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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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folgert wird, daß die Ansicht viel Wahrscheinliches habe, die Hcinptaktion habe
der Jliade und das Leben Homers zwischen bestimmte historische Grenzen
stelle. Der Untergang Troja's hätte nümlich nach den ägyptischen Monumenten
zwischen 1316 und 1307 stattgefunden. Wir können der Beweisführung des
Verfassers, der eine große Belesenheit in der deutschen, französischen und eng¬
lischen Literatur über die Pharaonenzeit entwickelt, nicht folgen. Wahrscheinlich,
daß er in einigen, möglich, daß er in vielen Punkten Recht hat, unbedingte
Gewißheit kann er uns, wie er übrigens selbst eingesteht, in keinem geben, und
oft scheint er uns von dem Reize, den die Entzifferung der Spuren der Urzeit
übt, geblendet, Hypothesen auf Gründe zu bauen, die selbst wieder Hypothesen
und zwar solche auf hypothetischen Unterbau sind.


Zur Geschichte des (is-uäsainus ixitur von Gustav Schwetschke. Halle,
G. Schwetschke'scher Verlag, 1877.

Die Lieder der deutschen akademischen Jugend sind ein Spiegelbild der
deutschen Geschichte und Kulturentwickelung und so auch das L!ane!"Z!Z.mus, das
Festlied der deutschen Musensöhne seit mehr als hundert Jahren. Darum hat
auch die kleine vorliegende Schrift ihre Verdienste. Viele tüchtige Männer, so
Hoffmann v. Fallersleben, Ellisen in Göttingen und Creizenach in Frankfurt,
haben sich angelegen sein lassen, die Geschichte dieses "Liedes der Lieder" der
deutschen Commersbücher zu ergründen. Die Anregung zu allen diesen, aller¬
seits mit großer Genauigkeit und Gelehrsamkeit unternommenen Forschungen
hat aber doch Gustav Schwetschke, der Verfasser und Herausgeber dieser Schrift
gegeben, und es ist daher anch gerechtfertigt, daß er das Ergebniß der bis¬
herigen Forschungen -- abgeschlossen sind sie keinesfalls -- zusammenstellt und
durch seine eigenen ergänzt und berichtigt. Hiernach find die häufigen Anspie¬
lungen auf "Aancleamus singen" und dergl., die sich in Sebastian Brand's
Narrenschisf, Codrus Ureeus, Euricius Cordus und Hans Sachs vorfinden,
ohne jede Beziehung auf unfer Lied. Die ersten Spuren dieses Liedes weisen
vielmehr auf französischen Ursprung (natürlich in lateinischer Sprache). Es
tritt zuerst in religiösem Gewände in einer Handschrist vom Jahre 1267 ans;
die zweite Strophe unseres heutigen Liedes ist hier fast wörtlich auf die zweite
und vierte dieses erbaulichen Posens ,M nuM'is an nunule" vertheilt. Der
Herausgeber des französisch-lateinischen Textes hatte keine Ahnung von dem
deutschen Studeuteulied, seine Version ist daher sicherlich glaubwürdig. Das
Oizucleamus war in Deutschland sicher schon 1707, namentlich in Jena und
Leipzig ein beliebtes Studenteillied. In einem handschriftlichen Jenenser Blatt
vom Jahre 1776 ist das Lied, namentlich in den deutschen Strophen, die mit
überliefert sind, obscön verunstaltet. Die heutige Version verdauten wir dein
Halleschen Magister Kindleben, einem unglücklichen, durch Trunk, Liederlichkeit
und widrige Schicksale verkommenen Menschen, der die schöne Schlußstrophe
des Liedes in einer feiner besten Stunden frei geschaffen hat.




Verantwortlicher Redakteur: öl. Hans Blum i" Leipzig.
Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. -- Druck von Hiithel 6- Hrrrmmm in Leipzig.

folgert wird, daß die Ansicht viel Wahrscheinliches habe, die Hcinptaktion habe
der Jliade und das Leben Homers zwischen bestimmte historische Grenzen
stelle. Der Untergang Troja's hätte nümlich nach den ägyptischen Monumenten
zwischen 1316 und 1307 stattgefunden. Wir können der Beweisführung des
Verfassers, der eine große Belesenheit in der deutschen, französischen und eng¬
lischen Literatur über die Pharaonenzeit entwickelt, nicht folgen. Wahrscheinlich,
daß er in einigen, möglich, daß er in vielen Punkten Recht hat, unbedingte
Gewißheit kann er uns, wie er übrigens selbst eingesteht, in keinem geben, und
oft scheint er uns von dem Reize, den die Entzifferung der Spuren der Urzeit
übt, geblendet, Hypothesen auf Gründe zu bauen, die selbst wieder Hypothesen
und zwar solche auf hypothetischen Unterbau sind.


Zur Geschichte des (is-uäsainus ixitur von Gustav Schwetschke. Halle,
G. Schwetschke'scher Verlag, 1877.

Die Lieder der deutschen akademischen Jugend sind ein Spiegelbild der
deutschen Geschichte und Kulturentwickelung und so auch das L!ane!«Z!Z.mus, das
Festlied der deutschen Musensöhne seit mehr als hundert Jahren. Darum hat
auch die kleine vorliegende Schrift ihre Verdienste. Viele tüchtige Männer, so
Hoffmann v. Fallersleben, Ellisen in Göttingen und Creizenach in Frankfurt,
haben sich angelegen sein lassen, die Geschichte dieses „Liedes der Lieder" der
deutschen Commersbücher zu ergründen. Die Anregung zu allen diesen, aller¬
seits mit großer Genauigkeit und Gelehrsamkeit unternommenen Forschungen
hat aber doch Gustav Schwetschke, der Verfasser und Herausgeber dieser Schrift
gegeben, und es ist daher anch gerechtfertigt, daß er das Ergebniß der bis¬
herigen Forschungen — abgeschlossen sind sie keinesfalls — zusammenstellt und
durch seine eigenen ergänzt und berichtigt. Hiernach find die häufigen Anspie¬
lungen auf „Aancleamus singen" und dergl., die sich in Sebastian Brand's
Narrenschisf, Codrus Ureeus, Euricius Cordus und Hans Sachs vorfinden,
ohne jede Beziehung auf unfer Lied. Die ersten Spuren dieses Liedes weisen
vielmehr auf französischen Ursprung (natürlich in lateinischer Sprache). Es
tritt zuerst in religiösem Gewände in einer Handschrist vom Jahre 1267 ans;
die zweite Strophe unseres heutigen Liedes ist hier fast wörtlich auf die zweite
und vierte dieses erbaulichen Posens ,M nuM'is an nunule" vertheilt. Der
Herausgeber des französisch-lateinischen Textes hatte keine Ahnung von dem
deutschen Studeuteulied, seine Version ist daher sicherlich glaubwürdig. Das
Oizucleamus war in Deutschland sicher schon 1707, namentlich in Jena und
Leipzig ein beliebtes Studenteillied. In einem handschriftlichen Jenenser Blatt
vom Jahre 1776 ist das Lied, namentlich in den deutschen Strophen, die mit
überliefert sind, obscön verunstaltet. Die heutige Version verdauten wir dein
Halleschen Magister Kindleben, einem unglücklichen, durch Trunk, Liederlichkeit
und widrige Schicksale verkommenen Menschen, der die schöne Schlußstrophe
des Liedes in einer feiner besten Stunden frei geschaffen hat.




Verantwortlicher Redakteur: öl. Hans Blum i» Leipzig.
Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. — Druck von Hiithel 6- Hrrrmmm in Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/164>, abgerufen am 05.05.2024.