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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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in Aufregung gerathen über die unverhoffte Nachricht, daß Bismarck schon
nicht mehr Bismarck ist, das heißt, daß er ein gewöhnlicher Unterthan wurde,
wie jeder andere Sterbliche. Und es ist das nicht zu verwundern! Bismarck
hat überall seine drei Groschen hineingelegt. Wenn er nicht gewesen wäre, so
würden sich die Italiener nicht geeinigt haben und würden uicht dem heiligen
Vater die römisch-katholische Residenz, das ist Rom, genommen haben. Wenn
nicht er gewesen wäre, wäre jetzt in Frankreich ein König auf dem Thron;
aber Bismarck wollte nicht, daß in Frankreich Ruhe und Ordnung herrscht.
Wenn nicht er gewesen wäre, säße in Spanien auf dem Thron ein König von
katholischen Grundsätzen und Ueberzeugungen -- Don Carlos, und nicht Alfonso,
welcher so tanzt, wie ihm die Liberalen aufspielen."




Literatur.

Julius II. Ein Gespräch vor der Himnielsthür. Aus dem Lateinischen des
Girolamo Balbi, Bischofs von Gurk. Berlin, Verlag von T. C. Fr. Enslin. 1877.

Die berühmte im Stil des Lukian gehaltene Satire, welche unmittelbar
nach dem Tode des Papstes Julius des Zweiten unter dem Titel "Julius
exelusus" erschien und den Verstorbenen sowie das gesammte Papstthum in
der schärfsten Weise verspottete. Luther zählte sie zu seinen Lieblingsbüchem.
Einige vermutheten, Hütten, Andere, Erasmus sei ihr Verfasser. Jetzt weiß
man mit ziemlicher Bestimmtheit, daß der Venetianer Balbi sie geschrieben hat,
welcher zuerst als Professor in Paris, dann an den Universitäten Wien und
Prag, dann als Prinzenerzieher am Hofe des Königs Ladislaus von Ungarn
wirkte, der ihn später verschiedentlich als Gesandten verwendete, bis Balbi auf
die Verwendung seiner ehemaligen Schillerin Anna von Ungarn, der Gemahlin
Erzherzog Ferdinands, 1522 zum Bischof von Gurk in Kärnthen befördert
wurde. Seine lateinischen Briefe, Dialoge, Reden und Gedichte lassen ihn als
einen der geistreichsten und gebildetsten Männer seiner Zeit erscheinen, und daß
es ihm auch an Muth in der Vertretung seiner Ansichten nicht fehlte, zeigt
die unerschrockne Weise, mit der er vor Hadrian dem Sechsten und Klemens
dein Siebenten die Reformen vertrat, die er in seinem Bisthum als nothwendig
erkannt und durchgeführt hatte. Die vorliegende Satire beweist endlich, indem
sie sich in ein Gespräch zwischen Julius, dessen Genius, und Petrus kleidet,
welcher letztere dem Papste die Thür des Himmels nicht öffnen will und sie
ihm trotz des anspruchsvollen Auftretens desselben wirklich nicht aufthut, daß
Balbi auch ein ungewöhnlich witziger Kopf war, der selbst in einer Zeit, wo
ganz Italien eine einzige große Lasterschule war und es Pasquille auf das
geistliche Rom und sein Treiben förmlich regnete, mit seiner Spottschrift das
größte Aufsehen in der gelehrten Welt des gesammten Abendlandes erregte.




Verantwortlicher Redacteur: or. Hans Blum in Leipzig.
Verlag von F. L. Hrrbig i" Leipzig, -- Drink von Hüthcl Hrrrman" in Leipzig.

in Aufregung gerathen über die unverhoffte Nachricht, daß Bismarck schon
nicht mehr Bismarck ist, das heißt, daß er ein gewöhnlicher Unterthan wurde,
wie jeder andere Sterbliche. Und es ist das nicht zu verwundern! Bismarck
hat überall seine drei Groschen hineingelegt. Wenn er nicht gewesen wäre, so
würden sich die Italiener nicht geeinigt haben und würden uicht dem heiligen
Vater die römisch-katholische Residenz, das ist Rom, genommen haben. Wenn
nicht er gewesen wäre, wäre jetzt in Frankreich ein König auf dem Thron;
aber Bismarck wollte nicht, daß in Frankreich Ruhe und Ordnung herrscht.
Wenn nicht er gewesen wäre, säße in Spanien auf dem Thron ein König von
katholischen Grundsätzen und Ueberzeugungen — Don Carlos, und nicht Alfonso,
welcher so tanzt, wie ihm die Liberalen aufspielen."




Literatur.

Julius II. Ein Gespräch vor der Himnielsthür. Aus dem Lateinischen des
Girolamo Balbi, Bischofs von Gurk. Berlin, Verlag von T. C. Fr. Enslin. 1877.

Die berühmte im Stil des Lukian gehaltene Satire, welche unmittelbar
nach dem Tode des Papstes Julius des Zweiten unter dem Titel „Julius
exelusus" erschien und den Verstorbenen sowie das gesammte Papstthum in
der schärfsten Weise verspottete. Luther zählte sie zu seinen Lieblingsbüchem.
Einige vermutheten, Hütten, Andere, Erasmus sei ihr Verfasser. Jetzt weiß
man mit ziemlicher Bestimmtheit, daß der Venetianer Balbi sie geschrieben hat,
welcher zuerst als Professor in Paris, dann an den Universitäten Wien und
Prag, dann als Prinzenerzieher am Hofe des Königs Ladislaus von Ungarn
wirkte, der ihn später verschiedentlich als Gesandten verwendete, bis Balbi auf
die Verwendung seiner ehemaligen Schillerin Anna von Ungarn, der Gemahlin
Erzherzog Ferdinands, 1522 zum Bischof von Gurk in Kärnthen befördert
wurde. Seine lateinischen Briefe, Dialoge, Reden und Gedichte lassen ihn als
einen der geistreichsten und gebildetsten Männer seiner Zeit erscheinen, und daß
es ihm auch an Muth in der Vertretung seiner Ansichten nicht fehlte, zeigt
die unerschrockne Weise, mit der er vor Hadrian dem Sechsten und Klemens
dein Siebenten die Reformen vertrat, die er in seinem Bisthum als nothwendig
erkannt und durchgeführt hatte. Die vorliegende Satire beweist endlich, indem
sie sich in ein Gespräch zwischen Julius, dessen Genius, und Petrus kleidet,
welcher letztere dem Papste die Thür des Himmels nicht öffnen will und sie
ihm trotz des anspruchsvollen Auftretens desselben wirklich nicht aufthut, daß
Balbi auch ein ungewöhnlich witziger Kopf war, der selbst in einer Zeit, wo
ganz Italien eine einzige große Lasterschule war und es Pasquille auf das
geistliche Rom und sein Treiben förmlich regnete, mit seiner Spottschrift das
größte Aufsehen in der gelehrten Welt des gesammten Abendlandes erregte.




Verantwortlicher Redacteur: or. Hans Blum in Leipzig.
Verlag von F. L. Hrrbig i» Leipzig, — Drink von Hüthcl Hrrrman« in Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/244>, abgerufen am 19.05.2024.