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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Zauberei und KeXerei.

Das vorliegende Thema ist neuerlich zwar mehrfach behandelt, sowohl
durch Beibringen historischen Materials, als anch kritisch-wissenschaftlich.
Dennoch, oder grade deshalb, dürfte es sich verlohnen für Gebildete, welche
nicht zur Fachwissenschaft gehören, die Fundamente jener höchst merkwürdigen
Erscheinungen klar zu legen; denn wir finden über dieselben noch vielfach
irrige Vorstellungen verbreitet. Als Beispiel sei hier nur angeführt, das; mau
glaubt die Zauberer oder Hexen seien nur die unschuldigen Opfer verblendeter
oder blutdürstiger Richter gewesen, während ein Blick in Hexenprozeß-Akten
"ut andere geschichtliche Dokumente uns belehrt, daß die ganze damalige Zeit
derartig vou diesem Aberglauben durchdrungen war, daß die Individuen selbst
glaubten durch Verbindung mit bösen Geistern übernatürliche Wirkungen aus¬
üben zu können; das Hexen wurde gelehrt und gelernt, in sofern waren
die Hexen subjektiv schuldig. Nur die vollständige Durchdringung der Mensch¬
heit von diesen: Wahne macht es begreiflich, wie die gelehrtesten Fakultäten,
die besten und edelsten Männer mit reinem Gewissen und ohne Erbarmen die
ausgesuchtesten Martern über ihre Mitmenschen verhängen konnten. Sie dachten
damit im Geiste dessen zu handeln, der am Kreuze für seine Mörder betete, sie
glaubten sich ein Verdienst zu erwerben, indem sie die Beleidigung göttlicher
Majestät durch Folter und Feuer rächten. Solche Richter leben nun zwar
nicht mehr, aber gezaubert wird auch heute noch, so hartnäckig erweist sich
der Aberglaube, und dieser Umstand ist wohl geeignet, unser Interesse an dem
Gegenstande rege zu erhalten. Wir werden weiterhin sehen, daß der Hexenglaube
'"ehe aus zufälligen Umständen, persönlichen Überspanntheiten oder wissen¬
schaftlicher Beschränktheit entsprang, sondern aus einer allgemein verbreiteten
Neigung satanische Thätigkeit im Leben zu erblicken. Er entsprach und entsprang
den herrschenden religiösen Anschauungen und nahm daher nicht eher ab, als
bis jene Nnschannngeu geschwächt und zerstört wurden. --


Grenzboten IV. 1877. 66
Zauberei und KeXerei.

Das vorliegende Thema ist neuerlich zwar mehrfach behandelt, sowohl
durch Beibringen historischen Materials, als anch kritisch-wissenschaftlich.
Dennoch, oder grade deshalb, dürfte es sich verlohnen für Gebildete, welche
nicht zur Fachwissenschaft gehören, die Fundamente jener höchst merkwürdigen
Erscheinungen klar zu legen; denn wir finden über dieselben noch vielfach
irrige Vorstellungen verbreitet. Als Beispiel sei hier nur angeführt, das; mau
glaubt die Zauberer oder Hexen seien nur die unschuldigen Opfer verblendeter
oder blutdürstiger Richter gewesen, während ein Blick in Hexenprozeß-Akten
"ut andere geschichtliche Dokumente uns belehrt, daß die ganze damalige Zeit
derartig vou diesem Aberglauben durchdrungen war, daß die Individuen selbst
glaubten durch Verbindung mit bösen Geistern übernatürliche Wirkungen aus¬
üben zu können; das Hexen wurde gelehrt und gelernt, in sofern waren
die Hexen subjektiv schuldig. Nur die vollständige Durchdringung der Mensch¬
heit von diesen: Wahne macht es begreiflich, wie die gelehrtesten Fakultäten,
die besten und edelsten Männer mit reinem Gewissen und ohne Erbarmen die
ausgesuchtesten Martern über ihre Mitmenschen verhängen konnten. Sie dachten
damit im Geiste dessen zu handeln, der am Kreuze für seine Mörder betete, sie
glaubten sich ein Verdienst zu erwerben, indem sie die Beleidigung göttlicher
Majestät durch Folter und Feuer rächten. Solche Richter leben nun zwar
nicht mehr, aber gezaubert wird auch heute noch, so hartnäckig erweist sich
der Aberglaube, und dieser Umstand ist wohl geeignet, unser Interesse an dem
Gegenstande rege zu erhalten. Wir werden weiterhin sehen, daß der Hexenglaube
'"ehe aus zufälligen Umständen, persönlichen Überspanntheiten oder wissen¬
schaftlicher Beschränktheit entsprang, sondern aus einer allgemein verbreiteten
Neigung satanische Thätigkeit im Leben zu erblicken. Er entsprach und entsprang
den herrschenden religiösen Anschauungen und nahm daher nicht eher ab, als
bis jene Nnschannngeu geschwächt und zerstört wurden. —


Grenzboten IV. 1877. 66
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[0285] Zauberei und KeXerei. Das vorliegende Thema ist neuerlich zwar mehrfach behandelt, sowohl durch Beibringen historischen Materials, als anch kritisch-wissenschaftlich. Dennoch, oder grade deshalb, dürfte es sich verlohnen für Gebildete, welche nicht zur Fachwissenschaft gehören, die Fundamente jener höchst merkwürdigen Erscheinungen klar zu legen; denn wir finden über dieselben noch vielfach irrige Vorstellungen verbreitet. Als Beispiel sei hier nur angeführt, das; mau glaubt die Zauberer oder Hexen seien nur die unschuldigen Opfer verblendeter oder blutdürstiger Richter gewesen, während ein Blick in Hexenprozeß-Akten "ut andere geschichtliche Dokumente uns belehrt, daß die ganze damalige Zeit derartig vou diesem Aberglauben durchdrungen war, daß die Individuen selbst glaubten durch Verbindung mit bösen Geistern übernatürliche Wirkungen aus¬ üben zu können; das Hexen wurde gelehrt und gelernt, in sofern waren die Hexen subjektiv schuldig. Nur die vollständige Durchdringung der Mensch¬ heit von diesen: Wahne macht es begreiflich, wie die gelehrtesten Fakultäten, die besten und edelsten Männer mit reinem Gewissen und ohne Erbarmen die ausgesuchtesten Martern über ihre Mitmenschen verhängen konnten. Sie dachten damit im Geiste dessen zu handeln, der am Kreuze für seine Mörder betete, sie glaubten sich ein Verdienst zu erwerben, indem sie die Beleidigung göttlicher Majestät durch Folter und Feuer rächten. Solche Richter leben nun zwar nicht mehr, aber gezaubert wird auch heute noch, so hartnäckig erweist sich der Aberglaube, und dieser Umstand ist wohl geeignet, unser Interesse an dem Gegenstande rege zu erhalten. Wir werden weiterhin sehen, daß der Hexenglaube '"ehe aus zufälligen Umständen, persönlichen Überspanntheiten oder wissen¬ schaftlicher Beschränktheit entsprang, sondern aus einer allgemein verbreiteten Neigung satanische Thätigkeit im Leben zu erblicken. Er entsprach und entsprang den herrschenden religiösen Anschauungen und nahm daher nicht eher ab, als bis jene Nnschannngeu geschwächt und zerstört wurden. — Grenzboten IV. 1877. 66

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/285>, abgerufen am 05.05.2024.