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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Adela, die im sechsten Jahrhundert vor Christi Geburt gelebt Hütte, verfaßt sein.
Das Ganze soll von einem altfriesischen Edeln, Hiddo opera Linda, im drei¬
zehnten Jahrhundert zusammengestellt sein. Es beginnt mit dem Jahre 591
v. Chr., wo jene Adela selbst auftritt, berichtet von der Ankunft des Königs
Frisv, der nie existirt hat, im Jahre 303 und erzählt uns darauf von andern
Herrschern der Friesen, die ebenfalls nur in der Phantasie erfindungsreicher,
aber unwissender Geister gelebt haben. Auch "über die indische Urheimath der
Friesen" bekommen wir interressante und völlig neue Aufschlüsse. Friso z. B.
kam aus dem Lande am Indus, wo fünfzehn Säkula vor dem Anfang unsrer
Zeitrechnung die Priesterin Geerte, woher die Germanen ihren ursprünglichen
Namen Gertmannen bekamen, einen Staat gründete, der Name Himalaya setzt
sich aus Himmel und leiten zusammen, und was dergleichen komische Einfälle
mehr sind. Auch ein nnr mäßiger Kenner der Geschichte lächelt über solche
Thorheiten, und ein Anfänger in der Sprachwissenschaft sieht auf der ersten
Seite schon, daß das angebliche Altfriesisch des Textes niemals gesprochen
oder geschrieben worden sein kann. Trotzdem haben eine Anzahl Friesen, die
der Doktortitel ziert, das Ding mit Verehrung betrachtet und behandelt, und
obwohl seit dem ersten'.Auftauchen desselben der Nachweis geführt worden ist,
daß es von irgend einem dunkeln Ehrenmanne oder Spaßvogel in den ersten
Jahren unseres Jahrhunderts für einen Herrn over de Linden angefertigt
worden ist, der sich über Adela und Hiddo als über Urahnen freuen sollte,
wird es jetzt unverfroren der Welt dargeboten.


Goethes Briefe an Soret. Herausgegeben von H. Abbe. Stuttgart, Cotta'sche
Buchhandlung. 1877.

Friedrich Jakob Soret war ein Genfer, der, 1795 geboren, erst in seiner
Vaterstadt, dann in Paris die Naturwissenschaften studirte, und 1822 als
Erzieher des jetzigen Großherzogs von Weimar in die Nähe Goethe's gelangte,
der seine Gelehrsamkeit, seinen edlen Sinn und sein Feingefühl schätzen lernte
und, wie wir durch Eckermann wissen, ihm seine Freundschaft schenkte. Auch
als Soret 1836 nach Genf zurückkehrte, wo er 1865 starb, verblieb er in
Beziehungen zu dem Dichter, und unser Buch bringt in etwa hundert Briefen
und Briefchen die Zeugnisse für diesen Verkehr. Mehr als solche Zeugnisse
haben wir in ihnen nicht zu finden vermocht, und wir glauben, daß es Andern
nicht besser gehen wird. Es sind fast ohne Ausnahme Geschäftsbriefe, welche
die naturwissenschaftlichen Liebhabereien Goethes betreffen, aber über ihn als
Naturforscher ebenso wenig etwas Neues enthalten, als über ihn als Dichter.
Wer alles haben muß, was Goethe geschrieben hat, wird auch ein solches


Adela, die im sechsten Jahrhundert vor Christi Geburt gelebt Hütte, verfaßt sein.
Das Ganze soll von einem altfriesischen Edeln, Hiddo opera Linda, im drei¬
zehnten Jahrhundert zusammengestellt sein. Es beginnt mit dem Jahre 591
v. Chr., wo jene Adela selbst auftritt, berichtet von der Ankunft des Königs
Frisv, der nie existirt hat, im Jahre 303 und erzählt uns darauf von andern
Herrschern der Friesen, die ebenfalls nur in der Phantasie erfindungsreicher,
aber unwissender Geister gelebt haben. Auch „über die indische Urheimath der
Friesen" bekommen wir interressante und völlig neue Aufschlüsse. Friso z. B.
kam aus dem Lande am Indus, wo fünfzehn Säkula vor dem Anfang unsrer
Zeitrechnung die Priesterin Geerte, woher die Germanen ihren ursprünglichen
Namen Gertmannen bekamen, einen Staat gründete, der Name Himalaya setzt
sich aus Himmel und leiten zusammen, und was dergleichen komische Einfälle
mehr sind. Auch ein nnr mäßiger Kenner der Geschichte lächelt über solche
Thorheiten, und ein Anfänger in der Sprachwissenschaft sieht auf der ersten
Seite schon, daß das angebliche Altfriesisch des Textes niemals gesprochen
oder geschrieben worden sein kann. Trotzdem haben eine Anzahl Friesen, die
der Doktortitel ziert, das Ding mit Verehrung betrachtet und behandelt, und
obwohl seit dem ersten'.Auftauchen desselben der Nachweis geführt worden ist,
daß es von irgend einem dunkeln Ehrenmanne oder Spaßvogel in den ersten
Jahren unseres Jahrhunderts für einen Herrn over de Linden angefertigt
worden ist, der sich über Adela und Hiddo als über Urahnen freuen sollte,
wird es jetzt unverfroren der Welt dargeboten.


Goethes Briefe an Soret. Herausgegeben von H. Abbe. Stuttgart, Cotta'sche
Buchhandlung. 1877.

Friedrich Jakob Soret war ein Genfer, der, 1795 geboren, erst in seiner
Vaterstadt, dann in Paris die Naturwissenschaften studirte, und 1822 als
Erzieher des jetzigen Großherzogs von Weimar in die Nähe Goethe's gelangte,
der seine Gelehrsamkeit, seinen edlen Sinn und sein Feingefühl schätzen lernte
und, wie wir durch Eckermann wissen, ihm seine Freundschaft schenkte. Auch
als Soret 1836 nach Genf zurückkehrte, wo er 1865 starb, verblieb er in
Beziehungen zu dem Dichter, und unser Buch bringt in etwa hundert Briefen
und Briefchen die Zeugnisse für diesen Verkehr. Mehr als solche Zeugnisse
haben wir in ihnen nicht zu finden vermocht, und wir glauben, daß es Andern
nicht besser gehen wird. Es sind fast ohne Ausnahme Geschäftsbriefe, welche
die naturwissenschaftlichen Liebhabereien Goethes betreffen, aber über ihn als
Naturforscher ebenso wenig etwas Neues enthalten, als über ihn als Dichter.
Wer alles haben muß, was Goethe geschrieben hat, wird auch ein solches


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[0527] Adela, die im sechsten Jahrhundert vor Christi Geburt gelebt Hütte, verfaßt sein. Das Ganze soll von einem altfriesischen Edeln, Hiddo opera Linda, im drei¬ zehnten Jahrhundert zusammengestellt sein. Es beginnt mit dem Jahre 591 v. Chr., wo jene Adela selbst auftritt, berichtet von der Ankunft des Königs Frisv, der nie existirt hat, im Jahre 303 und erzählt uns darauf von andern Herrschern der Friesen, die ebenfalls nur in der Phantasie erfindungsreicher, aber unwissender Geister gelebt haben. Auch „über die indische Urheimath der Friesen" bekommen wir interressante und völlig neue Aufschlüsse. Friso z. B. kam aus dem Lande am Indus, wo fünfzehn Säkula vor dem Anfang unsrer Zeitrechnung die Priesterin Geerte, woher die Germanen ihren ursprünglichen Namen Gertmannen bekamen, einen Staat gründete, der Name Himalaya setzt sich aus Himmel und leiten zusammen, und was dergleichen komische Einfälle mehr sind. Auch ein nnr mäßiger Kenner der Geschichte lächelt über solche Thorheiten, und ein Anfänger in der Sprachwissenschaft sieht auf der ersten Seite schon, daß das angebliche Altfriesisch des Textes niemals gesprochen oder geschrieben worden sein kann. Trotzdem haben eine Anzahl Friesen, die der Doktortitel ziert, das Ding mit Verehrung betrachtet und behandelt, und obwohl seit dem ersten'.Auftauchen desselben der Nachweis geführt worden ist, daß es von irgend einem dunkeln Ehrenmanne oder Spaßvogel in den ersten Jahren unseres Jahrhunderts für einen Herrn over de Linden angefertigt worden ist, der sich über Adela und Hiddo als über Urahnen freuen sollte, wird es jetzt unverfroren der Welt dargeboten. Goethes Briefe an Soret. Herausgegeben von H. Abbe. Stuttgart, Cotta'sche Buchhandlung. 1877. Friedrich Jakob Soret war ein Genfer, der, 1795 geboren, erst in seiner Vaterstadt, dann in Paris die Naturwissenschaften studirte, und 1822 als Erzieher des jetzigen Großherzogs von Weimar in die Nähe Goethe's gelangte, der seine Gelehrsamkeit, seinen edlen Sinn und sein Feingefühl schätzen lernte und, wie wir durch Eckermann wissen, ihm seine Freundschaft schenkte. Auch als Soret 1836 nach Genf zurückkehrte, wo er 1865 starb, verblieb er in Beziehungen zu dem Dichter, und unser Buch bringt in etwa hundert Briefen und Briefchen die Zeugnisse für diesen Verkehr. Mehr als solche Zeugnisse haben wir in ihnen nicht zu finden vermocht, und wir glauben, daß es Andern nicht besser gehen wird. Es sind fast ohne Ausnahme Geschäftsbriefe, welche die naturwissenschaftlichen Liebhabereien Goethes betreffen, aber über ihn als Naturforscher ebenso wenig etwas Neues enthalten, als über ihn als Dichter. Wer alles haben muß, was Goethe geschrieben hat, wird auch ein solches

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/527>, abgerufen am 02.05.2024.