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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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getadelt, gelobt, ge- und beschimpft und vergöttert wird, und welches das Publi-
eum uuter allerhand Formen, Titeln, Farben lesen, sehen und schlucken muß,
bedeutet eine einzelne literarische Zeitung nicht mehr so viel als sonst, wo
dergleichen geistige Nahrungsmittel seltener erschienen, und gewiß nicht genug,
um den Hausfrieden einer Aeademie zu stören. Deßwegen wird die Einschrän¬
kung, kein Buch, welches unter dem Namen eines Jenaer Professors gedruckt
wird, in der Jenaer Literatur-Zeitung zu recensiren, sehr wünschenswerth sein.
Die Inspection der Landeskinder kaun ganz aufgehoben, die des Couplets an
eine Commission übergeben werden. Was die Collegien betrifft, so beweist
Eichstädt, daß die Subscription erfüllt ist, nicht, daß er Collegien gelesen hat.
Dies ist an das Licht zu stellen."

Diese Forderung hatte für Eichstädt die ungünstigste Wirkung. Sofort
verbreitete sich in Jena das Gerücht seiner Entsetzung, die Studenten wurden
in ihrem Wahne bestärkt, daß die Klage über die Inspection für begründet er¬
achtet worden sei, Sie, die bisher ihren Inspector mit Ehrenbezeugungen über¬
häuft hatten, riefen ihm ein Pereat zu. -- Aber Carl August's Befehl wurde
vollzogen. Keine Schrift eines Jenenser Professors durfte in der Literatur¬
zeitung recensirt werden, während die Censur der Programme von zwei Pro¬
fessoren abhängig gemacht und erwiesen werden mußte, ob Eichstädt, der der
Inspection über die Landeskinder überhoben ward, wirklich gelesen habe. Letzteres
war nicht von besonderer Tragweite, aber tief zu beklagen war, daß der Hader
in den Kreisen Jenenser Professoren das Urtheil in literarischen Beziehungen,
so wie es hier geschah, gänzlich unterdrücken konnte.


C. A. H. Burkhardt.


Die sechste Woche des deutschen Keichstags.

Nachdem sich der Reichstag während dieser Woche, zum Theil in langen
und ermüdenden Reden, unausgesetzt mit dem Sozialistengesetz beschäftigt, ist
dasselbe endlich am 19. Oktober in einer Weise zur Annahme gelangt, durch
welche die baldige Publikation und Wirksamkeit desselben in Aussicht gestellt ist.

Bei der Wichtigkeit des das Verbot von sozialdemokratischen Druckschriften
betreffenden § 6 nahm auch die am 14, Oktober aufgenommene Fortsetzung
der am 11. abgebrochenen langathmigen Verhandlung großen Umfang an. Und
dennoch galt in deu je eiustündigeu Reden von Richter, Kleist-Retzvw und
Windthorst mir der allerkleinste Theil diesem Paragraphen. Die Eigenthümlichkeit
der Lage brachte es eben mit sich, daß die Berathung dieses Gesetzes täglich mehr
den Anlauf zu umfassenden Auseinandersetzungen der Parteien sowohl mit der
Regierung als untereinander machte. Wenn sich nur infolge dieses In- und
Aussichgehens der Parteien wenigstens ein für das Staatsleben brauchbarer
Bodensatz zu bilden begönne! Trotz aller Erörterungen, Anregungen, Vor¬
würfe und Mahnungen, mit denen man sich gegenseitig regalirte, sind aber
die Parteien einem solchen Ziele kaum irgendwie nachgekommen; vielmehr wir¬
belt Alles, was infolge der Auflösung des vorigen Reichstags und Angesichts
der inneren Gefahr des Staates aufgerührt worden, nach diesem Parteien-


getadelt, gelobt, ge- und beschimpft und vergöttert wird, und welches das Publi-
eum uuter allerhand Formen, Titeln, Farben lesen, sehen und schlucken muß,
bedeutet eine einzelne literarische Zeitung nicht mehr so viel als sonst, wo
dergleichen geistige Nahrungsmittel seltener erschienen, und gewiß nicht genug,
um den Hausfrieden einer Aeademie zu stören. Deßwegen wird die Einschrän¬
kung, kein Buch, welches unter dem Namen eines Jenaer Professors gedruckt
wird, in der Jenaer Literatur-Zeitung zu recensiren, sehr wünschenswerth sein.
Die Inspection der Landeskinder kaun ganz aufgehoben, die des Couplets an
eine Commission übergeben werden. Was die Collegien betrifft, so beweist
Eichstädt, daß die Subscription erfüllt ist, nicht, daß er Collegien gelesen hat.
Dies ist an das Licht zu stellen."

Diese Forderung hatte für Eichstädt die ungünstigste Wirkung. Sofort
verbreitete sich in Jena das Gerücht seiner Entsetzung, die Studenten wurden
in ihrem Wahne bestärkt, daß die Klage über die Inspection für begründet er¬
achtet worden sei, Sie, die bisher ihren Inspector mit Ehrenbezeugungen über¬
häuft hatten, riefen ihm ein Pereat zu. — Aber Carl August's Befehl wurde
vollzogen. Keine Schrift eines Jenenser Professors durfte in der Literatur¬
zeitung recensirt werden, während die Censur der Programme von zwei Pro¬
fessoren abhängig gemacht und erwiesen werden mußte, ob Eichstädt, der der
Inspection über die Landeskinder überhoben ward, wirklich gelesen habe. Letzteres
war nicht von besonderer Tragweite, aber tief zu beklagen war, daß der Hader
in den Kreisen Jenenser Professoren das Urtheil in literarischen Beziehungen,
so wie es hier geschah, gänzlich unterdrücken konnte.


C. A. H. Burkhardt.


Die sechste Woche des deutschen Keichstags.

Nachdem sich der Reichstag während dieser Woche, zum Theil in langen
und ermüdenden Reden, unausgesetzt mit dem Sozialistengesetz beschäftigt, ist
dasselbe endlich am 19. Oktober in einer Weise zur Annahme gelangt, durch
welche die baldige Publikation und Wirksamkeit desselben in Aussicht gestellt ist.

Bei der Wichtigkeit des das Verbot von sozialdemokratischen Druckschriften
betreffenden § 6 nahm auch die am 14, Oktober aufgenommene Fortsetzung
der am 11. abgebrochenen langathmigen Verhandlung großen Umfang an. Und
dennoch galt in deu je eiustündigeu Reden von Richter, Kleist-Retzvw und
Windthorst mir der allerkleinste Theil diesem Paragraphen. Die Eigenthümlichkeit
der Lage brachte es eben mit sich, daß die Berathung dieses Gesetzes täglich mehr
den Anlauf zu umfassenden Auseinandersetzungen der Parteien sowohl mit der
Regierung als untereinander machte. Wenn sich nur infolge dieses In- und
Aussichgehens der Parteien wenigstens ein für das Staatsleben brauchbarer
Bodensatz zu bilden begönne! Trotz aller Erörterungen, Anregungen, Vor¬
würfe und Mahnungen, mit denen man sich gegenseitig regalirte, sind aber
die Parteien einem solchen Ziele kaum irgendwie nachgekommen; vielmehr wir¬
belt Alles, was infolge der Auflösung des vorigen Reichstags und Angesichts
der inneren Gefahr des Staates aufgerührt worden, nach diesem Parteien-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/160>, abgerufen am 29.04.2024.