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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band.

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antiken Malerei bis jetzt einzig in ihrer Art da. Die ganze sonstige Aus¬
stattung des Werkes ist des Gegenstandes würdig, nicht minder aber der ver¬
dienstvollen Verlagshandlung, die auch durch dieses Unternehmen wieder einen
neuen Beweis ihrer Liberalität, ihres wissenschaftlichen Sinnes und ihres
* ^ * kunstbewährten Geschmackes gegeben hat.




Minz Kaspar Käufer.
i.

Wenn es nicht Menschen gäbe, die, selbst unbelehrbar dnrch Zeit, Geschichte
und untrügliche Urkunden, darauf rechnen, daß der Unsinn und die aben¬
teuerlichste Phantasie immer ihr Publikum finden, und in der Regel eine zähere
Gemeinde von Gläubigen um sich versammeln, als die schlichte natürliche
Wahrheit: man brauchte wahrlich in unseren Tagen nicht mehr ernsthaft den
Mythus vom badischen Prinzenthum Kaspar Hciuser's zu widerlegen.
Aber es gibt solche Menschen, und ihre Spezies ist auch im Volke der
"Dichter und Denker" zahlreicher als wünschenswert^ vertreten. Man hätte
denken sollen, der ehrwürdige "Milizgreis Papa Kolb" werde seinen beinahe
rührenden noch mehr aber spaßhaften Glauben an die badische Prinzenschaft
Kaspar Hauser's für immer in den Feuilletons der Frankfurter Zeitung von
1875 begraben halten. Da taucht neuerdings in einer Encyclopädie, die sich
mit Vorliebe "ein Werk rühmlichsten deutschen Fleißes nennt" und von sich
behauptet, daß sie die neuesten Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung dem
gemeinen Manne offenbaren wolle, eine Darstellung der Kaspar Hanser-Le¬
gende auf, welche den Offenbarungen der Kolb'schen Feuilletons so ähnlich
sieht, daß leider in der Mitte des Jahres 1878 noch einmal die Frivolität
des Humbngs, der mit dem badischen Prinzenthum Kaspar Hauser's getrieben
wurde -- natürlich nicht von Herrn Kolb -- dargelegt werden muß.

Der Lebenslauf Kaspar Hauser's besteht aus wenigen unbestrittenen
Hauptthatsachen. Ueber die folgenden waren die Zeitgenossen Hauser's- völlig
einig. Am Pfingstmontag (26. Mai) 1828 kommt ein junger etwa sechszehn¬
jähriger Mensch in der Kleidung eines Bauernburschen auf dem Uuschlittmarkt
in Nürnberg an, der einen Brief an den Rittmeister von Wessenig bei sich
hat. Der Brief wird abgegeben. Der junge Mensch zeigt sich unbehülflich in
Sprache und Benehmen, genießt blos Wasser und Brod, kauu uur seinen
Namen leserlich schreiben, kennt seine Herkunft und Heimath nicht, will in
einem engen, niedrigen Raum aufgewachsen sein. Der von ihm überbrachte
Brief behauptet, der Knabe sei am 30. April 1812 geboren. Die Stadt Rum-


antiken Malerei bis jetzt einzig in ihrer Art da. Die ganze sonstige Aus¬
stattung des Werkes ist des Gegenstandes würdig, nicht minder aber der ver¬
dienstvollen Verlagshandlung, die auch durch dieses Unternehmen wieder einen
neuen Beweis ihrer Liberalität, ihres wissenschaftlichen Sinnes und ihres
* ^ * kunstbewährten Geschmackes gegeben hat.




Minz Kaspar Käufer.
i.

Wenn es nicht Menschen gäbe, die, selbst unbelehrbar dnrch Zeit, Geschichte
und untrügliche Urkunden, darauf rechnen, daß der Unsinn und die aben¬
teuerlichste Phantasie immer ihr Publikum finden, und in der Regel eine zähere
Gemeinde von Gläubigen um sich versammeln, als die schlichte natürliche
Wahrheit: man brauchte wahrlich in unseren Tagen nicht mehr ernsthaft den
Mythus vom badischen Prinzenthum Kaspar Hciuser's zu widerlegen.
Aber es gibt solche Menschen, und ihre Spezies ist auch im Volke der
„Dichter und Denker" zahlreicher als wünschenswert^ vertreten. Man hätte
denken sollen, der ehrwürdige „Milizgreis Papa Kolb" werde seinen beinahe
rührenden noch mehr aber spaßhaften Glauben an die badische Prinzenschaft
Kaspar Hauser's für immer in den Feuilletons der Frankfurter Zeitung von
1875 begraben halten. Da taucht neuerdings in einer Encyclopädie, die sich
mit Vorliebe „ein Werk rühmlichsten deutschen Fleißes nennt" und von sich
behauptet, daß sie die neuesten Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung dem
gemeinen Manne offenbaren wolle, eine Darstellung der Kaspar Hanser-Le¬
gende auf, welche den Offenbarungen der Kolb'schen Feuilletons so ähnlich
sieht, daß leider in der Mitte des Jahres 1878 noch einmal die Frivolität
des Humbngs, der mit dem badischen Prinzenthum Kaspar Hauser's getrieben
wurde — natürlich nicht von Herrn Kolb — dargelegt werden muß.

Der Lebenslauf Kaspar Hauser's besteht aus wenigen unbestrittenen
Hauptthatsachen. Ueber die folgenden waren die Zeitgenossen Hauser's- völlig
einig. Am Pfingstmontag (26. Mai) 1828 kommt ein junger etwa sechszehn¬
jähriger Mensch in der Kleidung eines Bauernburschen auf dem Uuschlittmarkt
in Nürnberg an, der einen Brief an den Rittmeister von Wessenig bei sich
hat. Der Brief wird abgegeben. Der junge Mensch zeigt sich unbehülflich in
Sprache und Benehmen, genießt blos Wasser und Brod, kauu uur seinen
Namen leserlich schreiben, kennt seine Herkunft und Heimath nicht, will in
einem engen, niedrigen Raum aufgewachsen sein. Der von ihm überbrachte
Brief behauptet, der Knabe sei am 30. April 1812 geboren. Die Stadt Rum-


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[0386] antiken Malerei bis jetzt einzig in ihrer Art da. Die ganze sonstige Aus¬ stattung des Werkes ist des Gegenstandes würdig, nicht minder aber der ver¬ dienstvollen Verlagshandlung, die auch durch dieses Unternehmen wieder einen neuen Beweis ihrer Liberalität, ihres wissenschaftlichen Sinnes und ihres * ^ * kunstbewährten Geschmackes gegeben hat. Minz Kaspar Käufer. i. Wenn es nicht Menschen gäbe, die, selbst unbelehrbar dnrch Zeit, Geschichte und untrügliche Urkunden, darauf rechnen, daß der Unsinn und die aben¬ teuerlichste Phantasie immer ihr Publikum finden, und in der Regel eine zähere Gemeinde von Gläubigen um sich versammeln, als die schlichte natürliche Wahrheit: man brauchte wahrlich in unseren Tagen nicht mehr ernsthaft den Mythus vom badischen Prinzenthum Kaspar Hciuser's zu widerlegen. Aber es gibt solche Menschen, und ihre Spezies ist auch im Volke der „Dichter und Denker" zahlreicher als wünschenswert^ vertreten. Man hätte denken sollen, der ehrwürdige „Milizgreis Papa Kolb" werde seinen beinahe rührenden noch mehr aber spaßhaften Glauben an die badische Prinzenschaft Kaspar Hauser's für immer in den Feuilletons der Frankfurter Zeitung von 1875 begraben halten. Da taucht neuerdings in einer Encyclopädie, die sich mit Vorliebe „ein Werk rühmlichsten deutschen Fleißes nennt" und von sich behauptet, daß sie die neuesten Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung dem gemeinen Manne offenbaren wolle, eine Darstellung der Kaspar Hanser-Le¬ gende auf, welche den Offenbarungen der Kolb'schen Feuilletons so ähnlich sieht, daß leider in der Mitte des Jahres 1878 noch einmal die Frivolität des Humbngs, der mit dem badischen Prinzenthum Kaspar Hauser's getrieben wurde — natürlich nicht von Herrn Kolb — dargelegt werden muß. Der Lebenslauf Kaspar Hauser's besteht aus wenigen unbestrittenen Hauptthatsachen. Ueber die folgenden waren die Zeitgenossen Hauser's- völlig einig. Am Pfingstmontag (26. Mai) 1828 kommt ein junger etwa sechszehn¬ jähriger Mensch in der Kleidung eines Bauernburschen auf dem Uuschlittmarkt in Nürnberg an, der einen Brief an den Rittmeister von Wessenig bei sich hat. Der Brief wird abgegeben. Der junge Mensch zeigt sich unbehülflich in Sprache und Benehmen, genießt blos Wasser und Brod, kauu uur seinen Namen leserlich schreiben, kennt seine Herkunft und Heimath nicht, will in einem engen, niedrigen Raum aufgewachsen sein. Der von ihm überbrachte Brief behauptet, der Knabe sei am 30. April 1812 geboren. Die Stadt Rum-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157653/386>, abgerufen am 02.05.2024.