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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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zahlreichen übrigen, ihm zu Theil gewordenen anzuführen. In diesem Jahre
hat er das klassische Alterthum verlassen und uns ein Bild geschickt, dessen Stoff
dem Hofleben der fränkischen Könige entlehnt ist. Die Geschichte ist sehr weit
hergeholt und nicht Jedermann geläufig. Der Katalog muß daher aushelfen
und uns erzählen, daß die blonde Dame mit den ungeheuer langen Schenkeln,
welche auf einem Lederpolster hinter dem Vorhang eines Bogenfensters sitzt
und sehr mißvergnügt ins Freie blickt, Fredegunde ist, das Weib des Königs
Chilperich. Die Ursache ihres Mißvergnügens wird uns klar, wenn wir ihren
Blicken hinaus ins Freie folgen. Man sieht da eine wirre Menge kleiner,
bunter Figürchen, Frauen und Männer, welche jubeln und Blumen streuen,
Geistliche vor einem Altare, den König, der einer königlich geschmückten Frau
ein Diadem aufsetzt u. s. w. Der Katalog sagt uns, daß die empfangene
Fürstin die neue Gemahlin des Königs, Galeswintha, ist, und aus diesem Um¬
stand erklärt sich der Mißmuth der zurückgesetzten Fredegunde. Ob die schonen
Sachen, die vor ihr stehen, Spangen, güldene Ketten und Toilettengeräthe, zum
Hochzeitsgeschenk für die neue Gebieterin oder zu ihrem eigenen Gebrauch be¬
stimmt sind, ist nicht recht ersichtlich.

Die kleinen Figuren im Hintergrunde sind, wie gesagt, ohne Lnftperspektive
neben und hinter einander gestellt. So entsteht ein unklares Sammelsurium:
man weiß nicht, wer auf den vordersten Plan, wer auf den mittleren und
wer in den Hintergrund gehört. Die ganze Geschichte macht den Eindruck, als
sähe Fredegunde aus ihrem Fenster dem Spiele eines Puppentheaters zu. --
Dasselbe Bild ist übrigens auch im diesjährigen Pariser "Salon" in Aquarell
zu sehen. Dort bildet es den Mittelpunkt eines Cyklus von mehreren Bildern,
der erst die Geschichte verständlich macht, welche Alma-Tadema den Berlinern
nur bruchstückweise vorzutragen geruhte.




Ile Aoth der Kelgoländer.

Nach Errichtung des deutschen Reichs hat wohl schon Manchem die Frage
sich öfter aufgedrängt, ob es nicht wünschenswert!) und möglich sei, dieses so
dicht an den deutschen Küsten liegende, von unseren Stammesgenossen bewohnte
und nur infolge der früheren Ohnmacht Deutschland's uns verloren gegangene
Eiland wiederzugewinnen. Zum mindesten will es für das neue deutsche
Reich nicht recht würdig erscheinen, daß uns die englische Flagge so dicht vor


zahlreichen übrigen, ihm zu Theil gewordenen anzuführen. In diesem Jahre
hat er das klassische Alterthum verlassen und uns ein Bild geschickt, dessen Stoff
dem Hofleben der fränkischen Könige entlehnt ist. Die Geschichte ist sehr weit
hergeholt und nicht Jedermann geläufig. Der Katalog muß daher aushelfen
und uns erzählen, daß die blonde Dame mit den ungeheuer langen Schenkeln,
welche auf einem Lederpolster hinter dem Vorhang eines Bogenfensters sitzt
und sehr mißvergnügt ins Freie blickt, Fredegunde ist, das Weib des Königs
Chilperich. Die Ursache ihres Mißvergnügens wird uns klar, wenn wir ihren
Blicken hinaus ins Freie folgen. Man sieht da eine wirre Menge kleiner,
bunter Figürchen, Frauen und Männer, welche jubeln und Blumen streuen,
Geistliche vor einem Altare, den König, der einer königlich geschmückten Frau
ein Diadem aufsetzt u. s. w. Der Katalog sagt uns, daß die empfangene
Fürstin die neue Gemahlin des Königs, Galeswintha, ist, und aus diesem Um¬
stand erklärt sich der Mißmuth der zurückgesetzten Fredegunde. Ob die schonen
Sachen, die vor ihr stehen, Spangen, güldene Ketten und Toilettengeräthe, zum
Hochzeitsgeschenk für die neue Gebieterin oder zu ihrem eigenen Gebrauch be¬
stimmt sind, ist nicht recht ersichtlich.

Die kleinen Figuren im Hintergrunde sind, wie gesagt, ohne Lnftperspektive
neben und hinter einander gestellt. So entsteht ein unklares Sammelsurium:
man weiß nicht, wer auf den vordersten Plan, wer auf den mittleren und
wer in den Hintergrund gehört. Die ganze Geschichte macht den Eindruck, als
sähe Fredegunde aus ihrem Fenster dem Spiele eines Puppentheaters zu. —
Dasselbe Bild ist übrigens auch im diesjährigen Pariser „Salon" in Aquarell
zu sehen. Dort bildet es den Mittelpunkt eines Cyklus von mehreren Bildern,
der erst die Geschichte verständlich macht, welche Alma-Tadema den Berlinern
nur bruchstückweise vorzutragen geruhte.




Ile Aoth der Kelgoländer.

Nach Errichtung des deutschen Reichs hat wohl schon Manchem die Frage
sich öfter aufgedrängt, ob es nicht wünschenswert!) und möglich sei, dieses so
dicht an den deutschen Küsten liegende, von unseren Stammesgenossen bewohnte
und nur infolge der früheren Ohnmacht Deutschland's uns verloren gegangene
Eiland wiederzugewinnen. Zum mindesten will es für das neue deutsche
Reich nicht recht würdig erscheinen, daß uns die englische Flagge so dicht vor


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/32>, abgerufen am 29.04.2024.