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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Aer KandiverKsgejess der alten Zeit.
ii.

Versetzen wir uns in die letzten Jahre der guten alten Zeit, etwa in die
dreißiger Jahre dieses Säkulums, zurück und auf eine deutsche Landstraße,
so begegnen uns eine Menge von Typen, welche gegenwärtig entweder ganz
verschwunden oder so verändert sind, daß man Mühe hat, sie wiederzu¬
erkennen.

Wer sähe sie wohl noch in diesen Tagen der Eisenbahnen, die gewaltige,
solide Reisekarosse mit ihrer Schicht von Koffern und Mantelsäcken, in welcher
der deutsche Reichsgraf, der ungarische Magnat und der Kräh aus Reußenland
durch die langen Pappelreihen der staubigen Chaussee nach den Bädern
Böhmens hinfuhr? Daheim geblieben für immer ist seit Langem schon ihr
Gegenstück, der ärmliche, gebrechliche Leiterwagen, in dem, von dürren, zottigen
Pvlakenpferdcheu gezogen, die Pelzmütze und der Kaftan Schmuck's von
Meseritz und schmale's von Krotoschin der leipziger Messe zustrebten. Nur
bisweilen noch hören wir auf den Hauptverkehrswegen der vergangenen Welt,
die auch sonst recht einsam geworden sind, das Hörnchen des Schwagers
Postillon das Mantellied anstimmen, und dann ist es nicht mehr der alte ge¬
müthvolle Klang, der Ton des Behagens; denn das Hörnchen weiß, daß es
bald ganz verstummen wird, es ist zaghaft, zerstreut, verdrießlich geworden.
Nicht mehr öffnet sich der Schlagbaum des Chansseegeldeinuehmers respektvoll
vor dem haushoch beladenen Frachtwagen, der den Verkehr zwischen den See¬
städten und den Großhändlern von Breslau und Warschau, von Frankfurt
und Leipzig vermittelte. Wir hören ihn nicht mehr wiehern, den stattlichen
Hengst, der, geziert mit dem blanken Pferdeköpfchen am Sattelknopf, mit dem
rothen Frieslappen und dem Messiugkamm am Kümmel, herkömmlich unter
den sechs stämmige" Gäulen sein mußte, welche den wandernden Waarenberg
zogen. Auch sein kleiner Kamerad, der Spitz in der Schoßkelle, der den
vorübertrabenden Musterreiter, deu am Straßengraben lungernden Strolch, den
aufsteigenden Mond so munter anbellte, ist grämlich verstummt. Und wo be¬
gegnete man ihm noch, dem Herrn und Meister des Gefährts, dem würdigen
Fuhrmann in seinem blauen Kittel und seinem schwarzen, nach oben ausge¬
bogenen Filzcylinder, der, die geschwollne Geldkatze vor dem Bauche, langsam
und beschaulich neben seinem Gespann daher schritt? Er ist dahin wie sein
Gesell, der Feierbursch mit dem Karfnnkelgesicht und der Kümmelatmosphäre,


Aer KandiverKsgejess der alten Zeit.
ii.

Versetzen wir uns in die letzten Jahre der guten alten Zeit, etwa in die
dreißiger Jahre dieses Säkulums, zurück und auf eine deutsche Landstraße,
so begegnen uns eine Menge von Typen, welche gegenwärtig entweder ganz
verschwunden oder so verändert sind, daß man Mühe hat, sie wiederzu¬
erkennen.

Wer sähe sie wohl noch in diesen Tagen der Eisenbahnen, die gewaltige,
solide Reisekarosse mit ihrer Schicht von Koffern und Mantelsäcken, in welcher
der deutsche Reichsgraf, der ungarische Magnat und der Kräh aus Reußenland
durch die langen Pappelreihen der staubigen Chaussee nach den Bädern
Böhmens hinfuhr? Daheim geblieben für immer ist seit Langem schon ihr
Gegenstück, der ärmliche, gebrechliche Leiterwagen, in dem, von dürren, zottigen
Pvlakenpferdcheu gezogen, die Pelzmütze und der Kaftan Schmuck's von
Meseritz und schmale's von Krotoschin der leipziger Messe zustrebten. Nur
bisweilen noch hören wir auf den Hauptverkehrswegen der vergangenen Welt,
die auch sonst recht einsam geworden sind, das Hörnchen des Schwagers
Postillon das Mantellied anstimmen, und dann ist es nicht mehr der alte ge¬
müthvolle Klang, der Ton des Behagens; denn das Hörnchen weiß, daß es
bald ganz verstummen wird, es ist zaghaft, zerstreut, verdrießlich geworden.
Nicht mehr öffnet sich der Schlagbaum des Chansseegeldeinuehmers respektvoll
vor dem haushoch beladenen Frachtwagen, der den Verkehr zwischen den See¬
städten und den Großhändlern von Breslau und Warschau, von Frankfurt
und Leipzig vermittelte. Wir hören ihn nicht mehr wiehern, den stattlichen
Hengst, der, geziert mit dem blanken Pferdeköpfchen am Sattelknopf, mit dem
rothen Frieslappen und dem Messiugkamm am Kümmel, herkömmlich unter
den sechs stämmige« Gäulen sein mußte, welche den wandernden Waarenberg
zogen. Auch sein kleiner Kamerad, der Spitz in der Schoßkelle, der den
vorübertrabenden Musterreiter, deu am Straßengraben lungernden Strolch, den
aufsteigenden Mond so munter anbellte, ist grämlich verstummt. Und wo be¬
gegnete man ihm noch, dem Herrn und Meister des Gefährts, dem würdigen
Fuhrmann in seinem blauen Kittel und seinem schwarzen, nach oben ausge¬
bogenen Filzcylinder, der, die geschwollne Geldkatze vor dem Bauche, langsam
und beschaulich neben seinem Gespann daher schritt? Er ist dahin wie sein
Gesell, der Feierbursch mit dem Karfnnkelgesicht und der Kümmelatmosphäre,


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[0463] Aer KandiverKsgejess der alten Zeit. ii. Versetzen wir uns in die letzten Jahre der guten alten Zeit, etwa in die dreißiger Jahre dieses Säkulums, zurück und auf eine deutsche Landstraße, so begegnen uns eine Menge von Typen, welche gegenwärtig entweder ganz verschwunden oder so verändert sind, daß man Mühe hat, sie wiederzu¬ erkennen. Wer sähe sie wohl noch in diesen Tagen der Eisenbahnen, die gewaltige, solide Reisekarosse mit ihrer Schicht von Koffern und Mantelsäcken, in welcher der deutsche Reichsgraf, der ungarische Magnat und der Kräh aus Reußenland durch die langen Pappelreihen der staubigen Chaussee nach den Bädern Böhmens hinfuhr? Daheim geblieben für immer ist seit Langem schon ihr Gegenstück, der ärmliche, gebrechliche Leiterwagen, in dem, von dürren, zottigen Pvlakenpferdcheu gezogen, die Pelzmütze und der Kaftan Schmuck's von Meseritz und schmale's von Krotoschin der leipziger Messe zustrebten. Nur bisweilen noch hören wir auf den Hauptverkehrswegen der vergangenen Welt, die auch sonst recht einsam geworden sind, das Hörnchen des Schwagers Postillon das Mantellied anstimmen, und dann ist es nicht mehr der alte ge¬ müthvolle Klang, der Ton des Behagens; denn das Hörnchen weiß, daß es bald ganz verstummen wird, es ist zaghaft, zerstreut, verdrießlich geworden. Nicht mehr öffnet sich der Schlagbaum des Chansseegeldeinuehmers respektvoll vor dem haushoch beladenen Frachtwagen, der den Verkehr zwischen den See¬ städten und den Großhändlern von Breslau und Warschau, von Frankfurt und Leipzig vermittelte. Wir hören ihn nicht mehr wiehern, den stattlichen Hengst, der, geziert mit dem blanken Pferdeköpfchen am Sattelknopf, mit dem rothen Frieslappen und dem Messiugkamm am Kümmel, herkömmlich unter den sechs stämmige« Gäulen sein mußte, welche den wandernden Waarenberg zogen. Auch sein kleiner Kamerad, der Spitz in der Schoßkelle, der den vorübertrabenden Musterreiter, deu am Straßengraben lungernden Strolch, den aufsteigenden Mond so munter anbellte, ist grämlich verstummt. Und wo be¬ gegnete man ihm noch, dem Herrn und Meister des Gefährts, dem würdigen Fuhrmann in seinem blauen Kittel und seinem schwarzen, nach oben ausge¬ bogenen Filzcylinder, der, die geschwollne Geldkatze vor dem Bauche, langsam und beschaulich neben seinem Gespann daher schritt? Er ist dahin wie sein Gesell, der Feierbursch mit dem Karfnnkelgesicht und der Kümmelatmosphäre,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/463>, abgerufen am 19.05.2024.