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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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gewaltiger Aufwand an Schöpferkraft, an Unternehmungsgeist, Erfindung von
Mitteln, welche Ausdauer und welche Verwegenheit werden in Bewegung ge¬
setzt, damit das Publikum so rasch wir irgend möglich von allem, was in der
Sphäre der Zeitung vorgeht, benachrichtigt wird! Der amerikanische Reporter
bildet eine eigene Menschenklasse, von der uns Mark Twain ergötzliche Typen
vorgeführt hat. Keine Rücksicht, auch nicht die auf seine Wohlfahrt oder Ge-
sundheit kennend, läßt sich ein solcher "Soldat der Presse" durch kein Zartge¬
fühl, keinen Anblick von Familienschmerz und ebensowenig durch deu Umstand,
daß dem Betreffenden die Stunden, ja die Minuten bereits zugezählt sind,
weder durch Entfernung noch durch schlechtes Wetter, weder durch Gefahren
noch durch Strapatzen abhalten, an Ort und Stelle zu eilen, dort sofort vor
die rechte Schmiede zu gehen, auszufragen, zu verhören und mitleidlos die
Sonde einzuführen, worauf sein Bericht mit der denkbar geringsten Diskretion
und Schonung, aber auch mit möglichster Genauigkeit abgefaßt wird, um in
wenigen Stunden aus der Presse in alle Welt zu gehen. Ist somit die ame¬
rikanische Berichterstattung musterhaft, so läßt das Feuilleton die gute Pflege,
deren es sich bei uns erfreut, in Amerika fast immer vermissen, und was den
Ton angeht, den viele Zeitungen in ihrer Polemik anschlagen, so ist er von
der Art, daß man bisweilen seinen Allgen nicht traut. Besonders stark sind
hierin die Blätter des Südens und des Westens, wo die Grobheit nicht selten
zur Rohheit, die Unartigkeit bisweilen zur häßlichstell Flegelei wird, wie ja
hier gar häufig Knittelschlag, Steinwurf und Revolverschuß den Kampf der
Parteien ausfechten zu helfen berufen sind.




Literaten.
Aphorismen zur monistischen Philosophie von Ludwig Noirv. Leipzig,
F. A. Brockhaus. 1877.

Der Verfasser hat der Menschheit schon eine ziemliche Anzahl Schriften
philosophischen Inhalts geschenkt, in denen er den Zweck verfolgt, "den großen
Entdeckungen, welche die wahre Philosophie gemacht hat, dadurch allgemeine
Verbreitung zu verschaffen, daß er sie in ein leichteres Gewand kleidet." Die
"wahre Philosophie" ist ihm die Keine'sche, und deren Verständniß ist "kaum
den allerkleinsten Kreisen zugänglich geworden." "Kants größte Geistesthat ist
der Nachweis, daß Zeit, Raum und Causalität keine Eigenschafren der Dinge,
sondern apriorischer Besitz des erkennenden Subjekts, also subjektive Formen
sind, mit welchen unsre Vernunft alle Erfahrungen macht." Diesem größten


gewaltiger Aufwand an Schöpferkraft, an Unternehmungsgeist, Erfindung von
Mitteln, welche Ausdauer und welche Verwegenheit werden in Bewegung ge¬
setzt, damit das Publikum so rasch wir irgend möglich von allem, was in der
Sphäre der Zeitung vorgeht, benachrichtigt wird! Der amerikanische Reporter
bildet eine eigene Menschenklasse, von der uns Mark Twain ergötzliche Typen
vorgeführt hat. Keine Rücksicht, auch nicht die auf seine Wohlfahrt oder Ge-
sundheit kennend, läßt sich ein solcher „Soldat der Presse" durch kein Zartge¬
fühl, keinen Anblick von Familienschmerz und ebensowenig durch deu Umstand,
daß dem Betreffenden die Stunden, ja die Minuten bereits zugezählt sind,
weder durch Entfernung noch durch schlechtes Wetter, weder durch Gefahren
noch durch Strapatzen abhalten, an Ort und Stelle zu eilen, dort sofort vor
die rechte Schmiede zu gehen, auszufragen, zu verhören und mitleidlos die
Sonde einzuführen, worauf sein Bericht mit der denkbar geringsten Diskretion
und Schonung, aber auch mit möglichster Genauigkeit abgefaßt wird, um in
wenigen Stunden aus der Presse in alle Welt zu gehen. Ist somit die ame¬
rikanische Berichterstattung musterhaft, so läßt das Feuilleton die gute Pflege,
deren es sich bei uns erfreut, in Amerika fast immer vermissen, und was den
Ton angeht, den viele Zeitungen in ihrer Polemik anschlagen, so ist er von
der Art, daß man bisweilen seinen Allgen nicht traut. Besonders stark sind
hierin die Blätter des Südens und des Westens, wo die Grobheit nicht selten
zur Rohheit, die Unartigkeit bisweilen zur häßlichstell Flegelei wird, wie ja
hier gar häufig Knittelschlag, Steinwurf und Revolverschuß den Kampf der
Parteien ausfechten zu helfen berufen sind.




Literaten.
Aphorismen zur monistischen Philosophie von Ludwig Noirv. Leipzig,
F. A. Brockhaus. 1877.

Der Verfasser hat der Menschheit schon eine ziemliche Anzahl Schriften
philosophischen Inhalts geschenkt, in denen er den Zweck verfolgt, „den großen
Entdeckungen, welche die wahre Philosophie gemacht hat, dadurch allgemeine
Verbreitung zu verschaffen, daß er sie in ein leichteres Gewand kleidet." Die
„wahre Philosophie" ist ihm die Keine'sche, und deren Verständniß ist „kaum
den allerkleinsten Kreisen zugänglich geworden." „Kants größte Geistesthat ist
der Nachweis, daß Zeit, Raum und Causalität keine Eigenschafren der Dinge,
sondern apriorischer Besitz des erkennenden Subjekts, also subjektive Formen
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[0042] gewaltiger Aufwand an Schöpferkraft, an Unternehmungsgeist, Erfindung von Mitteln, welche Ausdauer und welche Verwegenheit werden in Bewegung ge¬ setzt, damit das Publikum so rasch wir irgend möglich von allem, was in der Sphäre der Zeitung vorgeht, benachrichtigt wird! Der amerikanische Reporter bildet eine eigene Menschenklasse, von der uns Mark Twain ergötzliche Typen vorgeführt hat. Keine Rücksicht, auch nicht die auf seine Wohlfahrt oder Ge- sundheit kennend, läßt sich ein solcher „Soldat der Presse" durch kein Zartge¬ fühl, keinen Anblick von Familienschmerz und ebensowenig durch deu Umstand, daß dem Betreffenden die Stunden, ja die Minuten bereits zugezählt sind, weder durch Entfernung noch durch schlechtes Wetter, weder durch Gefahren noch durch Strapatzen abhalten, an Ort und Stelle zu eilen, dort sofort vor die rechte Schmiede zu gehen, auszufragen, zu verhören und mitleidlos die Sonde einzuführen, worauf sein Bericht mit der denkbar geringsten Diskretion und Schonung, aber auch mit möglichster Genauigkeit abgefaßt wird, um in wenigen Stunden aus der Presse in alle Welt zu gehen. Ist somit die ame¬ rikanische Berichterstattung musterhaft, so läßt das Feuilleton die gute Pflege, deren es sich bei uns erfreut, in Amerika fast immer vermissen, und was den Ton angeht, den viele Zeitungen in ihrer Polemik anschlagen, so ist er von der Art, daß man bisweilen seinen Allgen nicht traut. Besonders stark sind hierin die Blätter des Südens und des Westens, wo die Grobheit nicht selten zur Rohheit, die Unartigkeit bisweilen zur häßlichstell Flegelei wird, wie ja hier gar häufig Knittelschlag, Steinwurf und Revolverschuß den Kampf der Parteien ausfechten zu helfen berufen sind. Literaten. Aphorismen zur monistischen Philosophie von Ludwig Noirv. Leipzig, F. A. Brockhaus. 1877. Der Verfasser hat der Menschheit schon eine ziemliche Anzahl Schriften philosophischen Inhalts geschenkt, in denen er den Zweck verfolgt, „den großen Entdeckungen, welche die wahre Philosophie gemacht hat, dadurch allgemeine Verbreitung zu verschaffen, daß er sie in ein leichteres Gewand kleidet." Die „wahre Philosophie" ist ihm die Keine'sche, und deren Verständniß ist „kaum den allerkleinsten Kreisen zugänglich geworden." „Kants größte Geistesthat ist der Nachweis, daß Zeit, Raum und Causalität keine Eigenschafren der Dinge, sondern apriorischer Besitz des erkennenden Subjekts, also subjektive Formen sind, mit welchen unsre Vernunft alle Erfahrungen macht." Diesem größten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/42>, abgerufen am 05.05.2024.