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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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bekanntlich zuletzt, als drei Wochen einer doch sicherlich qualvollen Ungewi^eit
verstrichen waren, man werde sie heimlich hinrichten lassen. Sie schrieb an
Elisabeth einen Brief, in welchem sie auf eine öffentliche Hinrichtung drang.
Elisabeth hat denselben nie beantwortet. Der Tod Maria Stuart's rief in
Schottland durchaus keine allgemeine Entrüstung hervor, wie oft behauptet
worden ist. Jakob VI. hatte den Geistlichen befohlen, für seine Mutter öffentlich
beten zu lassen. Sie wiesen es zurück, da dieses indirekt Elisabeth's Verfahren
verurtheilen und Maria's Unschuld anerkennen hieße. Der König ließ darauf
durch den Erzbischof Adamson das Gebet in der Se. Glich-Kirche verrichten
und erschien selbst bei dem Akte. Er fand indessen, von den Gegnern seiner
Mutter herbeigerufen, bereits einen anderen Geistlichen, John Cowper, in der
Kirche vor, dem er befahl, dem Bischöfe seinen Platz zu geben, was dieser un¬
willig that. Er brach in die Worte aus: "Der König werde sich einst dafür
vor dem großen Richter zu verantworten haben."

Jakob's Befehl an die Geistlichen ging auch nur dahin, sie möchten Gott
bitten, daß er seine Mutter erleuchte, und daß die Sentenz nicht an ihr voll¬
streckt werde.

Einige "rasraw'gs ok tus sstg-dös" -- Parlamentsmitglieder waren es nicht
-- hielten dann ein Meeting ab, um auf die schottischen Gesandten eine Im¬
pression auszuüben. Dies war jedoch die einzige Bewegung zu Gunsten Maria
Stuart's. Nach dem Tode der Königin wandte sich der allgemeine Haß auch
nur gegen Gray, weil man ihm vorwarf, er habe die Hinrichtung eher gefördert
als hintertrieben.




sozialpolitische Literaten.

In den letzten oder genauer gesprochen: in dem letzten Jahre ist auf dem
sozialpolitischen Büchermarkte eine Überschwemmung eingetreten, von welcher
sich der Laie nur schwer einen Begriff wird machen können. Täglich, und fast
wäre man versucht, zu sagen: stündlich erblickt irgend eine Veröffentlichung
das Licht der Welt, welche sich rühmt, ein Beitrag zur Lösung der sozialen
Frage zu sein. Vom dickleibigen Folianten bis zum fliegenden Hefte von
wenigen Bogen oder selbst Blättern sind in dieser Sintflut alle Formen der
literarischen Arbeit vertreten; der geistig-sittliche Inhalt dieses ungeheuren Tohu
Wabohu weist alle Grade und Schattirungen von Ehrlichkeit und Unehrlich-
keit, von Verstand und Unverstand, von Kopf- und von Handwerk auf. Und


bekanntlich zuletzt, als drei Wochen einer doch sicherlich qualvollen Ungewi^eit
verstrichen waren, man werde sie heimlich hinrichten lassen. Sie schrieb an
Elisabeth einen Brief, in welchem sie auf eine öffentliche Hinrichtung drang.
Elisabeth hat denselben nie beantwortet. Der Tod Maria Stuart's rief in
Schottland durchaus keine allgemeine Entrüstung hervor, wie oft behauptet
worden ist. Jakob VI. hatte den Geistlichen befohlen, für seine Mutter öffentlich
beten zu lassen. Sie wiesen es zurück, da dieses indirekt Elisabeth's Verfahren
verurtheilen und Maria's Unschuld anerkennen hieße. Der König ließ darauf
durch den Erzbischof Adamson das Gebet in der Se. Glich-Kirche verrichten
und erschien selbst bei dem Akte. Er fand indessen, von den Gegnern seiner
Mutter herbeigerufen, bereits einen anderen Geistlichen, John Cowper, in der
Kirche vor, dem er befahl, dem Bischöfe seinen Platz zu geben, was dieser un¬
willig that. Er brach in die Worte aus: „Der König werde sich einst dafür
vor dem großen Richter zu verantworten haben."

Jakob's Befehl an die Geistlichen ging auch nur dahin, sie möchten Gott
bitten, daß er seine Mutter erleuchte, und daß die Sentenz nicht an ihr voll¬
streckt werde.

Einige „rasraw'gs ok tus sstg-dös" — Parlamentsmitglieder waren es nicht
— hielten dann ein Meeting ab, um auf die schottischen Gesandten eine Im¬
pression auszuüben. Dies war jedoch die einzige Bewegung zu Gunsten Maria
Stuart's. Nach dem Tode der Königin wandte sich der allgemeine Haß auch
nur gegen Gray, weil man ihm vorwarf, er habe die Hinrichtung eher gefördert
als hintertrieben.




sozialpolitische Literaten.

In den letzten oder genauer gesprochen: in dem letzten Jahre ist auf dem
sozialpolitischen Büchermarkte eine Überschwemmung eingetreten, von welcher
sich der Laie nur schwer einen Begriff wird machen können. Täglich, und fast
wäre man versucht, zu sagen: stündlich erblickt irgend eine Veröffentlichung
das Licht der Welt, welche sich rühmt, ein Beitrag zur Lösung der sozialen
Frage zu sein. Vom dickleibigen Folianten bis zum fliegenden Hefte von
wenigen Bogen oder selbst Blättern sind in dieser Sintflut alle Formen der
literarischen Arbeit vertreten; der geistig-sittliche Inhalt dieses ungeheuren Tohu
Wabohu weist alle Grade und Schattirungen von Ehrlichkeit und Unehrlich-
keit, von Verstand und Unverstand, von Kopf- und von Handwerk auf. Und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/499>, abgerufen am 29.04.2024.