet.

Ich bin recht abgeschnitten von der schönen Natur und suche vergebens die


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[0236] 10) Charlotte v. Schiller an dieselbe. Weimar, den 21. August 1814. Gnädigste Dnrchlanchtigste Fürstin! Mein Herz treibt mich mit Sehn¬ sucht, Ihnen, gnädige Fürstin, mich schriftlich zu nähern, da ich Sie selbst zu sehen nicht mehr das Glück habe. Ich bin immer so glücklich in Ihrer Nähe und mich dünkt, daß es einem treuen Gemüth eigen ist, die schöne Gewohnheit des Zusammenseins immer tiefer zu fühlen, je öfter man sich sieht. Da ich mir schmeichle, daß Sie, gnädige Fürstin, von meiner Treue und Anhänglich¬ keit überzeugt sind, so darf ich auch hoffen, daß Sie meine Gefühle verstehen und es mir gern glauben. Immer neu und lieb bleibt nur die Rückkehr in meine liebe Vaterstadt und es ist mir, als würde mein Herz immer stärker von den Eindrücken einer früheren, glücklichen Lebensperiode ergriffen, je weiter sich die äußeren Gegen¬ stände von dem gegebenen Standpunkt entfernen und jemehr sich Alles zu Einem Vergangenen bildet. — Unter den schönen Erscheinungen des Lebens, die ich mit dem Glück des vergangenen gern verbinde und die mir noch mit allem Zauber eines warmen Gemüths entgegenlüchelt, ist Ihr edles liebes Bild, theuerste verehrte Fürstin! Jeder Moment, wo ich einen Blick in Ihr schönes Herz thun darf, ist mir eine neue freundliche Erscheinung. Gott segne dieses Herz, das so manchen Erfahrungen des Schicksals Preis gegeben werden mußte, und erhalte ihm den hohen inneren Reichthum, den es in sich bewahrt. Ich darf Ihnen sagen, gnädige verehrte Fürstin, daß ich der schönen Abendstunde mit einer heiligen Rührung denke und immer denken werde, wo Sie mir sagten, wie Sie meine Liebe zu Schiller empfunden. — Ein anderer Abend, wo ich Ihnen gern mein innerstes Herz ausgesprochen und meine innige Verehrung und Anhänglichkeit hätte zeigen mögen, lebt anch in meiner Seele und viele warme, fromme innige Wünsche für das Gefühl der Ruhe und des Friedens meiner verehrten gnädigen Fürstin lebten indeß in meiner Brust und der Segen wird erfüllt werden. Um auch in Ihren geistigen Beschäftigungen mit fort zu schreiten, habe ich „Karmvniös Ah til, naturv" mir verschrieben; auf der hiesigen Bibliothek ist es nicht. Indessen habe ich mich in die Kunst geworfen und studire den 2. Theil von Winkelmann, dessen ich noch immer nicht habhaft werden konnte. — Die Beschreibung von Herkulanum ist mir sehr merkwürdig und die Dauer solcher leblosen Dinge, die so viKe Generationen überleben, wenn wir die Kräfte der geistigen Wirkungen verloren gehen sehen, das ist mir immer so traurig! Aber wohl uns, daß der Glaube uus die Welt zeigt, wo nichts verloren gegangen und wo jedes Streben nach dem Höheren und Edleren sein Ziel findet. Ich bin recht abgeschnitten von der schönen Natur und suche vergebens die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/236>, abgerufen am 26.05.2024.