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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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abdrucken lassen, daß durch das ganze Buch hin immer vier Kolonnen neben¬
einander herlaufen, und zwar von rechts nach links gezählt in folgender Ord¬
nung: 1. Der Herder'sche Cid. 2. Die französische Prosabearbeitung, Herder's
Hauptquelle. 3. Die spanischen Romanzen, Herder's Nebenquelle. 4. Eine sehr
wohlgelungene versifizirte Uebersetzung der spanischen Romanzen. Diese Anord¬
nung hat, der vielen ganz leeren Stellen wegen und wegen der Partieen, wo
der Text bald hat gedrängt, bald zerdehnt werden müssen, typographisch kein
sehr schönes Buch ergeben, aber ein um so brauchbareres und bequemeres. Nicht
blos für den Literarhistoriker, sondern auch für den Laien, der eine Ahnung
hat von dem Reiz, den es gewährt, den Dichter in seiner Werkstatt zu belauschen,
wird es von hohem Interesse sein, nun von Lied zu Lied, ja vou Vers zu Vers
verfolgen zu können, wie der Franzose den Spanier, und der deutsche Dichter
wieder den Franzosen behandelt hat.

Aber selbst wenn dieses fortlaufende Zeugenverhör im Einzelnen keine
wesentlich neuen Momente ergeben sollte, zu einem wichtigen Resultat wird das
Buch auf jeden Fall führen: zu einer gerechten Würdigung der Herder'sehen
Leistung im Ganzen. Hettner urtheilt in seiner Literaturgeschichte über den
"Cid" folgendermaßen: "Bewunderungswürdig ist es, wie glänzend die wirk¬
samste Eigenthümlichkeit Herder's, seine feine Anempfindung und das Finden
und Festhalten des treuen Lokaltones in allen Einzelheiten der dichterischen Nach¬
bildung, sich auch hier wieder bestätigt." Der Verfasser der Einleitung zum "Cid"
in der oben erwähnten Grote'schen Ausgabe dagegen schreibt: "Das Verdienst
poetischer Selbständigkeit kann man Herder's Arbeit nicht beilegen. Das Einzige,
wodurch sich Herder's Cid von seinem französischen Originale unterscheidet, ist
die Versifikation. Nur dieser ist es zu danken, wenn wir einigermaßen an die
altspanischen Romanzen erinnert werden." Drastischere Gegensätze in der Beur¬
theilung eines Dichterwerkes sind wohl kaum denkbar. Wir meinen aber, daß
man nur zwanzig bis dreißig Seiten in Vögelin's Ausgabe aufmerksam ge¬
lesen zu haben braucht, um dahinter zu kommen -- vorausgesetzt natürlich,
daß man überhaupt die Fähigkeit hat, hinter dergleichen Dinge zu kommen --
ob Herder die unvergleichliche dichterische Divinationsgabe, die er in seinen
"Stimmen der Völker in Liedern" bewiesen, auch hier in der letzten dichterischen
Arbeit seines Lebens noch verräth oder sich lediglich als gewandter Versifex zeigt.


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2. Der Name von Bürger's Lenore.

Ein poetisches Personennamenbuch, ein oataloAiis raisormö dichtungsbe¬
rühmter Namen könnte in hohem Grade lehrreich sein. Von wie vielen Namen,
die aus rein künstlerischen Motiven gewählt schienen, würde sich ergeben, daß


Grenzboten I- 187ö. 36

abdrucken lassen, daß durch das ganze Buch hin immer vier Kolonnen neben¬
einander herlaufen, und zwar von rechts nach links gezählt in folgender Ord¬
nung: 1. Der Herder'sche Cid. 2. Die französische Prosabearbeitung, Herder's
Hauptquelle. 3. Die spanischen Romanzen, Herder's Nebenquelle. 4. Eine sehr
wohlgelungene versifizirte Uebersetzung der spanischen Romanzen. Diese Anord¬
nung hat, der vielen ganz leeren Stellen wegen und wegen der Partieen, wo
der Text bald hat gedrängt, bald zerdehnt werden müssen, typographisch kein
sehr schönes Buch ergeben, aber ein um so brauchbareres und bequemeres. Nicht
blos für den Literarhistoriker, sondern auch für den Laien, der eine Ahnung
hat von dem Reiz, den es gewährt, den Dichter in seiner Werkstatt zu belauschen,
wird es von hohem Interesse sein, nun von Lied zu Lied, ja vou Vers zu Vers
verfolgen zu können, wie der Franzose den Spanier, und der deutsche Dichter
wieder den Franzosen behandelt hat.

Aber selbst wenn dieses fortlaufende Zeugenverhör im Einzelnen keine
wesentlich neuen Momente ergeben sollte, zu einem wichtigen Resultat wird das
Buch auf jeden Fall führen: zu einer gerechten Würdigung der Herder'sehen
Leistung im Ganzen. Hettner urtheilt in seiner Literaturgeschichte über den
„Cid" folgendermaßen: „Bewunderungswürdig ist es, wie glänzend die wirk¬
samste Eigenthümlichkeit Herder's, seine feine Anempfindung und das Finden
und Festhalten des treuen Lokaltones in allen Einzelheiten der dichterischen Nach¬
bildung, sich auch hier wieder bestätigt." Der Verfasser der Einleitung zum „Cid"
in der oben erwähnten Grote'schen Ausgabe dagegen schreibt: „Das Verdienst
poetischer Selbständigkeit kann man Herder's Arbeit nicht beilegen. Das Einzige,
wodurch sich Herder's Cid von seinem französischen Originale unterscheidet, ist
die Versifikation. Nur dieser ist es zu danken, wenn wir einigermaßen an die
altspanischen Romanzen erinnert werden." Drastischere Gegensätze in der Beur¬
theilung eines Dichterwerkes sind wohl kaum denkbar. Wir meinen aber, daß
man nur zwanzig bis dreißig Seiten in Vögelin's Ausgabe aufmerksam ge¬
lesen zu haben braucht, um dahinter zu kommen — vorausgesetzt natürlich,
daß man überhaupt die Fähigkeit hat, hinter dergleichen Dinge zu kommen —
ob Herder die unvergleichliche dichterische Divinationsgabe, die er in seinen
„Stimmen der Völker in Liedern" bewiesen, auch hier in der letzten dichterischen
Arbeit seines Lebens noch verräth oder sich lediglich als gewandter Versifex zeigt.


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2. Der Name von Bürger's Lenore.

Ein poetisches Personennamenbuch, ein oataloAiis raisormö dichtungsbe¬
rühmter Namen könnte in hohem Grade lehrreich sein. Von wie vielen Namen,
die aus rein künstlerischen Motiven gewählt schienen, würde sich ergeben, daß


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[0285] abdrucken lassen, daß durch das ganze Buch hin immer vier Kolonnen neben¬ einander herlaufen, und zwar von rechts nach links gezählt in folgender Ord¬ nung: 1. Der Herder'sche Cid. 2. Die französische Prosabearbeitung, Herder's Hauptquelle. 3. Die spanischen Romanzen, Herder's Nebenquelle. 4. Eine sehr wohlgelungene versifizirte Uebersetzung der spanischen Romanzen. Diese Anord¬ nung hat, der vielen ganz leeren Stellen wegen und wegen der Partieen, wo der Text bald hat gedrängt, bald zerdehnt werden müssen, typographisch kein sehr schönes Buch ergeben, aber ein um so brauchbareres und bequemeres. Nicht blos für den Literarhistoriker, sondern auch für den Laien, der eine Ahnung hat von dem Reiz, den es gewährt, den Dichter in seiner Werkstatt zu belauschen, wird es von hohem Interesse sein, nun von Lied zu Lied, ja vou Vers zu Vers verfolgen zu können, wie der Franzose den Spanier, und der deutsche Dichter wieder den Franzosen behandelt hat. Aber selbst wenn dieses fortlaufende Zeugenverhör im Einzelnen keine wesentlich neuen Momente ergeben sollte, zu einem wichtigen Resultat wird das Buch auf jeden Fall führen: zu einer gerechten Würdigung der Herder'sehen Leistung im Ganzen. Hettner urtheilt in seiner Literaturgeschichte über den „Cid" folgendermaßen: „Bewunderungswürdig ist es, wie glänzend die wirk¬ samste Eigenthümlichkeit Herder's, seine feine Anempfindung und das Finden und Festhalten des treuen Lokaltones in allen Einzelheiten der dichterischen Nach¬ bildung, sich auch hier wieder bestätigt." Der Verfasser der Einleitung zum „Cid" in der oben erwähnten Grote'schen Ausgabe dagegen schreibt: „Das Verdienst poetischer Selbständigkeit kann man Herder's Arbeit nicht beilegen. Das Einzige, wodurch sich Herder's Cid von seinem französischen Originale unterscheidet, ist die Versifikation. Nur dieser ist es zu danken, wenn wir einigermaßen an die altspanischen Romanzen erinnert werden." Drastischere Gegensätze in der Beur¬ theilung eines Dichterwerkes sind wohl kaum denkbar. Wir meinen aber, daß man nur zwanzig bis dreißig Seiten in Vögelin's Ausgabe aufmerksam ge¬ lesen zu haben braucht, um dahinter zu kommen — vorausgesetzt natürlich, daß man überhaupt die Fähigkeit hat, hinter dergleichen Dinge zu kommen — ob Herder die unvergleichliche dichterische Divinationsgabe, die er in seinen „Stimmen der Völker in Liedern" bewiesen, auch hier in der letzten dichterischen Arbeit seines Lebens noch verräth oder sich lediglich als gewandter Versifex zeigt. » » » 2. Der Name von Bürger's Lenore. Ein poetisches Personennamenbuch, ein oataloAiis raisormö dichtungsbe¬ rühmter Namen könnte in hohem Grade lehrreich sein. Von wie vielen Namen, die aus rein künstlerischen Motiven gewählt schienen, würde sich ergeben, daß Grenzboten I- 187ö. 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/285>, abgerufen am 07.05.2024.