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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Die Magie und Wahrsagekunst der Chaldäer. Von Franyois Lenormant.
Autorisirte und vom Verfasser bedeutend verbesserte und vermehrte deutsche Ausgabe.
Jena, Hermann Costenoble. 1878.

Ein interessantes, aber in den Ergebnissen seiner Untersuchungen mit Vor¬
sicht aufzunehmendes Buch. Leuormant ist ein Gelehrter, der auf dem Gebiete
der Urgeschichte der alten Völker Westasien's sich erhebliche Verdienste erworben
und manchen guten Fund gethan hat, er besitzt einen scharfen Blick, reiche
Kenntniß des Details und einen beweglichen Geist, der oft mit Geschick räumlich
oder zeitlich weit Auseinanderliegendes nahe rückt und es zuweilen in über¬
raschender Kombination zur Aufhellung von Dunkelheiten verwendet. Ebenso
häufig aber geschieht es, daß seine Beweise zu wünschen übrig lassen, daß er
mit dem ihm zu Gebote stehenden, in der That ausgebreiteten Wissen, aber
zugleich mit allzu reger und zu wenig gezügelter Phantasie zu Schlüssen ge¬
langt, die an das Verfahren von Schnelldenkern erinnern, und daß er uns auf
einer Unterlage von Hypothesen ein Gebäude aufführt, das wieder aus gewagten
Hypothesen besteht, von ihm selbst aber als im Wesentlichen sicher und fest¬
stehend angesehen wird -- eine Methode etwa, wie sie der verstorbene Hitzig
in seinen Schriften anzuwenden pflegte.

Dies gilt auch von dem vorliegenden Werke. Man ist in der Entzifferung
der älteste" Keilinschriften des Euphrat- und Tigrisgebiets in den letzten Jahren
bedeutend fortgeschritten, und Vieles, was in der Geschichte der Völker Meso¬
potamien's dunkel war, ist wenigstens in Dämmerlicht gerückt, aber- noch weit
mehr davon liegt noch in tiefem Dunkel, und wir sind der Meinung, daß
zunächst noch an der Verbesserung der Mittel zur Erkenntniß der Thatsachen,
d. h. an der Vervollkommnung der Kunst, die betreffenden Idiome zu verstehen,
also philologisch, zu arbeiten ist, ehe der Historiker mit der Hoffnung auf
sichere Resultate sein Werk beginnen kann. Lenormant hat diese Ansicht nicht
getheilt, und wenn manches, was er mit seinen im allgemeinen unzulänglichen
Mitteln enträthselt zu haben glaubt, sich als in der Hauptsache richtig bewähren
wird, so wird vieles andere in den Ergebnissen seiner Untersuchung die Probe
wahrscheinlich nicht bestehen und durch spätere sprachliche und ethnographische
Entdeckungen umgestoßen werden. Auf die Einzelheiten des Werkes einzugehen,
ist hier nicht der Ort. Es genüge, zu bemerken, daß der Verfasser sich zunächst
die Aufgabe gestellt hat, mit Hilfe einer Anzahl von ihm übertragener chaldä-
ischer Urkunden festzustellen, was die chaldäische Beschwörungs- und Wahr¬
sagekunst gewesen, daß er dieselbe mit der ägyptischen Magie vergleicht, und
daß er sich durch Untersuchung der religiösen Grundlagen der Zauberkunst der
Chaldäer darzuthun bemüht, daß sie von derjenigen der Aegypter verschieden
ist, und daß sie einen andern Ausgangspunkt hat, nämlich denselben, von


Die Magie und Wahrsagekunst der Chaldäer. Von Franyois Lenormant.
Autorisirte und vom Verfasser bedeutend verbesserte und vermehrte deutsche Ausgabe.
Jena, Hermann Costenoble. 1878.

Ein interessantes, aber in den Ergebnissen seiner Untersuchungen mit Vor¬
sicht aufzunehmendes Buch. Leuormant ist ein Gelehrter, der auf dem Gebiete
der Urgeschichte der alten Völker Westasien's sich erhebliche Verdienste erworben
und manchen guten Fund gethan hat, er besitzt einen scharfen Blick, reiche
Kenntniß des Details und einen beweglichen Geist, der oft mit Geschick räumlich
oder zeitlich weit Auseinanderliegendes nahe rückt und es zuweilen in über¬
raschender Kombination zur Aufhellung von Dunkelheiten verwendet. Ebenso
häufig aber geschieht es, daß seine Beweise zu wünschen übrig lassen, daß er
mit dem ihm zu Gebote stehenden, in der That ausgebreiteten Wissen, aber
zugleich mit allzu reger und zu wenig gezügelter Phantasie zu Schlüssen ge¬
langt, die an das Verfahren von Schnelldenkern erinnern, und daß er uns auf
einer Unterlage von Hypothesen ein Gebäude aufführt, das wieder aus gewagten
Hypothesen besteht, von ihm selbst aber als im Wesentlichen sicher und fest¬
stehend angesehen wird — eine Methode etwa, wie sie der verstorbene Hitzig
in seinen Schriften anzuwenden pflegte.

Dies gilt auch von dem vorliegenden Werke. Man ist in der Entzifferung
der älteste» Keilinschriften des Euphrat- und Tigrisgebiets in den letzten Jahren
bedeutend fortgeschritten, und Vieles, was in der Geschichte der Völker Meso¬
potamien's dunkel war, ist wenigstens in Dämmerlicht gerückt, aber- noch weit
mehr davon liegt noch in tiefem Dunkel, und wir sind der Meinung, daß
zunächst noch an der Verbesserung der Mittel zur Erkenntniß der Thatsachen,
d. h. an der Vervollkommnung der Kunst, die betreffenden Idiome zu verstehen,
also philologisch, zu arbeiten ist, ehe der Historiker mit der Hoffnung auf
sichere Resultate sein Werk beginnen kann. Lenormant hat diese Ansicht nicht
getheilt, und wenn manches, was er mit seinen im allgemeinen unzulänglichen
Mitteln enträthselt zu haben glaubt, sich als in der Hauptsache richtig bewähren
wird, so wird vieles andere in den Ergebnissen seiner Untersuchung die Probe
wahrscheinlich nicht bestehen und durch spätere sprachliche und ethnographische
Entdeckungen umgestoßen werden. Auf die Einzelheiten des Werkes einzugehen,
ist hier nicht der Ort. Es genüge, zu bemerken, daß der Verfasser sich zunächst
die Aufgabe gestellt hat, mit Hilfe einer Anzahl von ihm übertragener chaldä-
ischer Urkunden festzustellen, was die chaldäische Beschwörungs- und Wahr¬
sagekunst gewesen, daß er dieselbe mit der ägyptischen Magie vergleicht, und
daß er sich durch Untersuchung der religiösen Grundlagen der Zauberkunst der
Chaldäer darzuthun bemüht, daß sie von derjenigen der Aegypter verschieden
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[0166] Die Magie und Wahrsagekunst der Chaldäer. Von Franyois Lenormant. Autorisirte und vom Verfasser bedeutend verbesserte und vermehrte deutsche Ausgabe. Jena, Hermann Costenoble. 1878. Ein interessantes, aber in den Ergebnissen seiner Untersuchungen mit Vor¬ sicht aufzunehmendes Buch. Leuormant ist ein Gelehrter, der auf dem Gebiete der Urgeschichte der alten Völker Westasien's sich erhebliche Verdienste erworben und manchen guten Fund gethan hat, er besitzt einen scharfen Blick, reiche Kenntniß des Details und einen beweglichen Geist, der oft mit Geschick räumlich oder zeitlich weit Auseinanderliegendes nahe rückt und es zuweilen in über¬ raschender Kombination zur Aufhellung von Dunkelheiten verwendet. Ebenso häufig aber geschieht es, daß seine Beweise zu wünschen übrig lassen, daß er mit dem ihm zu Gebote stehenden, in der That ausgebreiteten Wissen, aber zugleich mit allzu reger und zu wenig gezügelter Phantasie zu Schlüssen ge¬ langt, die an das Verfahren von Schnelldenkern erinnern, und daß er uns auf einer Unterlage von Hypothesen ein Gebäude aufführt, das wieder aus gewagten Hypothesen besteht, von ihm selbst aber als im Wesentlichen sicher und fest¬ stehend angesehen wird — eine Methode etwa, wie sie der verstorbene Hitzig in seinen Schriften anzuwenden pflegte. Dies gilt auch von dem vorliegenden Werke. Man ist in der Entzifferung der älteste» Keilinschriften des Euphrat- und Tigrisgebiets in den letzten Jahren bedeutend fortgeschritten, und Vieles, was in der Geschichte der Völker Meso¬ potamien's dunkel war, ist wenigstens in Dämmerlicht gerückt, aber- noch weit mehr davon liegt noch in tiefem Dunkel, und wir sind der Meinung, daß zunächst noch an der Verbesserung der Mittel zur Erkenntniß der Thatsachen, d. h. an der Vervollkommnung der Kunst, die betreffenden Idiome zu verstehen, also philologisch, zu arbeiten ist, ehe der Historiker mit der Hoffnung auf sichere Resultate sein Werk beginnen kann. Lenormant hat diese Ansicht nicht getheilt, und wenn manches, was er mit seinen im allgemeinen unzulänglichen Mitteln enträthselt zu haben glaubt, sich als in der Hauptsache richtig bewähren wird, so wird vieles andere in den Ergebnissen seiner Untersuchung die Probe wahrscheinlich nicht bestehen und durch spätere sprachliche und ethnographische Entdeckungen umgestoßen werden. Auf die Einzelheiten des Werkes einzugehen, ist hier nicht der Ort. Es genüge, zu bemerken, daß der Verfasser sich zunächst die Aufgabe gestellt hat, mit Hilfe einer Anzahl von ihm übertragener chaldä- ischer Urkunden festzustellen, was die chaldäische Beschwörungs- und Wahr¬ sagekunst gewesen, daß er dieselbe mit der ägyptischen Magie vergleicht, und daß er sich durch Untersuchung der religiösen Grundlagen der Zauberkunst der Chaldäer darzuthun bemüht, daß sie von derjenigen der Aegypter verschieden ist, und daß sie einen andern Ausgangspunkt hat, nämlich denselben, von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/166>, abgerufen am 06.05.2024.