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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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was anzunehmen man umsomehr berechtigt ist, als Riemann sich bei dieser
Frage in direkter Abhängigkeit von Gauß und Herbart befand. Wir sind des¬
halb geneigt, den ersten Theil der Schrift für den brauchbareren zu halten.




Die Meininger in Leipzig,
ii.

Das vierwöchentliche Gastspiel der Meininger in Leipzig ist vor wenigen
Tagen zu Ende gegangen. Am 15. November hat die treffliche Künstlerschaar,
nachdem sie sich mit jedem Tage mehr in der Gunst des hiesigen Publikums
befestigt und schließlich auch die in Leipzig ziemlich große Anzahl der Mi߬
trauischen, Spröden und Widerwilligen, die immer erst abwarten und horchen,
"wie's den andern gefallen hat", besiegt hatte, mit einer nochmaligen Wieder¬
holung von "Was ihr wollt" sich verabschiedet. Eine kleine Partei, deren
Provenienz und Gesinnung unschwer zu erkennen war, machte in der letzten
Woche ein paar Mal den Versuch, den allgemeinen Strom der Begeisterung
einzudämmen, erreichte aber damit, wie immer in solchen Fällen, weiter nichts,
als daß sie das Gegentheil ihrer Bemühungen beförderte: die Begeisterung
war, obwohl man das bei der enthusiastischen Aufnahme, die die Meininger
von vornherein gefunden, kaum für möglich hätte halten sollen, bis zum letzten
Tage in fortwährendem Steigen.

Von den Aufführungen, die anfänglich in Aussicht gestellt waren, mußten
leider, wie es heißt, wegen der beschränkten Bühnenräume des alten Theaters,
in denen die mitgeführten Dekorationen nicht alle zu verwenden waren, die
Kleist'schen Stücke ("Käthchen von Heilbronn" und "Prinz von Homburg")
wegfallen. Es war dies namentlich um des ersteren Stückes willen zu bedauern,
dessen Darstellung durch die Meininger noch überall bis jetzt als die Perle
aller ihrer Leistungen bezeichnet worden ist. So beschränkte sich denn das
Repertoire seit unserm ersten Bericht auf folgende vier Aufführungen: "Fiesco"
(fünfmal), "Wintermärchen" (dreimal), Grillparzer's "Esther" und Moliere's
"Kranker in der Einbildung" zusammen an einem Abend (dreimal) und
"Wilhelm Tell" (viermal).

Die Wahl dieser Stücke ist zum Theil eine etwas gewagte. Ich denke
dabei weniger an das zweiaktige Grillparzer'sche Fragment, das allerdings nur
bis zu Esther's Erhebung zur Königin geführt ist und über die geplante Fort-


was anzunehmen man umsomehr berechtigt ist, als Riemann sich bei dieser
Frage in direkter Abhängigkeit von Gauß und Herbart befand. Wir sind des¬
halb geneigt, den ersten Theil der Schrift für den brauchbareren zu halten.




Die Meininger in Leipzig,
ii.

Das vierwöchentliche Gastspiel der Meininger in Leipzig ist vor wenigen
Tagen zu Ende gegangen. Am 15. November hat die treffliche Künstlerschaar,
nachdem sie sich mit jedem Tage mehr in der Gunst des hiesigen Publikums
befestigt und schließlich auch die in Leipzig ziemlich große Anzahl der Mi߬
trauischen, Spröden und Widerwilligen, die immer erst abwarten und horchen,
„wie's den andern gefallen hat", besiegt hatte, mit einer nochmaligen Wieder¬
holung von „Was ihr wollt" sich verabschiedet. Eine kleine Partei, deren
Provenienz und Gesinnung unschwer zu erkennen war, machte in der letzten
Woche ein paar Mal den Versuch, den allgemeinen Strom der Begeisterung
einzudämmen, erreichte aber damit, wie immer in solchen Fällen, weiter nichts,
als daß sie das Gegentheil ihrer Bemühungen beförderte: die Begeisterung
war, obwohl man das bei der enthusiastischen Aufnahme, die die Meininger
von vornherein gefunden, kaum für möglich hätte halten sollen, bis zum letzten
Tage in fortwährendem Steigen.

Von den Aufführungen, die anfänglich in Aussicht gestellt waren, mußten
leider, wie es heißt, wegen der beschränkten Bühnenräume des alten Theaters,
in denen die mitgeführten Dekorationen nicht alle zu verwenden waren, die
Kleist'schen Stücke („Käthchen von Heilbronn" und „Prinz von Homburg")
wegfallen. Es war dies namentlich um des ersteren Stückes willen zu bedauern,
dessen Darstellung durch die Meininger noch überall bis jetzt als die Perle
aller ihrer Leistungen bezeichnet worden ist. So beschränkte sich denn das
Repertoire seit unserm ersten Bericht auf folgende vier Aufführungen: „Fiesco"
(fünfmal), „Wintermärchen" (dreimal), Grillparzer's „Esther" und Moliere's
„Kranker in der Einbildung" zusammen an einem Abend (dreimal) und
„Wilhelm Tell" (viermal).

Die Wahl dieser Stücke ist zum Theil eine etwas gewagte. Ich denke
dabei weniger an das zweiaktige Grillparzer'sche Fragment, das allerdings nur
bis zu Esther's Erhebung zur Königin geführt ist und über die geplante Fort-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/314>, abgerufen am 29.04.2024.