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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Der Gesandte eines Rebellen und Feindes der Christenheit müsse überall
"niedergeworfen" werden, so schrieb der kaiserliche Rath Christoph Freiherr von
Waldburg im Mai 1606 nach Heidelberg. In Prag wurde der unglückliche
Mann auf Hochverrath angeklagt, viermal gefoltert und endlich zum Tode ver-
urtheilt. Indeß die Exekution wurde nicht vollstreckt; geboten doch die bald
völlig veränderten Verhältnisse einige Rücksicht, Ebensowenig freilich wurde
Bocatius befreit; noch im Januar 1608 saß er im sog. weißen Thurme des
Prager Schlosses gefangen. Erst die Umwälzungen, welche seit 1608 die Habs¬
burgischen Lande erschütterten, scheinen ihm die Freiheit gebracht zu haben.
Er kehrte nach Kaschau zurück, wo inzwischen der Fürst, dessen Auftrag ihn
in's Verderben gebracht, verschieden war (29. Dezember 1606). Später ist er
in die Dienste des hochbegabten und kühnen Fürsten Bethlen Gabor von
Siebenbürgen (1613--1629) getreten, dem eine bedeutsame Rolle in der Ge¬
schichte der österreichisch-ungarischen Länder bestimmt war, und als dessen Rath
und Bibliothekar gestorben. Auch ihm ganz persönlich war die unheilvolle
Verwickelung, die seine Gemeinde ergriff, zum Verhängniß geworden.




Lin neues IM von Udol'ph Menzel.

Mehr als ein Menschenalter mußte vergehen, ganze Kunstrichtungen mußten
sich ausgelebt haben, bis es dem bedeutendsten Träger der Berliner Malerei
gelang, sich zu einem solchen Ansehen emporzuarbeiten, daß jede größere Arbeit
von seiner Hand als ein künstlerisches Ereigniß betrachtet wird. Nichts kann
für die Wandlungen und das Wachsthum künstlerischer und kunstgeschichtlicher
Erkenntniß lehrreicher sein als eine Zusammenstellung der Urtheile, die seit
Menzel's erstem Auftreten, seit 1833, über diese eigenartige, künstlerische Indi¬
vidualität laut geworden sind. Damals fuhren seine originellen Gedankenblitze
in die Düsseldorfer Mondscheinromantik hinein. Die Zeit konnte nicht schlechter
gewählt sein, und sie wurde nicht günstiger, als die Historienmalerei großen
Stils durch den Einfluß der Belgier emporkam, als Cornelius und Kaulbach
mit ihren mächtigen monumentalen Arbeiten einer neuen, der Menzel'schen
geradezu entgegengesetzten Kunstrichtung den Impuls gegeben zu haben schienen.
Je weiter sich die "ideale" Richtung ausdehnen durfte, je größer die Wand¬
flächen wurden, welche sie in Beschlag nahm, desto mehr beschränkte sich der
geniale Meister, der sich keinen Mißerfolg verdrießen ließ und sich wohl oder


Der Gesandte eines Rebellen und Feindes der Christenheit müsse überall
„niedergeworfen" werden, so schrieb der kaiserliche Rath Christoph Freiherr von
Waldburg im Mai 1606 nach Heidelberg. In Prag wurde der unglückliche
Mann auf Hochverrath angeklagt, viermal gefoltert und endlich zum Tode ver-
urtheilt. Indeß die Exekution wurde nicht vollstreckt; geboten doch die bald
völlig veränderten Verhältnisse einige Rücksicht, Ebensowenig freilich wurde
Bocatius befreit; noch im Januar 1608 saß er im sog. weißen Thurme des
Prager Schlosses gefangen. Erst die Umwälzungen, welche seit 1608 die Habs¬
burgischen Lande erschütterten, scheinen ihm die Freiheit gebracht zu haben.
Er kehrte nach Kaschau zurück, wo inzwischen der Fürst, dessen Auftrag ihn
in's Verderben gebracht, verschieden war (29. Dezember 1606). Später ist er
in die Dienste des hochbegabten und kühnen Fürsten Bethlen Gabor von
Siebenbürgen (1613—1629) getreten, dem eine bedeutsame Rolle in der Ge¬
schichte der österreichisch-ungarischen Länder bestimmt war, und als dessen Rath
und Bibliothekar gestorben. Auch ihm ganz persönlich war die unheilvolle
Verwickelung, die seine Gemeinde ergriff, zum Verhängniß geworden.




Lin neues IM von Udol'ph Menzel.

Mehr als ein Menschenalter mußte vergehen, ganze Kunstrichtungen mußten
sich ausgelebt haben, bis es dem bedeutendsten Träger der Berliner Malerei
gelang, sich zu einem solchen Ansehen emporzuarbeiten, daß jede größere Arbeit
von seiner Hand als ein künstlerisches Ereigniß betrachtet wird. Nichts kann
für die Wandlungen und das Wachsthum künstlerischer und kunstgeschichtlicher
Erkenntniß lehrreicher sein als eine Zusammenstellung der Urtheile, die seit
Menzel's erstem Auftreten, seit 1833, über diese eigenartige, künstlerische Indi¬
vidualität laut geworden sind. Damals fuhren seine originellen Gedankenblitze
in die Düsseldorfer Mondscheinromantik hinein. Die Zeit konnte nicht schlechter
gewählt sein, und sie wurde nicht günstiger, als die Historienmalerei großen
Stils durch den Einfluß der Belgier emporkam, als Cornelius und Kaulbach
mit ihren mächtigen monumentalen Arbeiten einer neuen, der Menzel'schen
geradezu entgegengesetzten Kunstrichtung den Impuls gegeben zu haben schienen.
Je weiter sich die „ideale" Richtung ausdehnen durfte, je größer die Wand¬
flächen wurden, welche sie in Beschlag nahm, desto mehr beschränkte sich der
geniale Meister, der sich keinen Mißerfolg verdrießen ließ und sich wohl oder


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[0238] Der Gesandte eines Rebellen und Feindes der Christenheit müsse überall „niedergeworfen" werden, so schrieb der kaiserliche Rath Christoph Freiherr von Waldburg im Mai 1606 nach Heidelberg. In Prag wurde der unglückliche Mann auf Hochverrath angeklagt, viermal gefoltert und endlich zum Tode ver- urtheilt. Indeß die Exekution wurde nicht vollstreckt; geboten doch die bald völlig veränderten Verhältnisse einige Rücksicht, Ebensowenig freilich wurde Bocatius befreit; noch im Januar 1608 saß er im sog. weißen Thurme des Prager Schlosses gefangen. Erst die Umwälzungen, welche seit 1608 die Habs¬ burgischen Lande erschütterten, scheinen ihm die Freiheit gebracht zu haben. Er kehrte nach Kaschau zurück, wo inzwischen der Fürst, dessen Auftrag ihn in's Verderben gebracht, verschieden war (29. Dezember 1606). Später ist er in die Dienste des hochbegabten und kühnen Fürsten Bethlen Gabor von Siebenbürgen (1613—1629) getreten, dem eine bedeutsame Rolle in der Ge¬ schichte der österreichisch-ungarischen Länder bestimmt war, und als dessen Rath und Bibliothekar gestorben. Auch ihm ganz persönlich war die unheilvolle Verwickelung, die seine Gemeinde ergriff, zum Verhängniß geworden. Lin neues IM von Udol'ph Menzel. Mehr als ein Menschenalter mußte vergehen, ganze Kunstrichtungen mußten sich ausgelebt haben, bis es dem bedeutendsten Träger der Berliner Malerei gelang, sich zu einem solchen Ansehen emporzuarbeiten, daß jede größere Arbeit von seiner Hand als ein künstlerisches Ereigniß betrachtet wird. Nichts kann für die Wandlungen und das Wachsthum künstlerischer und kunstgeschichtlicher Erkenntniß lehrreicher sein als eine Zusammenstellung der Urtheile, die seit Menzel's erstem Auftreten, seit 1833, über diese eigenartige, künstlerische Indi¬ vidualität laut geworden sind. Damals fuhren seine originellen Gedankenblitze in die Düsseldorfer Mondscheinromantik hinein. Die Zeit konnte nicht schlechter gewählt sein, und sie wurde nicht günstiger, als die Historienmalerei großen Stils durch den Einfluß der Belgier emporkam, als Cornelius und Kaulbach mit ihren mächtigen monumentalen Arbeiten einer neuen, der Menzel'schen geradezu entgegengesetzten Kunstrichtung den Impuls gegeben zu haben schienen. Je weiter sich die „ideale" Richtung ausdehnen durfte, je größer die Wand¬ flächen wurden, welche sie in Beschlag nahm, desto mehr beschränkte sich der geniale Meister, der sich keinen Mißerfolg verdrießen ließ und sich wohl oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/238>, abgerufen am 06.05.2024.