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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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ab. Im Allgemeinen kann man jedoch sagen, daß auch in diesem Zentralstücke
der Türkei die Bulgaren noch die Grundlage, namentlich der ländlichen Be¬
völkerung bilden, währeud in den Städten die Griechen achtungswerthe Mino¬
ritäten ausmachen, die durch das von ihnen vertretene Kapital und ihre In¬
telligenz zu einer hohen Bedeutung erhoben werden. Durchsetzt ist serner dieses
ganze Gebiet von Türken, während im Westen die Albanesen zur Herrschaft
gelangen.

Damit ist unser Ueberblick der Territorialverhültnisse auf der Balkanhalb-
insel beendigt. Die europäische Türkei ist, wenn man das österreichisch ge¬
wordene Bosnien und Ost-Rumelien von dem alten Besitzstande abrechnet, nun
etwa ans die Hälfte ihres ehemaligen Besitzstandes reduzirt worden, und auch
an dem morschen Stamme des noch übrig gebliebenen Theiles nagt der Wurm.
Es läßt sich nicht verkennen, daß in der Nichtberücksichtigung des griechischen
Elementes durch den Kongreß eine Ungerechtigkeit liegt, die vielleicht vom
Gesichtspunkte der hohen Politik aus opportuu erscheinen mag, die aber im
Lichte nationaler Abgrenzung, wie dieselbe gegenüber den Slaven zur Geltung
gelangte, als ein schwerer Unterlassungsfehler betrachtet werden muß. Denn
ein Theil Macedonien's, Thessalien und fast ganz Epirus sind griechische Land¬
schaften mit nur geringem türkischem Beisatze, und diese Länder werden über
kurz oder lang doch ihre Vereinigung mitten Königreich Hellas durchsetzen,
so gut wie Kreta und andere rein griechische Inseln des Archipel's, die jetzt
noch unter dem Joche der Türken stehen. Hier treten keine konfessionellen Ver¬
hältnisse hindernd der nationalen Idee entgegen, die auf der Balkanhalbinsel
bestimmend und ausschlaggebend sich erweist.




Literatur.

Die heutige Sozialdemokratie und der Staat. Bon Oskar Wolff.
Berlin 1878, Puttkammer und Mühlbrecht.

Der Verfasser dieser kleinen Schrift ist kein Theoretiker, der seine Kenntniß
über das Wesen, die Ziele und die Agitationsmethvde der Sozialdemokraten
aus literarischen Quellen geschöpft hat. Er schreibt vielmehr auf Grund per¬
sönlicher Anschauungen und Erfahrungen, die er während der letzten drei
Jahre, also gerade währeud der Zeit, in welcher das sozialistische Treiben in
Berlin am aberwitzigsten und ungebundensten war, in sozialdemokratischen Ver-


ab. Im Allgemeinen kann man jedoch sagen, daß auch in diesem Zentralstücke
der Türkei die Bulgaren noch die Grundlage, namentlich der ländlichen Be¬
völkerung bilden, währeud in den Städten die Griechen achtungswerthe Mino¬
ritäten ausmachen, die durch das von ihnen vertretene Kapital und ihre In¬
telligenz zu einer hohen Bedeutung erhoben werden. Durchsetzt ist serner dieses
ganze Gebiet von Türken, während im Westen die Albanesen zur Herrschaft
gelangen.

Damit ist unser Ueberblick der Territorialverhültnisse auf der Balkanhalb-
insel beendigt. Die europäische Türkei ist, wenn man das österreichisch ge¬
wordene Bosnien und Ost-Rumelien von dem alten Besitzstande abrechnet, nun
etwa ans die Hälfte ihres ehemaligen Besitzstandes reduzirt worden, und auch
an dem morschen Stamme des noch übrig gebliebenen Theiles nagt der Wurm.
Es läßt sich nicht verkennen, daß in der Nichtberücksichtigung des griechischen
Elementes durch den Kongreß eine Ungerechtigkeit liegt, die vielleicht vom
Gesichtspunkte der hohen Politik aus opportuu erscheinen mag, die aber im
Lichte nationaler Abgrenzung, wie dieselbe gegenüber den Slaven zur Geltung
gelangte, als ein schwerer Unterlassungsfehler betrachtet werden muß. Denn
ein Theil Macedonien's, Thessalien und fast ganz Epirus sind griechische Land¬
schaften mit nur geringem türkischem Beisatze, und diese Länder werden über
kurz oder lang doch ihre Vereinigung mitten Königreich Hellas durchsetzen,
so gut wie Kreta und andere rein griechische Inseln des Archipel's, die jetzt
noch unter dem Joche der Türken stehen. Hier treten keine konfessionellen Ver¬
hältnisse hindernd der nationalen Idee entgegen, die auf der Balkanhalbinsel
bestimmend und ausschlaggebend sich erweist.




Literatur.

Die heutige Sozialdemokratie und der Staat. Bon Oskar Wolff.
Berlin 1878, Puttkammer und Mühlbrecht.

Der Verfasser dieser kleinen Schrift ist kein Theoretiker, der seine Kenntniß
über das Wesen, die Ziele und die Agitationsmethvde der Sozialdemokraten
aus literarischen Quellen geschöpft hat. Er schreibt vielmehr auf Grund per¬
sönlicher Anschauungen und Erfahrungen, die er während der letzten drei
Jahre, also gerade währeud der Zeit, in welcher das sozialistische Treiben in
Berlin am aberwitzigsten und ungebundensten war, in sozialdemokratischen Ver-


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[0247] ab. Im Allgemeinen kann man jedoch sagen, daß auch in diesem Zentralstücke der Türkei die Bulgaren noch die Grundlage, namentlich der ländlichen Be¬ völkerung bilden, währeud in den Städten die Griechen achtungswerthe Mino¬ ritäten ausmachen, die durch das von ihnen vertretene Kapital und ihre In¬ telligenz zu einer hohen Bedeutung erhoben werden. Durchsetzt ist serner dieses ganze Gebiet von Türken, während im Westen die Albanesen zur Herrschaft gelangen. Damit ist unser Ueberblick der Territorialverhültnisse auf der Balkanhalb- insel beendigt. Die europäische Türkei ist, wenn man das österreichisch ge¬ wordene Bosnien und Ost-Rumelien von dem alten Besitzstande abrechnet, nun etwa ans die Hälfte ihres ehemaligen Besitzstandes reduzirt worden, und auch an dem morschen Stamme des noch übrig gebliebenen Theiles nagt der Wurm. Es läßt sich nicht verkennen, daß in der Nichtberücksichtigung des griechischen Elementes durch den Kongreß eine Ungerechtigkeit liegt, die vielleicht vom Gesichtspunkte der hohen Politik aus opportuu erscheinen mag, die aber im Lichte nationaler Abgrenzung, wie dieselbe gegenüber den Slaven zur Geltung gelangte, als ein schwerer Unterlassungsfehler betrachtet werden muß. Denn ein Theil Macedonien's, Thessalien und fast ganz Epirus sind griechische Land¬ schaften mit nur geringem türkischem Beisatze, und diese Länder werden über kurz oder lang doch ihre Vereinigung mitten Königreich Hellas durchsetzen, so gut wie Kreta und andere rein griechische Inseln des Archipel's, die jetzt noch unter dem Joche der Türken stehen. Hier treten keine konfessionellen Ver¬ hältnisse hindernd der nationalen Idee entgegen, die auf der Balkanhalbinsel bestimmend und ausschlaggebend sich erweist. Literatur. Die heutige Sozialdemokratie und der Staat. Bon Oskar Wolff. Berlin 1878, Puttkammer und Mühlbrecht. Der Verfasser dieser kleinen Schrift ist kein Theoretiker, der seine Kenntniß über das Wesen, die Ziele und die Agitationsmethvde der Sozialdemokraten aus literarischen Quellen geschöpft hat. Er schreibt vielmehr auf Grund per¬ sönlicher Anschauungen und Erfahrungen, die er während der letzten drei Jahre, also gerade währeud der Zeit, in welcher das sozialistische Treiben in Berlin am aberwitzigsten und ungebundensten war, in sozialdemokratischen Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/247>, abgerufen am 04.05.2024.