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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Die eleusinischen Mysterien.

Das in Eleusis gefeierte Fest und die mit demselben verbundenen Mysterien
haben nicht nur im Alterthum einen weit verbreiteten, bis in die spätesten
Zeiten des Heidenthums andauernden Ruf gehabt, sondern es ist jenes Fest auch
unter uns durch Schiller mit neuem Glänze umgeben worden, und die eleusinischen
Mysterien wurden von den Gelehrten bis in unser Jahrhundert hinein als die
Enthüllung einer reinen, monotheistischen und geistigen Religion gepriesen. Solche
Vorstellungen nun haben freilich jetzt längst der Forschung weichen müssen:
nichts berechtigt zu der Ansicht, daß das, was im Geheimen vor den Einge¬
weihten gethan und gesprochen wurde, zu dem öffentlich geübten sonstigen Kultus
w irgend welchem Gegensatze gestanden hätte. Indessen schließt dies nicht aus,
daß nicht dennoch dieses Stück der athenischen und griechischen Götterverehrung
ein höheres Interesse für sich in Anspruch nehmen dürfte, als mancher andere
von den vielen und mannichfachen Culten, die das griechische Volk neben
einander geübt. Ein aufgeklärt dentender Athener, der Redner Jsokrates, findet
in dem, was in Eleusis geschah oder von dort ausgegangen, zwei der größten
Verdienste, welche sich die Stadt Athen um die andern Hellenen erworben.
"Als Demeter", sagt er, "in unser Land gekommen war, während ihres Um¬
herirrens nach dem Raube ihrer Tochter, und für unsre Vorfahren eine huld¬
volle Gesinnung gefaßt hatte in Folge der Wohlthaten, die nur deu Eingeweihten
on hören gestattet ist, und eine zwiefältige Gabe verliehen, einmal die Getreide-
^naht, welche Ursache wurde, daß wir nicht in der Weise der wilden Thiere
leben, und sodann die Weihe, deren Teilnehmer sowohl für das Ende des Lebens
als auch für die gesammte Ewigkeit süßere Hoffnungen haben: da zeigte sich
unsere Stadt in solchem Maße nicht allein von den Göttern geliebt, sondern
"und den Menschen freundlich, daß sie keine Mißgunst hegte, sondern, was sie
empfangen, Allen mittheilte. Und das eine -- die Weihen -- stellen wir auch
jetzt noch Jahr für Jahr zur Schau; von dem andern hat sie ein für alle


Grenzboten IV. 1^77. 46
Die eleusinischen Mysterien.

Das in Eleusis gefeierte Fest und die mit demselben verbundenen Mysterien
haben nicht nur im Alterthum einen weit verbreiteten, bis in die spätesten
Zeiten des Heidenthums andauernden Ruf gehabt, sondern es ist jenes Fest auch
unter uns durch Schiller mit neuem Glänze umgeben worden, und die eleusinischen
Mysterien wurden von den Gelehrten bis in unser Jahrhundert hinein als die
Enthüllung einer reinen, monotheistischen und geistigen Religion gepriesen. Solche
Vorstellungen nun haben freilich jetzt längst der Forschung weichen müssen:
nichts berechtigt zu der Ansicht, daß das, was im Geheimen vor den Einge¬
weihten gethan und gesprochen wurde, zu dem öffentlich geübten sonstigen Kultus
w irgend welchem Gegensatze gestanden hätte. Indessen schließt dies nicht aus,
daß nicht dennoch dieses Stück der athenischen und griechischen Götterverehrung
ein höheres Interesse für sich in Anspruch nehmen dürfte, als mancher andere
von den vielen und mannichfachen Culten, die das griechische Volk neben
einander geübt. Ein aufgeklärt dentender Athener, der Redner Jsokrates, findet
in dem, was in Eleusis geschah oder von dort ausgegangen, zwei der größten
Verdienste, welche sich die Stadt Athen um die andern Hellenen erworben.
"Als Demeter", sagt er, „in unser Land gekommen war, während ihres Um¬
herirrens nach dem Raube ihrer Tochter, und für unsre Vorfahren eine huld¬
volle Gesinnung gefaßt hatte in Folge der Wohlthaten, die nur deu Eingeweihten
on hören gestattet ist, und eine zwiefältige Gabe verliehen, einmal die Getreide-
^naht, welche Ursache wurde, daß wir nicht in der Weise der wilden Thiere
leben, und sodann die Weihe, deren Teilnehmer sowohl für das Ende des Lebens
als auch für die gesammte Ewigkeit süßere Hoffnungen haben: da zeigte sich
unsere Stadt in solchem Maße nicht allein von den Göttern geliebt, sondern
"und den Menschen freundlich, daß sie keine Mißgunst hegte, sondern, was sie
empfangen, Allen mittheilte. Und das eine — die Weihen — stellen wir auch
jetzt noch Jahr für Jahr zur Schau; von dem andern hat sie ein für alle


Grenzboten IV. 1^77. 46
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[0365] Die eleusinischen Mysterien. Das in Eleusis gefeierte Fest und die mit demselben verbundenen Mysterien haben nicht nur im Alterthum einen weit verbreiteten, bis in die spätesten Zeiten des Heidenthums andauernden Ruf gehabt, sondern es ist jenes Fest auch unter uns durch Schiller mit neuem Glänze umgeben worden, und die eleusinischen Mysterien wurden von den Gelehrten bis in unser Jahrhundert hinein als die Enthüllung einer reinen, monotheistischen und geistigen Religion gepriesen. Solche Vorstellungen nun haben freilich jetzt längst der Forschung weichen müssen: nichts berechtigt zu der Ansicht, daß das, was im Geheimen vor den Einge¬ weihten gethan und gesprochen wurde, zu dem öffentlich geübten sonstigen Kultus w irgend welchem Gegensatze gestanden hätte. Indessen schließt dies nicht aus, daß nicht dennoch dieses Stück der athenischen und griechischen Götterverehrung ein höheres Interesse für sich in Anspruch nehmen dürfte, als mancher andere von den vielen und mannichfachen Culten, die das griechische Volk neben einander geübt. Ein aufgeklärt dentender Athener, der Redner Jsokrates, findet in dem, was in Eleusis geschah oder von dort ausgegangen, zwei der größten Verdienste, welche sich die Stadt Athen um die andern Hellenen erworben. "Als Demeter", sagt er, „in unser Land gekommen war, während ihres Um¬ herirrens nach dem Raube ihrer Tochter, und für unsre Vorfahren eine huld¬ volle Gesinnung gefaßt hatte in Folge der Wohlthaten, die nur deu Eingeweihten on hören gestattet ist, und eine zwiefältige Gabe verliehen, einmal die Getreide- ^naht, welche Ursache wurde, daß wir nicht in der Weise der wilden Thiere leben, und sodann die Weihe, deren Teilnehmer sowohl für das Ende des Lebens als auch für die gesammte Ewigkeit süßere Hoffnungen haben: da zeigte sich unsere Stadt in solchem Maße nicht allein von den Göttern geliebt, sondern "und den Menschen freundlich, daß sie keine Mißgunst hegte, sondern, was sie empfangen, Allen mittheilte. Und das eine — die Weihen — stellen wir auch jetzt noch Jahr für Jahr zur Schau; von dem andern hat sie ein für alle Grenzboten IV. 1^77. 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/365>, abgerufen am 05.05.2024.