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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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von Fach keinen Eindruck machen, weil dieser aus Uebung und Gewohnheit
weiß, daß die Leute, denen die Abwehr zusteht, gleichfalls ein Auge für diese
Gefahren haben." Eine improvisirte Truppe mag noch so "begeistert" und "voll
Muth" sein, dennoch wird sie überrascht sich meist kopflos zeigen, da sie dann
leicht Alles für verloren hält, während eine reguläre kühler bleibt und sich
selbst gegen Uebermacht zur Wehre setzt und ihre Schuldigkeit thut, gleichgiltig,
was dabei herauskommen möge.

"Die Friedenserziehung drängt in dem Soldaten den Menschen zurück,
sie macht ihn objektiver, entzieht ihn der subjektiven Empfindung. Er lernt
seine Stimmungen beherrschen, verliert das Interesse für das eigne Wohl und
Wehe und konzentrirt aus Gewohnheit alle Gedanken auf die Sache, auf den
Zweck, der gerade von seiner Truppe verfolgt wird. Gleichgiltig ist, ob dabei
der Einzelne zu Grunde geht, wenn nur die ganze Gemeinschaft triumphirt,
der er angehört. Das ist ein Gedanke, der für jeden guten Soldaten der
erste Glaubenssatz wird. Nicht an ritterlichen Eigenschaften, wohl aber an
diesem unerbittlichen Pflichtgefühle fehlte es den Armeen der Republik von
1870. Es waren ziemlich willenlose, unselbständige Massen, wohl empfänglich
für einen von oben gegebenen Impuls und fügsam, aber arm an positiver
nachhaltiger Kraft und Leistungsfähigkeit." Gambetta glaubte nur an die tech¬
nische Vortrefflichkeit des deutschen Heeres, aber die Vorzüge desselben lagen
ebensowohl in seinem innern Leben; sein gesammter Geist war ein weit besserer
als der des "Volksheeres," welches der Diktator geschaffen.




Ferdinand Lassall'e.
ii.

Mit dem im vorigen Abschnitt geschilderten Sorgen war der Agitator in
die Winterkampagne von 1863 eingetreten. Zum Mißlingen der "Eroberung
Berlin's" und zu der unerwartet raschen Entwickelung der nationalen Krisis
kamen aber noch andere Hindernisse seiner Thätigkeit. Drei unlösbar mit
einander verbundene Aufgaben schwierigster und anstrengendster Art lagen vor
ihm: es galt zunächst einen Kodex zu schaffen, an den sich die praktische Agi¬
tation in allen theoretischen Fragen halten konnte, es galt ferner den Kampf
mit den Behörden, und es galt, die anmaßende, eitle und rechthaberische Halb-


Grenzboten II. 1877. 62

von Fach keinen Eindruck machen, weil dieser aus Uebung und Gewohnheit
weiß, daß die Leute, denen die Abwehr zusteht, gleichfalls ein Auge für diese
Gefahren haben." Eine improvisirte Truppe mag noch so „begeistert" und „voll
Muth" sein, dennoch wird sie überrascht sich meist kopflos zeigen, da sie dann
leicht Alles für verloren hält, während eine reguläre kühler bleibt und sich
selbst gegen Uebermacht zur Wehre setzt und ihre Schuldigkeit thut, gleichgiltig,
was dabei herauskommen möge.

„Die Friedenserziehung drängt in dem Soldaten den Menschen zurück,
sie macht ihn objektiver, entzieht ihn der subjektiven Empfindung. Er lernt
seine Stimmungen beherrschen, verliert das Interesse für das eigne Wohl und
Wehe und konzentrirt aus Gewohnheit alle Gedanken auf die Sache, auf den
Zweck, der gerade von seiner Truppe verfolgt wird. Gleichgiltig ist, ob dabei
der Einzelne zu Grunde geht, wenn nur die ganze Gemeinschaft triumphirt,
der er angehört. Das ist ein Gedanke, der für jeden guten Soldaten der
erste Glaubenssatz wird. Nicht an ritterlichen Eigenschaften, wohl aber an
diesem unerbittlichen Pflichtgefühle fehlte es den Armeen der Republik von
1870. Es waren ziemlich willenlose, unselbständige Massen, wohl empfänglich
für einen von oben gegebenen Impuls und fügsam, aber arm an positiver
nachhaltiger Kraft und Leistungsfähigkeit." Gambetta glaubte nur an die tech¬
nische Vortrefflichkeit des deutschen Heeres, aber die Vorzüge desselben lagen
ebensowohl in seinem innern Leben; sein gesammter Geist war ein weit besserer
als der des „Volksheeres," welches der Diktator geschaffen.




Ferdinand Lassall'e.
ii.

Mit dem im vorigen Abschnitt geschilderten Sorgen war der Agitator in
die Winterkampagne von 1863 eingetreten. Zum Mißlingen der „Eroberung
Berlin's" und zu der unerwartet raschen Entwickelung der nationalen Krisis
kamen aber noch andere Hindernisse seiner Thätigkeit. Drei unlösbar mit
einander verbundene Aufgaben schwierigster und anstrengendster Art lagen vor
ihm: es galt zunächst einen Kodex zu schaffen, an den sich die praktische Agi¬
tation in allen theoretischen Fragen halten konnte, es galt ferner den Kampf
mit den Behörden, und es galt, die anmaßende, eitle und rechthaberische Halb-


Grenzboten II. 1877. 62
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[0493] von Fach keinen Eindruck machen, weil dieser aus Uebung und Gewohnheit weiß, daß die Leute, denen die Abwehr zusteht, gleichfalls ein Auge für diese Gefahren haben." Eine improvisirte Truppe mag noch so „begeistert" und „voll Muth" sein, dennoch wird sie überrascht sich meist kopflos zeigen, da sie dann leicht Alles für verloren hält, während eine reguläre kühler bleibt und sich selbst gegen Uebermacht zur Wehre setzt und ihre Schuldigkeit thut, gleichgiltig, was dabei herauskommen möge. „Die Friedenserziehung drängt in dem Soldaten den Menschen zurück, sie macht ihn objektiver, entzieht ihn der subjektiven Empfindung. Er lernt seine Stimmungen beherrschen, verliert das Interesse für das eigne Wohl und Wehe und konzentrirt aus Gewohnheit alle Gedanken auf die Sache, auf den Zweck, der gerade von seiner Truppe verfolgt wird. Gleichgiltig ist, ob dabei der Einzelne zu Grunde geht, wenn nur die ganze Gemeinschaft triumphirt, der er angehört. Das ist ein Gedanke, der für jeden guten Soldaten der erste Glaubenssatz wird. Nicht an ritterlichen Eigenschaften, wohl aber an diesem unerbittlichen Pflichtgefühle fehlte es den Armeen der Republik von 1870. Es waren ziemlich willenlose, unselbständige Massen, wohl empfänglich für einen von oben gegebenen Impuls und fügsam, aber arm an positiver nachhaltiger Kraft und Leistungsfähigkeit." Gambetta glaubte nur an die tech¬ nische Vortrefflichkeit des deutschen Heeres, aber die Vorzüge desselben lagen ebensowohl in seinem innern Leben; sein gesammter Geist war ein weit besserer als der des „Volksheeres," welches der Diktator geschaffen. Ferdinand Lassall'e. ii. Mit dem im vorigen Abschnitt geschilderten Sorgen war der Agitator in die Winterkampagne von 1863 eingetreten. Zum Mißlingen der „Eroberung Berlin's" und zu der unerwartet raschen Entwickelung der nationalen Krisis kamen aber noch andere Hindernisse seiner Thätigkeit. Drei unlösbar mit einander verbundene Aufgaben schwierigster und anstrengendster Art lagen vor ihm: es galt zunächst einen Kodex zu schaffen, an den sich die praktische Agi¬ tation in allen theoretischen Fragen halten konnte, es galt ferner den Kampf mit den Behörden, und es galt, die anmaßende, eitle und rechthaberische Halb- Grenzboten II. 1877. 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/493>, abgerufen am 19.05.2024.