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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Ire französische Akademie.

Die französische Akademie ist wegen der aristokratischen Abgeschlossenheit
ihrer "Olympier" und wegen einer gewissen zopfigen Pomphaftigkeit in ihrem
Auftreten viel verspottet worden. Prosper M6rim6e hat kaustische Bemerkungen
über sie gemacht, und de Vigny hat wiederholt sehr herb über den Werth der
von ihr verliehenen Würde geurtheilt, die vielen Franzosen als der höchste
Triumph, als der Gipfel des irdischen Glückes erscheint. Bei uns in Deutsch¬
land sind die Ansichten über diese Körperschaft meist sehr unklar, und so wird
es nützlich sein, wenn wir im Folgenden Einiges über die Geschichte und die
Einrichtung derselben mittheilen. Wer sich über den Gegenstand ausführlicher
zu unterrichten wünscht, dem sei die von uns in v. Ur. angezeigte Schrift
W.König's "Zur französischen Literaturgeschichte" (Halle, Lippert'sche
Buchhandlung. 1877) empfohlen, der wir das Nachstehende auszugsweise
entlehnen.

Die französische Akademie entstand aus einer Privatgesellschaft von Ge¬
lehrten und Literaturfreunden, welche die Richtung verfolgten, die Malherbe
eingeschlagen hatte, und die sich vorzüglich Reinheit des Stils, logische Schärfe
und Präzision des Ausdrucks und äußerste Korrektheit der Sprache zur Auf¬
gabe gemacht hatten. Richelieu, der ein Freund der Künste und Wissenschaften
war und überdies in Allem seine leitende Hand haben mußte, erfuhr von
diesem Verein und verwandelte ihn, gegen den Wunsch der neun Herrn, die
ihn damals bildeten, in eine unter staatlicher Autorität stehende Körperschaft.
Dieselbe erhielt am 29. Januar 1635 ihr Stiftungspatent und nannte sich
fortan ^es,ä6mie frau^ist!. Richelieu war der richtigen Ansicht, daß eine
anständige Freiheit die erste Lebensbedingung einer solchen Anstalt sei, und so
gestattete er, daß die Gesellschaft sich ihre Verfassung selbst entwarf. Dieselbe
ist im Wesentlichen bis heute unverändert geblieben. Die Akademie sollte aus
vierzig Mitgliedern bestehen, die von ihr selbst gewählt wurden. An der Spitze
standen ein Sekretär auf Lebenszeit, ein Direktor und ein Kanzler. Nächste
Aufgabe sollte sein, "die Sprache von den Unreinheiten zu säubern, welche sich
theils im Volksmunde, theils in dem großen Haufen der Justizbeamten und
dem Wust der Prozesse, oder durch die schlechten Gewohnheiten ungebildeter
Hofleute, oder durch Mißbräuche derer, die sie durch ihre Schriftstellern ver¬
derben, und derer, die auf den Kanzeln wohl sagen, was man sagen müsse,
es aber anders, als man sagen muß, angesammelt hatten." Als erstes Mittel zu
diesem Zwecke sollte ein neues Wörterbuch und eine neue Sprachlehre ange¬
fertigt werden, denen eine Rhetorik und eine Poetik folgen sollten. Endlich


Ire französische Akademie.

Die französische Akademie ist wegen der aristokratischen Abgeschlossenheit
ihrer „Olympier" und wegen einer gewissen zopfigen Pomphaftigkeit in ihrem
Auftreten viel verspottet worden. Prosper M6rim6e hat kaustische Bemerkungen
über sie gemacht, und de Vigny hat wiederholt sehr herb über den Werth der
von ihr verliehenen Würde geurtheilt, die vielen Franzosen als der höchste
Triumph, als der Gipfel des irdischen Glückes erscheint. Bei uns in Deutsch¬
land sind die Ansichten über diese Körperschaft meist sehr unklar, und so wird
es nützlich sein, wenn wir im Folgenden Einiges über die Geschichte und die
Einrichtung derselben mittheilen. Wer sich über den Gegenstand ausführlicher
zu unterrichten wünscht, dem sei die von uns in v. Ur. angezeigte Schrift
W.König's „Zur französischen Literaturgeschichte" (Halle, Lippert'sche
Buchhandlung. 1877) empfohlen, der wir das Nachstehende auszugsweise
entlehnen.

Die französische Akademie entstand aus einer Privatgesellschaft von Ge¬
lehrten und Literaturfreunden, welche die Richtung verfolgten, die Malherbe
eingeschlagen hatte, und die sich vorzüglich Reinheit des Stils, logische Schärfe
und Präzision des Ausdrucks und äußerste Korrektheit der Sprache zur Auf¬
gabe gemacht hatten. Richelieu, der ein Freund der Künste und Wissenschaften
war und überdies in Allem seine leitende Hand haben mußte, erfuhr von
diesem Verein und verwandelte ihn, gegen den Wunsch der neun Herrn, die
ihn damals bildeten, in eine unter staatlicher Autorität stehende Körperschaft.
Dieselbe erhielt am 29. Januar 1635 ihr Stiftungspatent und nannte sich
fortan ^es,ä6mie frau^ist!. Richelieu war der richtigen Ansicht, daß eine
anständige Freiheit die erste Lebensbedingung einer solchen Anstalt sei, und so
gestattete er, daß die Gesellschaft sich ihre Verfassung selbst entwarf. Dieselbe
ist im Wesentlichen bis heute unverändert geblieben. Die Akademie sollte aus
vierzig Mitgliedern bestehen, die von ihr selbst gewählt wurden. An der Spitze
standen ein Sekretär auf Lebenszeit, ein Direktor und ein Kanzler. Nächste
Aufgabe sollte sein, „die Sprache von den Unreinheiten zu säubern, welche sich
theils im Volksmunde, theils in dem großen Haufen der Justizbeamten und
dem Wust der Prozesse, oder durch die schlechten Gewohnheiten ungebildeter
Hofleute, oder durch Mißbräuche derer, die sie durch ihre Schriftstellern ver¬
derben, und derer, die auf den Kanzeln wohl sagen, was man sagen müsse,
es aber anders, als man sagen muß, angesammelt hatten." Als erstes Mittel zu
diesem Zwecke sollte ein neues Wörterbuch und eine neue Sprachlehre ange¬
fertigt werden, denen eine Rhetorik und eine Poetik folgen sollten. Endlich


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[0476] Ire französische Akademie. Die französische Akademie ist wegen der aristokratischen Abgeschlossenheit ihrer „Olympier" und wegen einer gewissen zopfigen Pomphaftigkeit in ihrem Auftreten viel verspottet worden. Prosper M6rim6e hat kaustische Bemerkungen über sie gemacht, und de Vigny hat wiederholt sehr herb über den Werth der von ihr verliehenen Würde geurtheilt, die vielen Franzosen als der höchste Triumph, als der Gipfel des irdischen Glückes erscheint. Bei uns in Deutsch¬ land sind die Ansichten über diese Körperschaft meist sehr unklar, und so wird es nützlich sein, wenn wir im Folgenden Einiges über die Geschichte und die Einrichtung derselben mittheilen. Wer sich über den Gegenstand ausführlicher zu unterrichten wünscht, dem sei die von uns in v. Ur. angezeigte Schrift W.König's „Zur französischen Literaturgeschichte" (Halle, Lippert'sche Buchhandlung. 1877) empfohlen, der wir das Nachstehende auszugsweise entlehnen. Die französische Akademie entstand aus einer Privatgesellschaft von Ge¬ lehrten und Literaturfreunden, welche die Richtung verfolgten, die Malherbe eingeschlagen hatte, und die sich vorzüglich Reinheit des Stils, logische Schärfe und Präzision des Ausdrucks und äußerste Korrektheit der Sprache zur Auf¬ gabe gemacht hatten. Richelieu, der ein Freund der Künste und Wissenschaften war und überdies in Allem seine leitende Hand haben mußte, erfuhr von diesem Verein und verwandelte ihn, gegen den Wunsch der neun Herrn, die ihn damals bildeten, in eine unter staatlicher Autorität stehende Körperschaft. Dieselbe erhielt am 29. Januar 1635 ihr Stiftungspatent und nannte sich fortan ^es,ä6mie frau^ist!. Richelieu war der richtigen Ansicht, daß eine anständige Freiheit die erste Lebensbedingung einer solchen Anstalt sei, und so gestattete er, daß die Gesellschaft sich ihre Verfassung selbst entwarf. Dieselbe ist im Wesentlichen bis heute unverändert geblieben. Die Akademie sollte aus vierzig Mitgliedern bestehen, die von ihr selbst gewählt wurden. An der Spitze standen ein Sekretär auf Lebenszeit, ein Direktor und ein Kanzler. Nächste Aufgabe sollte sein, „die Sprache von den Unreinheiten zu säubern, welche sich theils im Volksmunde, theils in dem großen Haufen der Justizbeamten und dem Wust der Prozesse, oder durch die schlechten Gewohnheiten ungebildeter Hofleute, oder durch Mißbräuche derer, die sie durch ihre Schriftstellern ver¬ derben, und derer, die auf den Kanzeln wohl sagen, was man sagen müsse, es aber anders, als man sagen muß, angesammelt hatten." Als erstes Mittel zu diesem Zwecke sollte ein neues Wörterbuch und eine neue Sprachlehre ange¬ fertigt werden, denen eine Rhetorik und eine Poetik folgen sollten. Endlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/476>, abgerufen am 19.05.2024.