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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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zu küssen und Ihnen meine Gefühle bleibender, treuer Anhänglichkeit auszu¬
sprechen.


Ihre unterthänigeCharlotte v. Schiller.


Dom Aeichstage.

Wiederum hat die Woche einen ganz und gar wirthschaftspolitischen Cha¬
rakter getragen.*) Die Ausgleichungsabgabenvorlage, deren erste Lesung noch
den ganzen Montag in Anspruch nahm, stand am Freitag zur zweiten Be¬
rathung ; am Sonnabend folgte ihr der Angriff der Schutzzöllner auf das bis¬
herige System der Handelsverträge. Die Fortsetzung der Ausgleichungsdebatte
bot keinerlei wesentlich neue Gesichtspunkte; namentlich die zweite Berathung
war im Großen und Ganzen eine bloße Wiederholung der in der ersten vor¬
gebrachten Argumente. Der Gegensatz der Meinungen blieb derselbe: die
Gegner der Vorlage erblickten in derselben den ersten Schritt auf der Bahn
der Rückkehr zum Schutzzoll, die Regierung bestritt dies und bezeichnete die
Retorsionsmaßregel vielmehr als einen der Befestigung einer gemäßigten Frei¬
handelspolitik zu leistenden Dienst. Leider stellte sich nur je länger je mehr
heraus, daß grade die eifrigsten Fürsprecher für die Regierungsvorlage
sämmtlich im schutzzöllnerischen Lager standen. Nichtsdestoweniger dauerte die
Unklarheit in der Stimmung des Hauses so hartnäckig fort, daß es bis zur
letzten Minute zweifelhaft war, wie die Entscheidung ausfallen würde; ja bis
zu einem gewissen Grade ist die Unklarheit selbst nach der Entscheidung be¬
stehen geblieben. Die große Mehrheit von 100 Stimmen, mit welcher der
Gesetzentwurf schließlich beseitigt wurde, gestattet keinen sichern Schluß; denn
vorher war die Tragweite der Vorlage durch Einschränkung der Ausgleichungs¬
abgabe auf Eisenbahnschienen und ganz grobe Gußwaaren so wesentlich
modificirt worden, daß sie für die prinzipiellen Schutzzöllner allen Werth ver¬
loren hatte und deshalb auch von ihnen in der namentlicher Abstimmung ver¬
worfen wurde. Jenes modificirende Amendement dagegen war mit sehr
schwacher Majorität angenommen worden; in der der letzteren gegenüberstehenden
großen Minderheit wird man also das eigentliche Kontingent der Freunde der
Regierungsvorlage zu erblicken haben.



*) Drnckfchlerberichtignng. Im letzten Bericht muß es heißen: S, 192
"q"ihrenden wirthschaftlichen Fragen" statt "rührenden"; S. 193 "am lautesten" statt "am
buntesten"; S. 195 "1. Januar 1377" statt "1. Januar 1857."

zu küssen und Ihnen meine Gefühle bleibender, treuer Anhänglichkeit auszu¬
sprechen.


Ihre unterthänigeCharlotte v. Schiller.


Dom Aeichstage.

Wiederum hat die Woche einen ganz und gar wirthschaftspolitischen Cha¬
rakter getragen.*) Die Ausgleichungsabgabenvorlage, deren erste Lesung noch
den ganzen Montag in Anspruch nahm, stand am Freitag zur zweiten Be¬
rathung ; am Sonnabend folgte ihr der Angriff der Schutzzöllner auf das bis¬
herige System der Handelsverträge. Die Fortsetzung der Ausgleichungsdebatte
bot keinerlei wesentlich neue Gesichtspunkte; namentlich die zweite Berathung
war im Großen und Ganzen eine bloße Wiederholung der in der ersten vor¬
gebrachten Argumente. Der Gegensatz der Meinungen blieb derselbe: die
Gegner der Vorlage erblickten in derselben den ersten Schritt auf der Bahn
der Rückkehr zum Schutzzoll, die Regierung bestritt dies und bezeichnete die
Retorsionsmaßregel vielmehr als einen der Befestigung einer gemäßigten Frei¬
handelspolitik zu leistenden Dienst. Leider stellte sich nur je länger je mehr
heraus, daß grade die eifrigsten Fürsprecher für die Regierungsvorlage
sämmtlich im schutzzöllnerischen Lager standen. Nichtsdestoweniger dauerte die
Unklarheit in der Stimmung des Hauses so hartnäckig fort, daß es bis zur
letzten Minute zweifelhaft war, wie die Entscheidung ausfallen würde; ja bis
zu einem gewissen Grade ist die Unklarheit selbst nach der Entscheidung be¬
stehen geblieben. Die große Mehrheit von 100 Stimmen, mit welcher der
Gesetzentwurf schließlich beseitigt wurde, gestattet keinen sichern Schluß; denn
vorher war die Tragweite der Vorlage durch Einschränkung der Ausgleichungs¬
abgabe auf Eisenbahnschienen und ganz grobe Gußwaaren so wesentlich
modificirt worden, daß sie für die prinzipiellen Schutzzöllner allen Werth ver¬
loren hatte und deshalb auch von ihnen in der namentlicher Abstimmung ver¬
worfen wurde. Jenes modificirende Amendement dagegen war mit sehr
schwacher Majorität angenommen worden; in der der letzteren gegenüberstehenden
großen Minderheit wird man also das eigentliche Kontingent der Freunde der
Regierungsvorlage zu erblicken haben.



*) Drnckfchlerberichtignng. Im letzten Bericht muß es heißen: S, 192
„q«ihrenden wirthschaftlichen Fragen" statt „rührenden"; S. 193 „am lautesten" statt „am
buntesten"; S. 195 „1. Januar 1377" statt „1. Januar 1857."
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[0241] zu küssen und Ihnen meine Gefühle bleibender, treuer Anhänglichkeit auszu¬ sprechen. Ihre unterthänigeCharlotte v. Schiller. Dom Aeichstage. Wiederum hat die Woche einen ganz und gar wirthschaftspolitischen Cha¬ rakter getragen.*) Die Ausgleichungsabgabenvorlage, deren erste Lesung noch den ganzen Montag in Anspruch nahm, stand am Freitag zur zweiten Be¬ rathung ; am Sonnabend folgte ihr der Angriff der Schutzzöllner auf das bis¬ herige System der Handelsverträge. Die Fortsetzung der Ausgleichungsdebatte bot keinerlei wesentlich neue Gesichtspunkte; namentlich die zweite Berathung war im Großen und Ganzen eine bloße Wiederholung der in der ersten vor¬ gebrachten Argumente. Der Gegensatz der Meinungen blieb derselbe: die Gegner der Vorlage erblickten in derselben den ersten Schritt auf der Bahn der Rückkehr zum Schutzzoll, die Regierung bestritt dies und bezeichnete die Retorsionsmaßregel vielmehr als einen der Befestigung einer gemäßigten Frei¬ handelspolitik zu leistenden Dienst. Leider stellte sich nur je länger je mehr heraus, daß grade die eifrigsten Fürsprecher für die Regierungsvorlage sämmtlich im schutzzöllnerischen Lager standen. Nichtsdestoweniger dauerte die Unklarheit in der Stimmung des Hauses so hartnäckig fort, daß es bis zur letzten Minute zweifelhaft war, wie die Entscheidung ausfallen würde; ja bis zu einem gewissen Grade ist die Unklarheit selbst nach der Entscheidung be¬ stehen geblieben. Die große Mehrheit von 100 Stimmen, mit welcher der Gesetzentwurf schließlich beseitigt wurde, gestattet keinen sichern Schluß; denn vorher war die Tragweite der Vorlage durch Einschränkung der Ausgleichungs¬ abgabe auf Eisenbahnschienen und ganz grobe Gußwaaren so wesentlich modificirt worden, daß sie für die prinzipiellen Schutzzöllner allen Werth ver¬ loren hatte und deshalb auch von ihnen in der namentlicher Abstimmung ver¬ worfen wurde. Jenes modificirende Amendement dagegen war mit sehr schwacher Majorität angenommen worden; in der der letzteren gegenüberstehenden großen Minderheit wird man also das eigentliche Kontingent der Freunde der Regierungsvorlage zu erblicken haben. *) Drnckfchlerberichtignng. Im letzten Bericht muß es heißen: S, 192 „q«ihrenden wirthschaftlichen Fragen" statt „rührenden"; S. 193 „am lautesten" statt „am buntesten"; S. 195 „1. Januar 1377" statt „1. Januar 1857."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/241>, abgerufen am 26.05.2024.