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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Weihnachtsbücherschau.

Eine systematische, nach Literaturgruppen geordnete Umschau unter den zur
diesjährigen Weihnachtszeit erschienenen Werken ist uns auch dieses Jahr,
wie fast stets, unmöglich gemacht. Zu Anfang Oktober sind in einer Redaktions-
uvtiz die Herrn Verleger um Zusendung der Werke gebeten worden, welche sie
für den Weihnachtsbüchertisch geeignet halten. In dem letzten Drittel des
November erst begannen die Sendungen; die große Menge wird, wie gewöhn¬
lich eintreffen, wenn die letzte Stunde längst ausgeschlagen hat, in der eine
Wochenschrift die für das Fest bestimmten Werke prüfen und besprechen, und
wenn sie empfehlenswerth sind, ihrer auch nur mit einem Worte gedenken kann.
Nicht Unvermögen, die Festliteratur früher fertig zu stellen, nicht Verspätungen sind
daran schuld -- das beweist der vortreffliche Weinachtskatalog von E. A. Seemann.
Diesem sind bis Mitte Oktober fast alle die Werke eingesandt worden, welche
man regelmäßig die Güte hat, uns in den letzten Wochen vor dem Feste zu
bescheeren. Diese Worte sind natürlich nicht im Stande, mit einer so altehr¬
würdigen Gewohnheit des deutschen Buchhandels, wie dieser, aufzuräumen.
Aber sie werden dem Leser wenigstens begreiflich erscheinen lassen, wenn unsre
Weihnachtsbücherschcin weniger systematisch gehalten ist, als sie sein möchte.

Beginnen wir auch diesmal mit der Jugendliteratur. Solange, als
die von Julius Lohmeyer im Verlage von Alphons Dürr in Leipzig heraus-
gegebenen Deutsche Jugend erscheint, haben wir ihr die erste Erwähnung
und Empfehlung gemidmet und thun dies auch Heuer. Das gediegene, auf die
besten Kräfte für Text und Bild sich stützende Unternehmen, hat seine Lebens¬
fähigkeit längst erprobt. Es hat auch im verflossenen Jahre den Anspruch
gerechtfertigt, zum Hausschatz jeder deutschen Familie zu werdeu, die mit Kindern
gesegnet ist. In demselben Verlage, anscheinend für ein frühes Kindesalter
bestimmt, ist abermals einer der bekannten "Pletsche", unter dem Titel
"Stillvergnü g t" herausgekommen (guter Text von Victor Blüthgen), der in¬
dessen weniger originell ist, als mehrere der in den letzten Jahren erschienenen. Wer
die ganze Sammlung zu vergleichen in der Lage ist, wird sich kaum des Ge¬
dankens erwehren können, daß Oskar Pietsch bei sich selbst gelegentlich einmal
auf künstlerische Wilddieberei ausgeht und uns irgend ein Wild erlegt, das
wir vor Jahren schon in seinem eigenen Gehege getroffen haben. Wie ganz
anders muthet uus dagegen die alte ehrliche "Ammen-Uhr" aus "des Knaben
Wunderhorn" an, die nun mit den alten, für die Zeit ihres ersten Erscheinens,
klassischen Holzschnitten und Versen als hochwillkommene Festgabe in demselben
Verlage in zweiter Auflage erschienen ist. Als originelles und empfehlend


Weihnachtsbücherschau.

Eine systematische, nach Literaturgruppen geordnete Umschau unter den zur
diesjährigen Weihnachtszeit erschienenen Werken ist uns auch dieses Jahr,
wie fast stets, unmöglich gemacht. Zu Anfang Oktober sind in einer Redaktions-
uvtiz die Herrn Verleger um Zusendung der Werke gebeten worden, welche sie
für den Weihnachtsbüchertisch geeignet halten. In dem letzten Drittel des
November erst begannen die Sendungen; die große Menge wird, wie gewöhn¬
lich eintreffen, wenn die letzte Stunde längst ausgeschlagen hat, in der eine
Wochenschrift die für das Fest bestimmten Werke prüfen und besprechen, und
wenn sie empfehlenswerth sind, ihrer auch nur mit einem Worte gedenken kann.
Nicht Unvermögen, die Festliteratur früher fertig zu stellen, nicht Verspätungen sind
daran schuld — das beweist der vortreffliche Weinachtskatalog von E. A. Seemann.
Diesem sind bis Mitte Oktober fast alle die Werke eingesandt worden, welche
man regelmäßig die Güte hat, uns in den letzten Wochen vor dem Feste zu
bescheeren. Diese Worte sind natürlich nicht im Stande, mit einer so altehr¬
würdigen Gewohnheit des deutschen Buchhandels, wie dieser, aufzuräumen.
Aber sie werden dem Leser wenigstens begreiflich erscheinen lassen, wenn unsre
Weihnachtsbücherschcin weniger systematisch gehalten ist, als sie sein möchte.

Beginnen wir auch diesmal mit der Jugendliteratur. Solange, als
die von Julius Lohmeyer im Verlage von Alphons Dürr in Leipzig heraus-
gegebenen Deutsche Jugend erscheint, haben wir ihr die erste Erwähnung
und Empfehlung gemidmet und thun dies auch Heuer. Das gediegene, auf die
besten Kräfte für Text und Bild sich stützende Unternehmen, hat seine Lebens¬
fähigkeit längst erprobt. Es hat auch im verflossenen Jahre den Anspruch
gerechtfertigt, zum Hausschatz jeder deutschen Familie zu werdeu, die mit Kindern
gesegnet ist. In demselben Verlage, anscheinend für ein frühes Kindesalter
bestimmt, ist abermals einer der bekannten „Pletsche", unter dem Titel
„Stillvergnü g t" herausgekommen (guter Text von Victor Blüthgen), der in¬
dessen weniger originell ist, als mehrere der in den letzten Jahren erschienenen. Wer
die ganze Sammlung zu vergleichen in der Lage ist, wird sich kaum des Ge¬
dankens erwehren können, daß Oskar Pietsch bei sich selbst gelegentlich einmal
auf künstlerische Wilddieberei ausgeht und uns irgend ein Wild erlegt, das
wir vor Jahren schon in seinem eigenen Gehege getroffen haben. Wie ganz
anders muthet uus dagegen die alte ehrliche „Ammen-Uhr" aus „des Knaben
Wunderhorn" an, die nun mit den alten, für die Zeit ihres ersten Erscheinens,
klassischen Holzschnitten und Versen als hochwillkommene Festgabe in demselben
Verlage in zweiter Auflage erschienen ist. Als originelles und empfehlend


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[0402] Weihnachtsbücherschau. Eine systematische, nach Literaturgruppen geordnete Umschau unter den zur diesjährigen Weihnachtszeit erschienenen Werken ist uns auch dieses Jahr, wie fast stets, unmöglich gemacht. Zu Anfang Oktober sind in einer Redaktions- uvtiz die Herrn Verleger um Zusendung der Werke gebeten worden, welche sie für den Weihnachtsbüchertisch geeignet halten. In dem letzten Drittel des November erst begannen die Sendungen; die große Menge wird, wie gewöhn¬ lich eintreffen, wenn die letzte Stunde längst ausgeschlagen hat, in der eine Wochenschrift die für das Fest bestimmten Werke prüfen und besprechen, und wenn sie empfehlenswerth sind, ihrer auch nur mit einem Worte gedenken kann. Nicht Unvermögen, die Festliteratur früher fertig zu stellen, nicht Verspätungen sind daran schuld — das beweist der vortreffliche Weinachtskatalog von E. A. Seemann. Diesem sind bis Mitte Oktober fast alle die Werke eingesandt worden, welche man regelmäßig die Güte hat, uns in den letzten Wochen vor dem Feste zu bescheeren. Diese Worte sind natürlich nicht im Stande, mit einer so altehr¬ würdigen Gewohnheit des deutschen Buchhandels, wie dieser, aufzuräumen. Aber sie werden dem Leser wenigstens begreiflich erscheinen lassen, wenn unsre Weihnachtsbücherschcin weniger systematisch gehalten ist, als sie sein möchte. Beginnen wir auch diesmal mit der Jugendliteratur. Solange, als die von Julius Lohmeyer im Verlage von Alphons Dürr in Leipzig heraus- gegebenen Deutsche Jugend erscheint, haben wir ihr die erste Erwähnung und Empfehlung gemidmet und thun dies auch Heuer. Das gediegene, auf die besten Kräfte für Text und Bild sich stützende Unternehmen, hat seine Lebens¬ fähigkeit längst erprobt. Es hat auch im verflossenen Jahre den Anspruch gerechtfertigt, zum Hausschatz jeder deutschen Familie zu werdeu, die mit Kindern gesegnet ist. In demselben Verlage, anscheinend für ein frühes Kindesalter bestimmt, ist abermals einer der bekannten „Pletsche", unter dem Titel „Stillvergnü g t" herausgekommen (guter Text von Victor Blüthgen), der in¬ dessen weniger originell ist, als mehrere der in den letzten Jahren erschienenen. Wer die ganze Sammlung zu vergleichen in der Lage ist, wird sich kaum des Ge¬ dankens erwehren können, daß Oskar Pietsch bei sich selbst gelegentlich einmal auf künstlerische Wilddieberei ausgeht und uns irgend ein Wild erlegt, das wir vor Jahren schon in seinem eigenen Gehege getroffen haben. Wie ganz anders muthet uus dagegen die alte ehrliche „Ammen-Uhr" aus „des Knaben Wunderhorn" an, die nun mit den alten, für die Zeit ihres ersten Erscheinens, klassischen Holzschnitten und Versen als hochwillkommene Festgabe in demselben Verlage in zweiter Auflage erschienen ist. Als originelles und empfehlend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/402>, abgerufen am 05.05.2024.