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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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das schmerzliche Ereigniß in einem Briefe an Johann Jcieoby. Besonders be¬
merkenswerth in diesem Briefe ist das Urtheil, das Blau über die wahrschein¬
liche Erfolglosigkeit der Anstrengungen der liberalen Partei im Landtage fällte.
Während Aller Augen gespannt ans dem Landtag hafteten und hoffnungsreich
von ihm Sühne für die Leipziger That und Abstellung aller übrigen Be¬
schwerden erwarteten, erklärte der Führer des Fortschritts in Sachsen ganz
offen: "Unsere Kammer ist gut, aber sie erzielt natürlich nichts."

Diese Voraussicht sollte im vollsten Maße sich bewahrheiten.


Hans Blum.


Die fünfte Woche des deutschen Keichstags.

Endlich, nach einer Pause von drei Wochen, ist der Reichstag in die Mitte
der Alles bewegenden Frage getreten. Die am 7. Oktober für recht uninter¬
essante Wahlprüfungen wieder aufgenommenen Sitzungen führten am 9. Oktober
zur zweiten und entscheidenden Lesung des Sozialistengesetzes. Dicht vor ihr
erhob sich das drohende Gespenst einer mehrere Stunden raubenden Präsidenten¬
wahl. Sollten nicht Konservative und Zentrum, selbst auf die Gefahr dieser
langweiligen Prozedur, die Scharte vom 11. September auswetzen wollen?
Wirklich erhob sich zum allgemeinen Entsetzen Herr von Helldorf; aber er hatte
es so übel nicht gemeint und wollte blos für diesmal noch so gnädig sein, der
beantragten Wiederwahl des Präsidenten durch Akklamation sich nicht zu wider¬
setzen, für künstig aber will seine Partei eine Nichtberücksichtigung der Partei¬
stärke nicht wieder so hingehen lassen. Aha! denken wir; künftig gedenken die
Konservativen in dieser Frage sich mehr als das vorige Mal dem Zentrum
anzuschließen. Wirklich ergreift auch sofort Windthorst die Sache bei diesen,
Zipfel und stellt sich, als sei konservativerseits soeben zugesagt, die bei der ersten
Wahl weißgelassenen Zettel künftig mit dem Namen eines Ultramontanen zu
füllen. Nun, nach dem Verlauf, welchen die Dinge nehmen, glauben wir hier¬
von noch weniger als bisher. Das Präsidium, wie es da sitzt, wird rasch
wiedergewählt und die Berathung des Sozialistengesetzes nimmt ihren Lauf.

Und welchen Lauf! Zum ersten der 22 ZK sind zwei lange Sitzungen ver¬
braucht. In diesem Tempo wird es natürlich nicht weiter gehen; bei der
grundsätzlichen Bedeutung des Z 1 wurde eben eine thatsächliche Aufnahme
der Generaldiskussion unvermeidlich. Das Zentrum freilich, welches den Neigen
begann, ließ große Zurückhaltung feierlich ankündigen. Das kann auch gar


das schmerzliche Ereigniß in einem Briefe an Johann Jcieoby. Besonders be¬
merkenswerth in diesem Briefe ist das Urtheil, das Blau über die wahrschein¬
liche Erfolglosigkeit der Anstrengungen der liberalen Partei im Landtage fällte.
Während Aller Augen gespannt ans dem Landtag hafteten und hoffnungsreich
von ihm Sühne für die Leipziger That und Abstellung aller übrigen Be¬
schwerden erwarteten, erklärte der Führer des Fortschritts in Sachsen ganz
offen: „Unsere Kammer ist gut, aber sie erzielt natürlich nichts."

Diese Voraussicht sollte im vollsten Maße sich bewahrheiten.


Hans Blum.


Die fünfte Woche des deutschen Keichstags.

Endlich, nach einer Pause von drei Wochen, ist der Reichstag in die Mitte
der Alles bewegenden Frage getreten. Die am 7. Oktober für recht uninter¬
essante Wahlprüfungen wieder aufgenommenen Sitzungen führten am 9. Oktober
zur zweiten und entscheidenden Lesung des Sozialistengesetzes. Dicht vor ihr
erhob sich das drohende Gespenst einer mehrere Stunden raubenden Präsidenten¬
wahl. Sollten nicht Konservative und Zentrum, selbst auf die Gefahr dieser
langweiligen Prozedur, die Scharte vom 11. September auswetzen wollen?
Wirklich erhob sich zum allgemeinen Entsetzen Herr von Helldorf; aber er hatte
es so übel nicht gemeint und wollte blos für diesmal noch so gnädig sein, der
beantragten Wiederwahl des Präsidenten durch Akklamation sich nicht zu wider¬
setzen, für künstig aber will seine Partei eine Nichtberücksichtigung der Partei¬
stärke nicht wieder so hingehen lassen. Aha! denken wir; künftig gedenken die
Konservativen in dieser Frage sich mehr als das vorige Mal dem Zentrum
anzuschließen. Wirklich ergreift auch sofort Windthorst die Sache bei diesen,
Zipfel und stellt sich, als sei konservativerseits soeben zugesagt, die bei der ersten
Wahl weißgelassenen Zettel künftig mit dem Namen eines Ultramontanen zu
füllen. Nun, nach dem Verlauf, welchen die Dinge nehmen, glauben wir hier¬
von noch weniger als bisher. Das Präsidium, wie es da sitzt, wird rasch
wiedergewählt und die Berathung des Sozialistengesetzes nimmt ihren Lauf.

Und welchen Lauf! Zum ersten der 22 ZK sind zwei lange Sitzungen ver¬
braucht. In diesem Tempo wird es natürlich nicht weiter gehen; bei der
grundsätzlichen Bedeutung des Z 1 wurde eben eine thatsächliche Aufnahme
der Generaldiskussion unvermeidlich. Das Zentrum freilich, welches den Neigen
begann, ließ große Zurückhaltung feierlich ankündigen. Das kann auch gar


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[0118] das schmerzliche Ereigniß in einem Briefe an Johann Jcieoby. Besonders be¬ merkenswerth in diesem Briefe ist das Urtheil, das Blau über die wahrschein¬ liche Erfolglosigkeit der Anstrengungen der liberalen Partei im Landtage fällte. Während Aller Augen gespannt ans dem Landtag hafteten und hoffnungsreich von ihm Sühne für die Leipziger That und Abstellung aller übrigen Be¬ schwerden erwarteten, erklärte der Führer des Fortschritts in Sachsen ganz offen: „Unsere Kammer ist gut, aber sie erzielt natürlich nichts." Diese Voraussicht sollte im vollsten Maße sich bewahrheiten. Hans Blum. Die fünfte Woche des deutschen Keichstags. Endlich, nach einer Pause von drei Wochen, ist der Reichstag in die Mitte der Alles bewegenden Frage getreten. Die am 7. Oktober für recht uninter¬ essante Wahlprüfungen wieder aufgenommenen Sitzungen führten am 9. Oktober zur zweiten und entscheidenden Lesung des Sozialistengesetzes. Dicht vor ihr erhob sich das drohende Gespenst einer mehrere Stunden raubenden Präsidenten¬ wahl. Sollten nicht Konservative und Zentrum, selbst auf die Gefahr dieser langweiligen Prozedur, die Scharte vom 11. September auswetzen wollen? Wirklich erhob sich zum allgemeinen Entsetzen Herr von Helldorf; aber er hatte es so übel nicht gemeint und wollte blos für diesmal noch so gnädig sein, der beantragten Wiederwahl des Präsidenten durch Akklamation sich nicht zu wider¬ setzen, für künstig aber will seine Partei eine Nichtberücksichtigung der Partei¬ stärke nicht wieder so hingehen lassen. Aha! denken wir; künftig gedenken die Konservativen in dieser Frage sich mehr als das vorige Mal dem Zentrum anzuschließen. Wirklich ergreift auch sofort Windthorst die Sache bei diesen, Zipfel und stellt sich, als sei konservativerseits soeben zugesagt, die bei der ersten Wahl weißgelassenen Zettel künftig mit dem Namen eines Ultramontanen zu füllen. Nun, nach dem Verlauf, welchen die Dinge nehmen, glauben wir hier¬ von noch weniger als bisher. Das Präsidium, wie es da sitzt, wird rasch wiedergewählt und die Berathung des Sozialistengesetzes nimmt ihren Lauf. Und welchen Lauf! Zum ersten der 22 ZK sind zwei lange Sitzungen ver¬ braucht. In diesem Tempo wird es natürlich nicht weiter gehen; bei der grundsätzlichen Bedeutung des Z 1 wurde eben eine thatsächliche Aufnahme der Generaldiskussion unvermeidlich. Das Zentrum freilich, welches den Neigen begann, ließ große Zurückhaltung feierlich ankündigen. Das kann auch gar

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/118>, abgerufen am 29.04.2024.