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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Königspalastes, wo ein noch ärgeres Gedränge herrscht. Die praktische
Praxinoa ruft:

"Gorgo, gib mir die Hand, und du auch, Eunoa, halte
Fest an der Eutychis dich, daß nicht wir uns können verlieren. --
Alle zusammen hinein! -- Halt fest doch, Eunoa, halte! --
Ach, das Unglück! Da ist mir richtig der Schleier zerrissen,
Gorgo! Heda, theurer Mann, beim höchsten der Götter
Bitte ich dich, verdiene dir Segen und rette mein Kopftuch."

Der angerufene Fremdling leistet freundlich Hilfe, und unter seinem Bei¬
stande kommen die Frauen glücklich in das Innere des Schlosses. Ihre Augen
fallen zuerst auf die prachtvollen Teppiche und Gewebe, mit denen das Gemach
des Adonis ausstaffirt ist:


"Große Athene, wie ist geschickt das Alles gewoben,
Wie sind die Linien fein vom Zcichenkünstler gezogen!
Wie die Gestalten natürlich steh'n, natürlich sich regen,
Nicht wie gewebt, nein lebendig; -- ein kluges Geschöpf ist der Mensch doch!
Und wie er selber, so herrlich zu schau'n, auf silbernem Ruhbett
Daliegt, über die Wangen das erste Gclocke gebreitet;
Dreimal geliebter Adonis, der noch bei den Schatten geherzt wird!"

Den Redefluß der begeisterten Frauen unterbricht ein unhöflicher Fremd¬
ling, der sie Schwatzbasen nennt und sich über ihren breiten dorischen Dialekt
lustig macht; er wird aber von der Praxinoa übel abgefertigt:


"He, von wo ist der Mensch?! -- Wenn wir Schwatzbasen, was bist du?
Kauf' einen Knecht und befiehl ihm, doch nicht svrakusischen Frauen;
Daß du auch dieses wissest, wir sind korinthischen Stammes
Wie Held Vellerophon; wir reden peloponnesisch,
Und es dürfen, so denk' ich, wohl dorisch reden die Dorer.
Bei der Proserpina, Einen nur gab' es, der fähig mir schiene
Uns zu meistern. -- Bah! Streiche du nicht einen leeren Scheffel."

Die Abfertigung hat gewirkt. Der Tadler schweigt, und die Frauen hören
nun andächtig dem Festgesänge zu, welchen eine renommirte Solosängerin dem
Adonis zu Ehren vorträgt. Beide sind sehr von demselben befriedigt, und
Gorgo schließt mit den Worten:


"Praxinoa, wie ist doch die Frau ein verständiges Wesen!
Glücklich, wer soviel versteht, hochglücklich ob so einer Stimme. --
Aber wir müssen nach Haus, denn unwirsch ist Diokleidas.
Männer sind immer verdrießlich; gar hungrigen komme nicht nahe. --
Lieber Adonis, leb' wohl, und komme zur Freude uns wieder!" --

Hierniit schließe ich diese Bilder aus dem griechischen Alterthum. Als
beherzigenswert!) ist uns sicherlich die eine Wahrnehmung daraus entgegen¬
getreten: Die griechischen Frauen waren geehrt als Hüterinnen heiliger Schätze,


Königspalastes, wo ein noch ärgeres Gedränge herrscht. Die praktische
Praxinoa ruft:

„Gorgo, gib mir die Hand, und du auch, Eunoa, halte
Fest an der Eutychis dich, daß nicht wir uns können verlieren. —
Alle zusammen hinein! — Halt fest doch, Eunoa, halte! —
Ach, das Unglück! Da ist mir richtig der Schleier zerrissen,
Gorgo! Heda, theurer Mann, beim höchsten der Götter
Bitte ich dich, verdiene dir Segen und rette mein Kopftuch."

Der angerufene Fremdling leistet freundlich Hilfe, und unter seinem Bei¬
stande kommen die Frauen glücklich in das Innere des Schlosses. Ihre Augen
fallen zuerst auf die prachtvollen Teppiche und Gewebe, mit denen das Gemach
des Adonis ausstaffirt ist:


„Große Athene, wie ist geschickt das Alles gewoben,
Wie sind die Linien fein vom Zcichenkünstler gezogen!
Wie die Gestalten natürlich steh'n, natürlich sich regen,
Nicht wie gewebt, nein lebendig; — ein kluges Geschöpf ist der Mensch doch!
Und wie er selber, so herrlich zu schau'n, auf silbernem Ruhbett
Daliegt, über die Wangen das erste Gclocke gebreitet;
Dreimal geliebter Adonis, der noch bei den Schatten geherzt wird!"

Den Redefluß der begeisterten Frauen unterbricht ein unhöflicher Fremd¬
ling, der sie Schwatzbasen nennt und sich über ihren breiten dorischen Dialekt
lustig macht; er wird aber von der Praxinoa übel abgefertigt:


„He, von wo ist der Mensch?! — Wenn wir Schwatzbasen, was bist du?
Kauf' einen Knecht und befiehl ihm, doch nicht svrakusischen Frauen;
Daß du auch dieses wissest, wir sind korinthischen Stammes
Wie Held Vellerophon; wir reden peloponnesisch,
Und es dürfen, so denk' ich, wohl dorisch reden die Dorer.
Bei der Proserpina, Einen nur gab' es, der fähig mir schiene
Uns zu meistern. — Bah! Streiche du nicht einen leeren Scheffel."

Die Abfertigung hat gewirkt. Der Tadler schweigt, und die Frauen hören
nun andächtig dem Festgesänge zu, welchen eine renommirte Solosängerin dem
Adonis zu Ehren vorträgt. Beide sind sehr von demselben befriedigt, und
Gorgo schließt mit den Worten:


„Praxinoa, wie ist doch die Frau ein verständiges Wesen!
Glücklich, wer soviel versteht, hochglücklich ob so einer Stimme. —
Aber wir müssen nach Haus, denn unwirsch ist Diokleidas.
Männer sind immer verdrießlich; gar hungrigen komme nicht nahe. —
Lieber Adonis, leb' wohl, und komme zur Freude uns wieder!" —

Hierniit schließe ich diese Bilder aus dem griechischen Alterthum. Als
beherzigenswert!) ist uns sicherlich die eine Wahrnehmung daraus entgegen¬
getreten: Die griechischen Frauen waren geehrt als Hüterinnen heiliger Schätze,


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[0313] Königspalastes, wo ein noch ärgeres Gedränge herrscht. Die praktische Praxinoa ruft: „Gorgo, gib mir die Hand, und du auch, Eunoa, halte Fest an der Eutychis dich, daß nicht wir uns können verlieren. — Alle zusammen hinein! — Halt fest doch, Eunoa, halte! — Ach, das Unglück! Da ist mir richtig der Schleier zerrissen, Gorgo! Heda, theurer Mann, beim höchsten der Götter Bitte ich dich, verdiene dir Segen und rette mein Kopftuch." Der angerufene Fremdling leistet freundlich Hilfe, und unter seinem Bei¬ stande kommen die Frauen glücklich in das Innere des Schlosses. Ihre Augen fallen zuerst auf die prachtvollen Teppiche und Gewebe, mit denen das Gemach des Adonis ausstaffirt ist: „Große Athene, wie ist geschickt das Alles gewoben, Wie sind die Linien fein vom Zcichenkünstler gezogen! Wie die Gestalten natürlich steh'n, natürlich sich regen, Nicht wie gewebt, nein lebendig; — ein kluges Geschöpf ist der Mensch doch! Und wie er selber, so herrlich zu schau'n, auf silbernem Ruhbett Daliegt, über die Wangen das erste Gclocke gebreitet; Dreimal geliebter Adonis, der noch bei den Schatten geherzt wird!" Den Redefluß der begeisterten Frauen unterbricht ein unhöflicher Fremd¬ ling, der sie Schwatzbasen nennt und sich über ihren breiten dorischen Dialekt lustig macht; er wird aber von der Praxinoa übel abgefertigt: „He, von wo ist der Mensch?! — Wenn wir Schwatzbasen, was bist du? Kauf' einen Knecht und befiehl ihm, doch nicht svrakusischen Frauen; Daß du auch dieses wissest, wir sind korinthischen Stammes Wie Held Vellerophon; wir reden peloponnesisch, Und es dürfen, so denk' ich, wohl dorisch reden die Dorer. Bei der Proserpina, Einen nur gab' es, der fähig mir schiene Uns zu meistern. — Bah! Streiche du nicht einen leeren Scheffel." Die Abfertigung hat gewirkt. Der Tadler schweigt, und die Frauen hören nun andächtig dem Festgesänge zu, welchen eine renommirte Solosängerin dem Adonis zu Ehren vorträgt. Beide sind sehr von demselben befriedigt, und Gorgo schließt mit den Worten: „Praxinoa, wie ist doch die Frau ein verständiges Wesen! Glücklich, wer soviel versteht, hochglücklich ob so einer Stimme. — Aber wir müssen nach Haus, denn unwirsch ist Diokleidas. Männer sind immer verdrießlich; gar hungrigen komme nicht nahe. — Lieber Adonis, leb' wohl, und komme zur Freude uns wieder!" — Hierniit schließe ich diese Bilder aus dem griechischen Alterthum. Als beherzigenswert!) ist uns sicherlich die eine Wahrnehmung daraus entgegen¬ getreten: Die griechischen Frauen waren geehrt als Hüterinnen heiliger Schätze,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/313>, abgerufen am 26.05.2024.