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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Die deutsche Kanal- und MusMfffahrt.

Für das Gedeihen und die Entwickelung der Industrie spielt eine überaus
hohe Rolle die Transportfrage. Je geregelter das Transportwesen ist, je
niedriger die Preise sind, um so billiger kann ein Volk produziren, um so eher
ist es in der Lage mit andern Völkern zu concurirren.

Die Beachtung dieses Grundsatzes ist jedenfalls weit wichtiger als die
Frage der Rentabilität der Straßen. Derselbe hat uns dahin gebracht, die
Zölle auf den Staatschausseen ganz und gar aufzuheben, aber auf der andern
Seite wurde er bei der Eisenbahntariffrage vollständig übersehen. Die Erhöhung
der Eisenbahntarife um 20°/<, in Folge des Geschreies der Aktieninhaber war
ein Fehler, welcher der deutschen Industrie mehr geschadet hat als die Erniedrigung
der Zölle. Es sind gerade dadurch ganze Industriegebiete lahm gelegt, weil
der Bezug aller Rohproduete zu sehr vertheuert wurde, als daß die Concurrenz
aufrecht erhalten werden könnte. Nun erst wurde die Industrie darauf aufmerksam,
daß ein überaus wichtiger Zweig des Verkehrs in Deutschland ganz und gar
vernachlässigt sei und daß diese Vernachlässigung für die Industrie die aller¬
größten Gefahren nach sich ziehe, nämlich die seit vielen Jahren beinahe ganz
und gar übersehene Fluß- und Kanalschifsfahrt.

Auch auf diesem Gebiete zeigte sich der Nachtheil der Doctrinarismus.
In allen maßgebenden Kreisen galt er als ein unumstößlicher Satz, daß das
Eisenbahntransportsystem alle andern in Schatten setze und daß die Fluß- und
Kanalschifffahrt einer überwundenen Periode angehöre. Diese Lehre, die mit dem
ganzen Dünkel der Schulweisheit auftrat, herrscht noch heute am grünen Tisch
und hat bisher alle Bestrebungen ans diesem Gebiete lahm gelegt. Schon
durch seine historische Entwickelung war Deutschland von jeher in Beziehung
auf diese Frage sehr vernachlässigt und hinter den andern Staaten zurückgeblieben.
Bis zum Jahre 1866 war mit Ausnahme der Oder kein einziger Fluß aus¬
schließlich in dem Gebiete eines einzigen Staates, niemand wollte daher für
seine Nachbarn Opfer bringen. Stromregulirnngen gehörten zu den Seltenheiten,
dahingegen hatten die lieben deutschen Staaten, und unter ihnen die kleinsten
am eifrigsten, Zollstationen an den Flüssen angelegt, aus denen sie sehr bedeutende
Einnahmen bezogen. So erbeutete alljährlich Mecklenburg aus seinem Elbezoll
bei Dösnitz und Boitzenburg pro Jahr 300,000 Thaler, ohne jemals daran
zu denken, auch nur einen Pfennig für die Besserung dieser Wasserstraße her¬
zugeben. Das war also in Wahrheit ein echtes Stück mittelalterlicher
Wegelagerei.

Die Folge dieser fiscalischen Politik war denn auch, daß die meisten


Die deutsche Kanal- und MusMfffahrt.

Für das Gedeihen und die Entwickelung der Industrie spielt eine überaus
hohe Rolle die Transportfrage. Je geregelter das Transportwesen ist, je
niedriger die Preise sind, um so billiger kann ein Volk produziren, um so eher
ist es in der Lage mit andern Völkern zu concurirren.

Die Beachtung dieses Grundsatzes ist jedenfalls weit wichtiger als die
Frage der Rentabilität der Straßen. Derselbe hat uns dahin gebracht, die
Zölle auf den Staatschausseen ganz und gar aufzuheben, aber auf der andern
Seite wurde er bei der Eisenbahntariffrage vollständig übersehen. Die Erhöhung
der Eisenbahntarife um 20°/<, in Folge des Geschreies der Aktieninhaber war
ein Fehler, welcher der deutschen Industrie mehr geschadet hat als die Erniedrigung
der Zölle. Es sind gerade dadurch ganze Industriegebiete lahm gelegt, weil
der Bezug aller Rohproduete zu sehr vertheuert wurde, als daß die Concurrenz
aufrecht erhalten werden könnte. Nun erst wurde die Industrie darauf aufmerksam,
daß ein überaus wichtiger Zweig des Verkehrs in Deutschland ganz und gar
vernachlässigt sei und daß diese Vernachlässigung für die Industrie die aller¬
größten Gefahren nach sich ziehe, nämlich die seit vielen Jahren beinahe ganz
und gar übersehene Fluß- und Kanalschifsfahrt.

Auch auf diesem Gebiete zeigte sich der Nachtheil der Doctrinarismus.
In allen maßgebenden Kreisen galt er als ein unumstößlicher Satz, daß das
Eisenbahntransportsystem alle andern in Schatten setze und daß die Fluß- und
Kanalschifffahrt einer überwundenen Periode angehöre. Diese Lehre, die mit dem
ganzen Dünkel der Schulweisheit auftrat, herrscht noch heute am grünen Tisch
und hat bisher alle Bestrebungen ans diesem Gebiete lahm gelegt. Schon
durch seine historische Entwickelung war Deutschland von jeher in Beziehung
auf diese Frage sehr vernachlässigt und hinter den andern Staaten zurückgeblieben.
Bis zum Jahre 1866 war mit Ausnahme der Oder kein einziger Fluß aus¬
schließlich in dem Gebiete eines einzigen Staates, niemand wollte daher für
seine Nachbarn Opfer bringen. Stromregulirnngen gehörten zu den Seltenheiten,
dahingegen hatten die lieben deutschen Staaten, und unter ihnen die kleinsten
am eifrigsten, Zollstationen an den Flüssen angelegt, aus denen sie sehr bedeutende
Einnahmen bezogen. So erbeutete alljährlich Mecklenburg aus seinem Elbezoll
bei Dösnitz und Boitzenburg pro Jahr 300,000 Thaler, ohne jemals daran
zu denken, auch nur einen Pfennig für die Besserung dieser Wasserstraße her¬
zugeben. Das war also in Wahrheit ein echtes Stück mittelalterlicher
Wegelagerei.

Die Folge dieser fiscalischen Politik war denn auch, daß die meisten


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[0181] Die deutsche Kanal- und MusMfffahrt. Für das Gedeihen und die Entwickelung der Industrie spielt eine überaus hohe Rolle die Transportfrage. Je geregelter das Transportwesen ist, je niedriger die Preise sind, um so billiger kann ein Volk produziren, um so eher ist es in der Lage mit andern Völkern zu concurirren. Die Beachtung dieses Grundsatzes ist jedenfalls weit wichtiger als die Frage der Rentabilität der Straßen. Derselbe hat uns dahin gebracht, die Zölle auf den Staatschausseen ganz und gar aufzuheben, aber auf der andern Seite wurde er bei der Eisenbahntariffrage vollständig übersehen. Die Erhöhung der Eisenbahntarife um 20°/<, in Folge des Geschreies der Aktieninhaber war ein Fehler, welcher der deutschen Industrie mehr geschadet hat als die Erniedrigung der Zölle. Es sind gerade dadurch ganze Industriegebiete lahm gelegt, weil der Bezug aller Rohproduete zu sehr vertheuert wurde, als daß die Concurrenz aufrecht erhalten werden könnte. Nun erst wurde die Industrie darauf aufmerksam, daß ein überaus wichtiger Zweig des Verkehrs in Deutschland ganz und gar vernachlässigt sei und daß diese Vernachlässigung für die Industrie die aller¬ größten Gefahren nach sich ziehe, nämlich die seit vielen Jahren beinahe ganz und gar übersehene Fluß- und Kanalschifsfahrt. Auch auf diesem Gebiete zeigte sich der Nachtheil der Doctrinarismus. In allen maßgebenden Kreisen galt er als ein unumstößlicher Satz, daß das Eisenbahntransportsystem alle andern in Schatten setze und daß die Fluß- und Kanalschifffahrt einer überwundenen Periode angehöre. Diese Lehre, die mit dem ganzen Dünkel der Schulweisheit auftrat, herrscht noch heute am grünen Tisch und hat bisher alle Bestrebungen ans diesem Gebiete lahm gelegt. Schon durch seine historische Entwickelung war Deutschland von jeher in Beziehung auf diese Frage sehr vernachlässigt und hinter den andern Staaten zurückgeblieben. Bis zum Jahre 1866 war mit Ausnahme der Oder kein einziger Fluß aus¬ schließlich in dem Gebiete eines einzigen Staates, niemand wollte daher für seine Nachbarn Opfer bringen. Stromregulirnngen gehörten zu den Seltenheiten, dahingegen hatten die lieben deutschen Staaten, und unter ihnen die kleinsten am eifrigsten, Zollstationen an den Flüssen angelegt, aus denen sie sehr bedeutende Einnahmen bezogen. So erbeutete alljährlich Mecklenburg aus seinem Elbezoll bei Dösnitz und Boitzenburg pro Jahr 300,000 Thaler, ohne jemals daran zu denken, auch nur einen Pfennig für die Besserung dieser Wasserstraße her¬ zugeben. Das war also in Wahrheit ein echtes Stück mittelalterlicher Wegelagerei. Die Folge dieser fiscalischen Politik war denn auch, daß die meisten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/181>, abgerufen am 02.05.2024.