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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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ein jeder sich nach Hanse begab. Zu jener Zeit wurden auch bei dein öster¬
reichischen Gesandten Baron Thugut mehre Konzerte durch den Herrn Legations-
rath Hradava veranstaltet, wozu auch Goethe sowie Gyrowetz geladen wurden.
Als Gyrowetz dort eingetreten war, fand er Goethe zwischen einer Thürschwelle,
die in den großen Saal führte, ganz allein und unbeachtet dastehen. Gyrowetz
ging sogleich zu ihm und sagte ihm, er möchte doch vorwärts in den Saal
schreiten und nicht so versteckt dastehen. Goethe dankte höflich und bat, man
möge ihn nur ruhig stehen lassen, er höre alles und liebe nicht in die große
Welt zu treten. Ueberhaupt war zu dieser Zeit das Benehmen Goethe's sehr
freundlich, ja sogar etwas schüchtern und demüthig. Goethe hielt sich nicht
lange mehr in Neapel auf und reiste bald nach seiner Heimat zurück."

"Schüchtern und demüthig" -- wir kennen den Grund solcher Zurück¬
haltung besser. Die Klage übrigens, daß die neueren Komponisten mehr sür
das Orchester als für die Sänger sorgten, war damals allgemein, und der
Tadel über die Verwendung der Blasinstrumente hing eng damit zusammen.
Und doch lag gerade hier das wahre Vorwärts für die Oper, die allerdings
erst dann zum Rechten gelangen konnte, als man dem Orchester gab, was ihm
allein gebührt, die Musik, und den Gesang eben das werden ließ, was er
allein in der Oper sein kann, die künstlerisch gehobene und seelisch erfüllte
Sprache der persönlichsten Empfindung. Dies würde Goethe zuversichtlich
verstanden haben, sobald es ihm eben mit Sinnen faßbar, das heißt praktisch
ans der Bühne vorgeführt worden wäre.




Katern im Zähre 1877.

So rasch sich auch der Assimilirungsprozeß im deutschen Reiche vollziehen
mag, so sehr das Uebergewicht gemeinsamer Ziele über die besonderen Inter¬
essen feststeht, so bildet Baiern doch auch heute noch den Ausnahmsstaat in
unserer gesammten regelrechten Organisation. Wir sagen dies nicht im Sinne
Polnischer Krittelei, sondern im Sinne einer historischen Wahrheit und Noth¬
wendigkeit. Denn die reservatrechtliche Stellung, welche dies größte süddeutsche
Königreich im Reichsrecht einnimmt, ist eben nicht bloß ein Zugeständniß, das
man aus Nachgiebigkeit oder Laune gemacht hat, sondern es ward der derben
Wirklichkeit gemacht; es verkörpert dieser verschiedene Rechtszustand gewisser¬
maßen den kolossalen Gegensatz verschiedener Kult Urzustande, und einer
anderen geschichtlichen Entwicklung. Die heutige Stellung Baierns im deutschen


ein jeder sich nach Hanse begab. Zu jener Zeit wurden auch bei dein öster¬
reichischen Gesandten Baron Thugut mehre Konzerte durch den Herrn Legations-
rath Hradava veranstaltet, wozu auch Goethe sowie Gyrowetz geladen wurden.
Als Gyrowetz dort eingetreten war, fand er Goethe zwischen einer Thürschwelle,
die in den großen Saal führte, ganz allein und unbeachtet dastehen. Gyrowetz
ging sogleich zu ihm und sagte ihm, er möchte doch vorwärts in den Saal
schreiten und nicht so versteckt dastehen. Goethe dankte höflich und bat, man
möge ihn nur ruhig stehen lassen, er höre alles und liebe nicht in die große
Welt zu treten. Ueberhaupt war zu dieser Zeit das Benehmen Goethe's sehr
freundlich, ja sogar etwas schüchtern und demüthig. Goethe hielt sich nicht
lange mehr in Neapel auf und reiste bald nach seiner Heimat zurück."

„Schüchtern und demüthig" — wir kennen den Grund solcher Zurück¬
haltung besser. Die Klage übrigens, daß die neueren Komponisten mehr sür
das Orchester als für die Sänger sorgten, war damals allgemein, und der
Tadel über die Verwendung der Blasinstrumente hing eng damit zusammen.
Und doch lag gerade hier das wahre Vorwärts für die Oper, die allerdings
erst dann zum Rechten gelangen konnte, als man dem Orchester gab, was ihm
allein gebührt, die Musik, und den Gesang eben das werden ließ, was er
allein in der Oper sein kann, die künstlerisch gehobene und seelisch erfüllte
Sprache der persönlichsten Empfindung. Dies würde Goethe zuversichtlich
verstanden haben, sobald es ihm eben mit Sinnen faßbar, das heißt praktisch
ans der Bühne vorgeführt worden wäre.




Katern im Zähre 1877.

So rasch sich auch der Assimilirungsprozeß im deutschen Reiche vollziehen
mag, so sehr das Uebergewicht gemeinsamer Ziele über die besonderen Inter¬
essen feststeht, so bildet Baiern doch auch heute noch den Ausnahmsstaat in
unserer gesammten regelrechten Organisation. Wir sagen dies nicht im Sinne
Polnischer Krittelei, sondern im Sinne einer historischen Wahrheit und Noth¬
wendigkeit. Denn die reservatrechtliche Stellung, welche dies größte süddeutsche
Königreich im Reichsrecht einnimmt, ist eben nicht bloß ein Zugeständniß, das
man aus Nachgiebigkeit oder Laune gemacht hat, sondern es ward der derben
Wirklichkeit gemacht; es verkörpert dieser verschiedene Rechtszustand gewisser¬
maßen den kolossalen Gegensatz verschiedener Kult Urzustande, und einer
anderen geschichtlichen Entwicklung. Die heutige Stellung Baierns im deutschen


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[0199] ein jeder sich nach Hanse begab. Zu jener Zeit wurden auch bei dein öster¬ reichischen Gesandten Baron Thugut mehre Konzerte durch den Herrn Legations- rath Hradava veranstaltet, wozu auch Goethe sowie Gyrowetz geladen wurden. Als Gyrowetz dort eingetreten war, fand er Goethe zwischen einer Thürschwelle, die in den großen Saal führte, ganz allein und unbeachtet dastehen. Gyrowetz ging sogleich zu ihm und sagte ihm, er möchte doch vorwärts in den Saal schreiten und nicht so versteckt dastehen. Goethe dankte höflich und bat, man möge ihn nur ruhig stehen lassen, er höre alles und liebe nicht in die große Welt zu treten. Ueberhaupt war zu dieser Zeit das Benehmen Goethe's sehr freundlich, ja sogar etwas schüchtern und demüthig. Goethe hielt sich nicht lange mehr in Neapel auf und reiste bald nach seiner Heimat zurück." „Schüchtern und demüthig" — wir kennen den Grund solcher Zurück¬ haltung besser. Die Klage übrigens, daß die neueren Komponisten mehr sür das Orchester als für die Sänger sorgten, war damals allgemein, und der Tadel über die Verwendung der Blasinstrumente hing eng damit zusammen. Und doch lag gerade hier das wahre Vorwärts für die Oper, die allerdings erst dann zum Rechten gelangen konnte, als man dem Orchester gab, was ihm allein gebührt, die Musik, und den Gesang eben das werden ließ, was er allein in der Oper sein kann, die künstlerisch gehobene und seelisch erfüllte Sprache der persönlichsten Empfindung. Dies würde Goethe zuversichtlich verstanden haben, sobald es ihm eben mit Sinnen faßbar, das heißt praktisch ans der Bühne vorgeführt worden wäre. Katern im Zähre 1877. So rasch sich auch der Assimilirungsprozeß im deutschen Reiche vollziehen mag, so sehr das Uebergewicht gemeinsamer Ziele über die besonderen Inter¬ essen feststeht, so bildet Baiern doch auch heute noch den Ausnahmsstaat in unserer gesammten regelrechten Organisation. Wir sagen dies nicht im Sinne Polnischer Krittelei, sondern im Sinne einer historischen Wahrheit und Noth¬ wendigkeit. Denn die reservatrechtliche Stellung, welche dies größte süddeutsche Königreich im Reichsrecht einnimmt, ist eben nicht bloß ein Zugeständniß, das man aus Nachgiebigkeit oder Laune gemacht hat, sondern es ward der derben Wirklichkeit gemacht; es verkörpert dieser verschiedene Rechtszustand gewisser¬ maßen den kolossalen Gegensatz verschiedener Kult Urzustande, und einer anderen geschichtlichen Entwicklung. Die heutige Stellung Baierns im deutschen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/199>, abgerufen am 29.04.2024.