Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die LMunde von Äisee Keews.
i.

Es gab eine Zeit, wo es beliebt war, uns Deutsche nicht nur ein "Volk
von Philosophen" zu nennen, sondern eine ähnliche Ehre anch unserm geogra¬
phischen Wissen anzuthun und so aus zwei Gebieten, die doch nicht eben viel
mit einander gemein haben, uns eine bevorzugte Stellung vor den übrigen
Nationen Europa's anzuweisen. Und gewiß, an Deutschland's geographischem
Himmel schimmern drei Sterne erster Größe, die ihren Glanz über alle die
Länder verbreiten, in denen das Interesse an den Fortschritten dieses vielästigen
Wissensgebietes wach ist. Aber weil wir auf den Besitz eines Alexander von
Humboldt, eines Carl Ritter, eines Oscar Peschel stolz sein dürfen, verdient
wirklich schon deshalb das ganze Volk eine so auszeichnende Benennung? Müßte
nicht, wenn wir eines solchen Namens würdig sein wollten, in allen Schichten
oder doch wenigstens in denen, die sich gebildet nennen, eine gewisse Vertraut¬
heit mit den geographischen Thatsachen angetroffen werden können? Freilich
würde dies voraussetzen, daß diesem Fache im Unterricht keine so untergeordnete
Stellung im Verhältniß zu den übrigen Fächern gegeben sei. Leider entsprechen
aber die thatsächlichen Zustände dieser Voraussetzung nicht, sondern es ist ebenso
betrübend als wahr, daß besonders die höheren Schulen die Geographie höchst
nebensächlich behandeln, und daß man bei den ehemaligen Schülern gerade dieser
Anstalten in der Regel einer nahezu beschämenden Unbekanntschaft mit wichtigen
in die Erdkunde gehörigen Fragen begegnet.

Jene drei großen Namen glänzen in unerreichter, einsamer Höhe, und die
ihnen gezollte Verehrung beruht in Wahrheit mehr auf Tradition als auf wirk¬
licher Kenntniß ihrer Leistungen. An regem Interesse für die so vielfältigen
Darbietungen der Erdkunde scheint es in vielen Kreisen unserer Bevölkerung
nicht zu fehlen, denn wenn der Produktion nicht die Nachfrage entspräche, wie
könnten die zahlreichen Zeitschriften geographischen Inhalts bestehen, wie könnte
alljährlich eine so reiche Literatur an Gesammtwerken und Spezialschristen er¬
scheinen, wie könnten die fast in allen größeren Städten Deutschland's existirenden
Vereine für Erdkunde, die gerade in neuester Zeit sich wieder vermehrt haben,
von Jahr zu Jahr an Mitgliederzahl zunehmen? Diese Thatsachen darf man
gewiß als einen Beweis dafür annehmen, daß die hier diskutirten Fragen nicht nur
anziehender Natur find, sondern daß auch ein besonderes Bildungselement sich
in ihnen birgt, das mit dem öffentlichen Leben und dem Wohl und Wehe jedes
Einzelnen in mannichfacher Verbindung steht.

Wie aber schon von anderer Seite öfter hervorgehoben worden ist: ein


Die LMunde von Äisee Keews.
i.

Es gab eine Zeit, wo es beliebt war, uns Deutsche nicht nur ein „Volk
von Philosophen" zu nennen, sondern eine ähnliche Ehre anch unserm geogra¬
phischen Wissen anzuthun und so aus zwei Gebieten, die doch nicht eben viel
mit einander gemein haben, uns eine bevorzugte Stellung vor den übrigen
Nationen Europa's anzuweisen. Und gewiß, an Deutschland's geographischem
Himmel schimmern drei Sterne erster Größe, die ihren Glanz über alle die
Länder verbreiten, in denen das Interesse an den Fortschritten dieses vielästigen
Wissensgebietes wach ist. Aber weil wir auf den Besitz eines Alexander von
Humboldt, eines Carl Ritter, eines Oscar Peschel stolz sein dürfen, verdient
wirklich schon deshalb das ganze Volk eine so auszeichnende Benennung? Müßte
nicht, wenn wir eines solchen Namens würdig sein wollten, in allen Schichten
oder doch wenigstens in denen, die sich gebildet nennen, eine gewisse Vertraut¬
heit mit den geographischen Thatsachen angetroffen werden können? Freilich
würde dies voraussetzen, daß diesem Fache im Unterricht keine so untergeordnete
Stellung im Verhältniß zu den übrigen Fächern gegeben sei. Leider entsprechen
aber die thatsächlichen Zustände dieser Voraussetzung nicht, sondern es ist ebenso
betrübend als wahr, daß besonders die höheren Schulen die Geographie höchst
nebensächlich behandeln, und daß man bei den ehemaligen Schülern gerade dieser
Anstalten in der Regel einer nahezu beschämenden Unbekanntschaft mit wichtigen
in die Erdkunde gehörigen Fragen begegnet.

Jene drei großen Namen glänzen in unerreichter, einsamer Höhe, und die
ihnen gezollte Verehrung beruht in Wahrheit mehr auf Tradition als auf wirk¬
licher Kenntniß ihrer Leistungen. An regem Interesse für die so vielfältigen
Darbietungen der Erdkunde scheint es in vielen Kreisen unserer Bevölkerung
nicht zu fehlen, denn wenn der Produktion nicht die Nachfrage entspräche, wie
könnten die zahlreichen Zeitschriften geographischen Inhalts bestehen, wie könnte
alljährlich eine so reiche Literatur an Gesammtwerken und Spezialschristen er¬
scheinen, wie könnten die fast in allen größeren Städten Deutschland's existirenden
Vereine für Erdkunde, die gerade in neuester Zeit sich wieder vermehrt haben,
von Jahr zu Jahr an Mitgliederzahl zunehmen? Diese Thatsachen darf man
gewiß als einen Beweis dafür annehmen, daß die hier diskutirten Fragen nicht nur
anziehender Natur find, sondern daß auch ein besonderes Bildungselement sich
in ihnen birgt, das mit dem öffentlichen Leben und dem Wohl und Wehe jedes
Einzelnen in mannichfacher Verbindung steht.

Wie aber schon von anderer Seite öfter hervorgehoben worden ist: ein


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0220" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/141631"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die LMunde von Äisee Keews.<lb/>
i.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_659"> Es gab eine Zeit, wo es beliebt war, uns Deutsche nicht nur ein &#x201E;Volk<lb/>
von Philosophen" zu nennen, sondern eine ähnliche Ehre anch unserm geogra¬<lb/>
phischen Wissen anzuthun und so aus zwei Gebieten, die doch nicht eben viel<lb/>
mit einander gemein haben, uns eine bevorzugte Stellung vor den übrigen<lb/>
Nationen Europa's anzuweisen. Und gewiß, an Deutschland's geographischem<lb/>
Himmel schimmern drei Sterne erster Größe, die ihren Glanz über alle die<lb/>
Länder verbreiten, in denen das Interesse an den Fortschritten dieses vielästigen<lb/>
Wissensgebietes wach ist. Aber weil wir auf den Besitz eines Alexander von<lb/>
Humboldt, eines Carl Ritter, eines Oscar Peschel stolz sein dürfen, verdient<lb/>
wirklich schon deshalb das ganze Volk eine so auszeichnende Benennung? Müßte<lb/>
nicht, wenn wir eines solchen Namens würdig sein wollten, in allen Schichten<lb/>
oder doch wenigstens in denen, die sich gebildet nennen, eine gewisse Vertraut¬<lb/>
heit mit den geographischen Thatsachen angetroffen werden können? Freilich<lb/>
würde dies voraussetzen, daß diesem Fache im Unterricht keine so untergeordnete<lb/>
Stellung im Verhältniß zu den übrigen Fächern gegeben sei. Leider entsprechen<lb/>
aber die thatsächlichen Zustände dieser Voraussetzung nicht, sondern es ist ebenso<lb/>
betrübend als wahr, daß besonders die höheren Schulen die Geographie höchst<lb/>
nebensächlich behandeln, und daß man bei den ehemaligen Schülern gerade dieser<lb/>
Anstalten in der Regel einer nahezu beschämenden Unbekanntschaft mit wichtigen<lb/>
in die Erdkunde gehörigen Fragen begegnet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_660"> Jene drei großen Namen glänzen in unerreichter, einsamer Höhe, und die<lb/>
ihnen gezollte Verehrung beruht in Wahrheit mehr auf Tradition als auf wirk¬<lb/>
licher Kenntniß ihrer Leistungen. An regem Interesse für die so vielfältigen<lb/>
Darbietungen der Erdkunde scheint es in vielen Kreisen unserer Bevölkerung<lb/>
nicht zu fehlen, denn wenn der Produktion nicht die Nachfrage entspräche, wie<lb/>
könnten die zahlreichen Zeitschriften geographischen Inhalts bestehen, wie könnte<lb/>
alljährlich eine so reiche Literatur an Gesammtwerken und Spezialschristen er¬<lb/>
scheinen, wie könnten die fast in allen größeren Städten Deutschland's existirenden<lb/>
Vereine für Erdkunde, die gerade in neuester Zeit sich wieder vermehrt haben,<lb/>
von Jahr zu Jahr an Mitgliederzahl zunehmen? Diese Thatsachen darf man<lb/>
gewiß als einen Beweis dafür annehmen, daß die hier diskutirten Fragen nicht nur<lb/>
anziehender Natur find, sondern daß auch ein besonderes Bildungselement sich<lb/>
in ihnen birgt, das mit dem öffentlichen Leben und dem Wohl und Wehe jedes<lb/>
Einzelnen in mannichfacher Verbindung steht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_661" next="#ID_662"> Wie aber schon von anderer Seite öfter hervorgehoben worden ist: ein</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0220] Die LMunde von Äisee Keews. i. Es gab eine Zeit, wo es beliebt war, uns Deutsche nicht nur ein „Volk von Philosophen" zu nennen, sondern eine ähnliche Ehre anch unserm geogra¬ phischen Wissen anzuthun und so aus zwei Gebieten, die doch nicht eben viel mit einander gemein haben, uns eine bevorzugte Stellung vor den übrigen Nationen Europa's anzuweisen. Und gewiß, an Deutschland's geographischem Himmel schimmern drei Sterne erster Größe, die ihren Glanz über alle die Länder verbreiten, in denen das Interesse an den Fortschritten dieses vielästigen Wissensgebietes wach ist. Aber weil wir auf den Besitz eines Alexander von Humboldt, eines Carl Ritter, eines Oscar Peschel stolz sein dürfen, verdient wirklich schon deshalb das ganze Volk eine so auszeichnende Benennung? Müßte nicht, wenn wir eines solchen Namens würdig sein wollten, in allen Schichten oder doch wenigstens in denen, die sich gebildet nennen, eine gewisse Vertraut¬ heit mit den geographischen Thatsachen angetroffen werden können? Freilich würde dies voraussetzen, daß diesem Fache im Unterricht keine so untergeordnete Stellung im Verhältniß zu den übrigen Fächern gegeben sei. Leider entsprechen aber die thatsächlichen Zustände dieser Voraussetzung nicht, sondern es ist ebenso betrübend als wahr, daß besonders die höheren Schulen die Geographie höchst nebensächlich behandeln, und daß man bei den ehemaligen Schülern gerade dieser Anstalten in der Regel einer nahezu beschämenden Unbekanntschaft mit wichtigen in die Erdkunde gehörigen Fragen begegnet. Jene drei großen Namen glänzen in unerreichter, einsamer Höhe, und die ihnen gezollte Verehrung beruht in Wahrheit mehr auf Tradition als auf wirk¬ licher Kenntniß ihrer Leistungen. An regem Interesse für die so vielfältigen Darbietungen der Erdkunde scheint es in vielen Kreisen unserer Bevölkerung nicht zu fehlen, denn wenn der Produktion nicht die Nachfrage entspräche, wie könnten die zahlreichen Zeitschriften geographischen Inhalts bestehen, wie könnte alljährlich eine so reiche Literatur an Gesammtwerken und Spezialschristen er¬ scheinen, wie könnten die fast in allen größeren Städten Deutschland's existirenden Vereine für Erdkunde, die gerade in neuester Zeit sich wieder vermehrt haben, von Jahr zu Jahr an Mitgliederzahl zunehmen? Diese Thatsachen darf man gewiß als einen Beweis dafür annehmen, daß die hier diskutirten Fragen nicht nur anziehender Natur find, sondern daß auch ein besonderes Bildungselement sich in ihnen birgt, das mit dem öffentlichen Leben und dem Wohl und Wehe jedes Einzelnen in mannichfacher Verbindung steht. Wie aber schon von anderer Seite öfter hervorgehoben worden ist: ein

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/220
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/220>, abgerufen am 07.05.2024.